SWP-Studie

Differenzierte Maßnahmen

Obwohl viele Länder in Subsahara-Afrika Fortschritte erzielt haben, verzeichnen sie immer noch hohe Geburtenraten. Eine aktuelle Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) analysiert, warum dies so ist, und plädiert dafür, dass Maßnahmen zu Familienplanung je nach Voraussetzung differenziert gestaltet werden müssen.
In Äthiopien variiert die Geburtenrate je nach Region zwischen  1,5 und sieben Kindern pro Frau: Katholische Hochzeit in Addis Abeba. Jörg Böthling/Photography In Äthiopien variiert die Geburtenrate je nach Region zwischen 1,5 und sieben Kindern pro Frau: Katholische Hochzeit in Addis Abeba.

Die SWP-Autoren Steffen Angenendt und Silvia Popp stellen fest, dass die Geburtenraten in den meisten der 49 Länder Subsahara-Afrikas entgegen dem weltweiten Trend seit den 1960er-Jahren kaum gesunken sind. Gleichwohl gibt es zwischen den Ländern beträchtliche Unterschiede. Die Geburtenraten in vielen Staaten der Sahelzone sind heute kaum niedriger als in den 1960er-Jahren. In vielen ostafrikanischen Ländern wie Kenia und Tansania hingegen nahm die Zahl der Geburten in den späten 1980er-Jahren zunächst ab, verharren seitdem aber auf relativ hohem Niveau.

Die Gründe dafür sind vielschichtig, erklären Angenendt und Popp: Wie asiatische und lateinamerikanische Länder bewiesen, lassen sich hohe Geburtenraten durch gezielte politische Maßnahmen für sozioökonomische Entwicklung – wie bessere Gesundheitsversorgung, längere Sekundarschulbildung (vor allem für Mädchen) und Zugang zu Verhütungsmitteln – reduzieren. Da einiges davon in Ostafrika umgesetzt wurde, vermuten die Wissenschaftler, dass hier noch andere Faktoren entscheidend sind. Tatsächlich wurde ihrer Meinung nach bislang zu wenig beachtet, welche Rolle der Kinderwunsch spielt, also die von den Eltern angestrebte „ideale“ Kinderzahl.

Bislang ist die Datenlage zu diesem Thema dünn. Als gesichert gilt laut Studie, dass wachsender Wohlstand den Wunsch nach weniger Kindern mit sich bringt. Das gilt aber nicht immer, wie die genannten Beispiele zeigen. Die Autoren vermuten, dass der anhaltende Wunsch nach vielen Kindern in vielen Ländern auch darin begründet liegt, dass die Regierungen jahrzehntelang nichts gegen das Bevölkerungswachstum unternommen haben und es teils sogar gefördert haben.

Auch in höher entwickelten Ländern ist es aber sinnvoll, die Zahl der Geburten weiter zu reduzieren. Denn hohe Geburtenraten bergen individuelle und gesellschaftliche Risiken – und behindern weiteren Fortschritt, warnt die Studie. Beispiele sind die Gesundheitsrisiken für Frauen, die viele Kinder bekommen. Außerdem haben Staaten Schwierigkeiten, für eine große Zahl junger Bevölkerungsschichten genügend Bildungseinrichtungen und Arbeit zur Verfügung zu stellen. Fehlende Perspektiven und Armut können wiederum zu innerstaatlichen Konflikten führen.

Für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit unterscheiden die Autoren drei Ländertypen:

  • Länder mit stark ausgeprägtem Kinderwunsch und niedrigem sozioökonomischen Entwicklungsniveau,
  • Länder mit höherem Entwicklungsstand und stagnierenden Geburtenraten und
  • Länder mit extrem unterschiedlichen Geburtenraten.

Länder mit niedrigem Entwicklungs­niveau sind häufig fragil, und ihre Regierungen haben nur wenig Handlungsspielraum, stellt die Studie fest. Hier muss zuerst medizinisches Personal auch außerhalb der Gesundheitseinrichtungen ausgebildet werden. Dann hätten auch Menschen in entlegenen Regionen eine Chance auf Beratung und Versorgung.

In Ländern mit höherem Entwicklungsstand müssen nach Ansicht der Autoren die Massenmedien und das Bildungswesen sinnvoller genutzt werden, um die Menschen von den Vorteilen kleiner Familien zu überzeugen. Einige Regierungen, etwa in Ghana, Kenia, Tansania, Malawi und Ruanda, hätten Erfolge mit Kampagnen erzielt. Entscheidend für eine positive Wirkung seien folgende Aspekte: Es sollte eine offene Diskussion über ideale Familiengrößen und eine politische Wertschätzung von kleinen Familien geben. Darüber hinaus müssten die Familien über Verhütungsmethoden aufgeklärt und Sexualkundeunterricht in Schulen eingeführt werden, resümiert die Studie.

In Ländern mit extremen Divergenzen bei den Geburtenraten, wie etwa Äthiopien, müssten kleinräumige und differenzierte Maßnahmen angewendet werden, folgern die SWP-Autoren. Entscheidend sei oft, ob die Menschen in ländlichen oder städtischen Gebieten leben und gravierende Einkommensunterschiede bestünden. Für gezielte Maßnahmen bedürfe es einer genauen Analyse der tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen.

Sabine Balk

Link:
Angenendt, S., und Popp, S., 2014:
Bevölkerungs­wachstum, Fertilität und Kinderwunsch. SWP-Studie.
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2014_S20_adt_pop.pdf

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