Justiz-Angelegenheiten

„UN-Tribunale können helfen“

Sicherlich braucht Marktwirtschaft ein Mindestmaß an Rechtssicherheit, wenn sie erfolgreich sein soll. Doch es geht um mehr: Gerechtigkeit und gesellschaftliche Stabilität.

[ Interview mit Herta Däubler-Gmelin. ]

[ Interview mit Herta Däubler-Gmelin ]

Inwiefern hängen Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Justiz zusammen?

Die Unabhängigkeit der Justiz gehört zu den wichtigsten Grundlagen jedes modernen Rechtsstaats. Wo Richter die Hand aufhalten oder nicht allein der Verfassung und den Gesetzen folgen, sondern etwa der Politik zu Diensten sein wollen, da können Bürgerinnen und Bürger kein Vertrauen in das Recht und damit in ihren Staat entwickeln. Korrupte und abhängige Richter untergraben damit auch die Stabilität eines Staates.

Aber wie kontrolliert man dann Richter, sie sind doch auch nur Menschen und können irren?

Zur Korrektur „inhaltlich falscher“ Entscheidungen gibt es die Instanzgerichte: Ein Bürger, der befürchtet, ein Richter habe das Gesetz zu seinen Lasten falsch angewandt, kann das Urteil dort überprüfen lassen. Und unsere Polizei und die Gerichte selbst verfolgen korrupte Richter besonders streng. Auch Politiker, die sich in die Justiz einmischen, und alle Personen, die versuchen, Richter zu bestechen, werden ohne Nachsicht verfolgt und bestraft. Im Übrigen sichern auch eine gute Ausbildung und eine angemessene Bezahlung der Richter ebenso wie klare Gesetze die persönliche und institutionelle Unabhängigkeit und auch, dass allein die Verpflichtung auf Recht und Gesetz maßgeblich ist. Besonders wichtig ist auch, dass Öffentlichkeit, also Zivilgesellschaft und Medien wirksam mit kontrollieren. Alle diese Faktoren sind nötig, um die Unabhängigkeit der Justiz und damit auch das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat zu schaffen und zu bewahren.

Die moderne Vorstellung von menschengemachtem Recht passt nicht zu traditionellen Ideen („Das war schon immer so“) oder gar dem Glauben an gottgegebenes Recht. Wie lassen sich solche Konflikte in der Praxis lösen?

Ein moderner Rechtsstaat ist der klaren Normenhierarchie verpflichtet. An der Spitze steht die Verfassung mit einem unveränderlichen, auch durch bindende Völkerrechtsnormen geschützten Menschenrechtsteil. Alle Gesetze, aber auch die Handlungen von Regierung und Behörden, wie auch die Urteile der Justiz sind an diese Verfassung gebunden. Traditionelle Ideen oder überkommene Sitten und Bräuche müssen sich an diesen Normen und Menschenrechten messen lassen. Wenn sie gegen Menschenrechte verstoßen – wie das etwa bei der Sitte der Genitalverstümmelung, bei der Diskriminierung von Frauen oder auch von Minderheiten der Fall ist –, dann müssen sie abgeschafft werden. Daran führt kein Weg vorbei, auch wenn das zunächst zu Auseinandersetzungen führt. Auch die lebhafte Diskussion unter Rechtswissenschaftlern und Praktikern hilft dabei.

Das ist leichter gesagt als durchgesetzt.

Konflikte kann es besonders in Ländern geben, die keine Trennung von Staat und Religion haben oder haben wollen. Das zeigt sich derzeit besonders im islamischen Einflussbereich. Die Türkei oder auch einige zentralasiatische Republiken bestehen auf der klaren Trennung von Staat und Religion. Andere Staaten mit islamischer Religion sehen sich aber als „islamische“ oder gar „Gottesstaaten“. Sie stellen die Scharia in ihrer eigenen Auslegung über ihre Verfassung, über die ratifizierten Völkerrechtsnormen und andere staatliche Gesetze, oder sie erkennen die Scharia sogar als einzige Rechtsordnung an. Damit verstoßen sie allerdings gegen die grundlegende Erkenntnis, dass religiöse Gebote immer nur für Angehörige der jeweiligen Religionsgemeinschaft gelten können. Sie für Andersdenkende verbindlich zu machen verletzt deren Menschenrechte, die eine staatliche Rechtsordnung gewährleisten kann und muss. Das macht die Trennung von Staat und Religion besonders wichtig. In Europa haben die Menschen und die Herrschenden diese Lektion nach Jahrhunderten schrecklicher „Glaubenskriege“ lernen müssen. Sie ist die Grundlage für die Universalität der Menschenrechte.

Die Weltbank betont seit einem Jahrzehnt die Bedeutung von Good Governance. Dennoch tut sie – und die Gebergemeinschaft überhaupt – relativ wenig in Sachen Justizreform. Muss das so sein, weil es um innenpolitische Dinge geht, oder sollte in Zeiten der Globalisierung nicht auch diese Thematik stärker zum entwicklungspolitischen Thema werden?

Der Aufbau von Institutionen, die Verfassung, Gesetz und Recht hüten und durchsetzen, gehört zweifellos zum überall anerkannten Grundsatz von „Good Governance“. Fortschritt lässt sich vielfach feststellen: In China beispielsweise werden nicht nur der wirtschaftliche Aufbau und die Förderung von Bildung und Ausbildung vorangetrieben, sondern auch die Entwicklung hin zum Gesetzesstaat. Auch in Afrika nehmen viele Staaten die Schaffung und Durchsetzung von Gesetzen und den Aufbau einer professionellen Justiz sehr ernst. Dennoch wird überall auch sichtbar, dass noch viel zu tun ist.

Eine besondere Problematik ist der Übergang von Unrechtsregimen oder völliger Rechtlosigkeit in Bürgerkriegen zu einer neuen Ordnung. Was muss getan werden, damit die Transition erfolgreich gelingt?

In den verschiedenen Regionen der Welt hat es in den letzten Jahrzehnten ganz unterschiedliche Wege des Übergangs aus Unrechtsstaaten oder nach Bürgerkriegen in rechtsstaatliche Systeme gegeben. Nach dem Ende des Kalten Kriegs haben die meisten Staaten in Mittel- und Osteuropa, die früher zur Sowjetunion gehörten, den Übergang zu rechtsstaatlichen Systemen geschafft. Im wiedervereinigten Deutschland haben Richterinnen und Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte aus den Ländern der früheren Bundesrepublik geholfen, die Gerichtsbarkeit in den neuen Ländern aufzubauen. In Polen, Tschechien und anderen Staaten kam Unterstützung aus Partnerländern der Europarats und der Europäischen Union. Auch die Vereinten Nationen haben Modelle der Transitionshilfe entwickelt. Alle diese Erfahrungen und die Modelle der Zusammenarbeit können heute auch anderswo in der Welt nutzbar gemacht werden. Allerdings ist klar: Der Übergang in den Rechtsstaat kostet immer Zeit, Mühe und Geld.

Wo erkennen Sie vielversprechende Entwicklungen?

Die Republik Südafrika hat nach dem Ende der Apartheid aus eigener Kraft ein musterhaftes Gerichtssystem aufgebaut. In anderen Ländern Afrikas, wie Ruanda und Uganda, helfen die UN, aber auch die Afrikanische Union. Grundsätzlich können UN-Tribunale durch Zusammenarbeit mit nationalen Gerichten den Aufbau der Rechtsstaatlichkeit unterstützen. Gute Beispiele dafür sind das International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) in Den Haag oder das International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR) in Arusha.

Rechtsstaatlichkeit ist aber auch für das Wirtschaftsleben entscheidend – nur wenn Verträge wirklich bindend sind, können Märkte funktionieren.

Ich glaube, die Erkenntnis ist mittlerweile weit verbreitet, dass Wirtschaft in Willkürstaaten wenig reüssieren kann, sondern verlässliche Regeln und deren Durchsetzung braucht. Deshalb ist ja auch mit dem Beitritt etwa zur WTO überall ein gewisses Maß an Fortschritt hin zur Gesetzlichkeit zu beobachten. Allerdings darf sich unsere Forderung nach Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht damit zufriedengeben. Unverzichtbar ist vielmehr, dass die Bedürfnisse der Menschen selbst gesehen werden, nicht nur die der Wirtschaft. Nur das sichert ein menschliches Maß an Gerechtigkeit und damit auch an Stabilität einer Gesellschaft. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind unverzichtbare Elemente jeder stabilen und zukunftsfähigen Gesellschaft. Das gilt selbstverständlich auch für Deutschland: Wir brauchen faire Verhältnisse und nicht einfach nur möglichst hohes Wirtschaftswachstum.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.

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