Internationale Zivilgesellschaft

Fünf Grundsätze

Die Debatte darüber, was auf die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) folgen soll, gewinnt an Fahrt. Führungspersönlichkeiten von nichtstaatlichen Organisationen aus aller Welt forderten Anfang 2013, dass die künftige Agenda mehr Biss bekommt als die MDGs.
"Reparationen für Klimaschulden": Forderung zivilgesellschaftlicher Aktivisten in Bankok im Frühjahr 2011. Narong Sangnak/picture-alliance/dpa "Reparationen für Klimaschulden": Forderung zivilgesellschaftlicher Aktivisten in Bankok im Frühjahr 2011.

Horst Köhler behagt die Formulierung „Post-2015 Development Agenda“ nicht. Er spricht lieber von „Global Agenda“. Der ehemalige Bundespräsident und frühere Spitzenmann des Internationalen Währungsfonds erklärt das so: „Ich denke nicht, dass wir so tun sollten, als hätten nur die Entwicklungsländer ein Problem.“

Globale Herausforderungen sind in seinen Augen hoch relevant. Es sei sinnlos, über Ernährungssicherheit zu sprechen, ohne die Weltfinanzordnung ins Visier zu nehmen, denn Spekulation könne zu heftigen Ausschlägen der Lebensmittelpreise beitragen. Köhler will nicht über Armut reden, ohne die Ungerechtigkeit des Welthandelsystems zu erörtern. Er weist darauf hin, dass der Klimawandel mit der sinkenden Ertragskraft von Agrarböden zu tun hat und dass Frieden und Sicherheit auch davon abhängen, dass Kleinwaffen weltweit kontrolliert werden. Angesichts solcher Zusammenhänge äußert er die Hoffnung, dass ein faireres System von Global Governance möglich sei.

Köhlers Meinung zählt. Er ist Mitglied des High-Level Panel on the Post-2015 Development Agenda, das von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon beauftragt wurde, bis Ende Mai einen Bericht darüber zu verfassen, worauf die multilaterale Entwicklungspolitik künftig ausgerichtet sein soll. Das Panel ist aber nicht das einzige UN-Gremium, das an solch einer Agenda arbeitet. Beim Rio+20 Gipfel im vorigen Jahr wurde nämlich beschlossen, Sustainable Development Goals (SDGs) zu formulieren – und auch dafür gibt es eine Arbeitsgruppe.

Die deutsche Fachwelt ist sich weitgehend darüber einig, dass die beiden Stränge zusammengeführt werden müssen (siehe Dirk Niebel in E+Z/D+C 2013/04 S. 166f). Es ist aber leichter gesagt als getan, in verschiedenen Politikfeldern für Kohärenz zu sorgen. Wael Hamidan vom Climate Action Network International, einem zivilgesellschaftlichen Dachverband, kennt die Schwierigkeiten. Ihm zufolge wissen nichtstaatliche Organisationen zwar, dass Klimawandel und Armut eng miteinander zu tun haben, aber sie bleiben dabei, diese Phänomene als separate Themen zu diskutieren.

„Wir müssen das Schubladen-Denken überwinden“, sagte er Ende März bei einer Tagung, die das Berlin Civil Society Center im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Bonn veranstaltete. Es ging darum, der internationalen Zivilgesellschaft ein Forum zu geben.

Kritik and den MDGs

Vielen zivilgesellschaftlichen Aktivisten hat die MDG-Agenda nie wirklich gefallen. Mängel sind aus ihrer Sicht,

  • dass die Ziele von Spitzenpolitikern ohne öffentliche Diskussion beschlossen wurden,
  • dass sie karitativ sinnvolle Ergebnisse benennen, aber Menschen keine Rechte darauf zusprechen, und
  • dass sie keinerlei Rechenschaftspflicht definieren.

Manche Verbandsfunktionäre sagen sogar, die MDGs hätten mehr zur Legitimität beigetragen als zur Zurückdrängung der Armut.

Entsprechend ist es vielen nichtstaatlichen Organisationen nicht besonders wichtig, bei der Formulierung einer post-MDG-Agenda mitzuwirken. Manchen behagt auch das Konzept der SDGs nicht – ihre Sorge ist, die Betonung ökologischer Zusammenhänge könne dazu führen, dass weniger Geld für die Armutsbekämpfung zur Verfügung gestellt wird.

Manche Vertreter von unabhängigen Initiativen in Entwicklungsländern fürchten zudem, zu Schachfiguren der einflussreichen, international tätigen NGOs (non-governmental organisations) gemacht zu werden. Die großen INGOs (international NGOs) ähneln nämlich, wie Ahmed Swapan Mahmud von der nichtstaalichen Organisation VOICE aus Bangladesh sagt, in vieler Hinsicht Geberinsitutionen. Solche Vorbehalte erschweren selbstverständlich die Kooperation.

NGOs aus Entwicklungsländern gehen meist davon aus, dass sie mit ihren knappen Mitteln auf der nationalstaatlichen Ebene mehr erreichen können als in der mulitlateralen Arena. Das berichtet jedenfalls Paul Quintos of IBON International, einer philippinischen Organisation, die sich auf Aus- und Fortbildung spezialisiert hat. Quintos hält aber die Post-2015 Agenda für „zu wichtig, um sie Regierungen zu überlassen“. Er sagt, es komme darauf an, die Wechselwirkungen zwischen lokalen und globalen Dingen herauszustellen.

Konsensfähig

Trotz diverser Schwierigkeiten konvergieren die Ansichten von NGOs weltweit, wie Joanna Kerr von Action Aid International aufgefallen ist. Ihr zufolge besteht längst Konsens über fünf Grundprinzipien:

  • Globale Agenden müssen universal sein und für alle Menschen in allen Ländern gelten.
  • Sie müssen zudem auf einem umfassenden Verständnis der Menschenrechte einschließlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte beruhen.
  • Rechenschaftspflichten müssen definiert werden.
  • Ökologische Nachhaltigkeit ist Querschnittsaufgabe, weil der Klimawandel oder der Verlust von biologischer Vielfalt Erfolge in der Armutsbekämpfung schnell zunichte machen.
  • Es geht darum, Ungleichheit zu verringern und nicht nur Armut zu bekämpfen.

Die Konferenz in Bonn zeigte, dass diese Grundsätze in der Tat breiten Anklang finden. Viele NGO-Vertreter äußerten Enttäuschung, nachdem Homi Kharas, der Hauptautor des noch unfertigen Panel-Abschlusspapiers, von seiner Arbeit berichtet hatte. Kharas sagte zwar, es gehe darum, Armut zu beenden und nicht nur zu reduzieren – er sagte aber auch, Armut zu definieren und etwas dagegen zu unternehmen, sei Aufgabe der Nationalstaaten. Diese Haltung widersprach dem NGO-Wunsch nach universellen, auf Rechten beruhenden Standards.

Verärgert waren die zivilgesellschaftlichen Aktivisten, die staatliche Stellen für Misserfolge zur Rechenschaft ziehen können wollen, auch über die Aussage von Kharas, die Privatwirtschaft werde bei der Zurückdrängung von Armut eine zentrale Rolle spielen. Ob der Bericht des High-Level Panel and Ban ki-Moon den Biss bekommt, den sich NGO-Spitzenleute wünschen, bleibt indessen abzuwarten. Kharas konnte sein Publikum in Bonn Ende März jedenfalls nicht detailliert über die noch nicht abgeschlossenen Beratungen des Panels, in dessen Auftrag er arbeitet, informieren.

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