Bildende Kunst in China

Kritisches Potenzial geht, konkrete Kritik nicht

Die Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 warf auch die erste vergleichsweise freie Künstlergeneration im kommunistischen China um Jahre zurück. Viele trieb die Enttäuschung ins Ausland, andere blieben und prägten einen Stil, der als „Zynischer Realismus“ bekannt wurde. Heute herrscht in den Ateliers weitgehende Freiheit, empfindlich kritische Kunst kann öffentlich aber nicht gezeigt werden.
Wang Cheng Yun vor einer Arbeit aus seiner Serie „Der große Verbrauch“. personal photo Wang Cheng Yun vor einer Arbeit aus seiner Serie „Der große Verbrauch“.

Im Frühjahr 1989 standen Chinas junge Künstler vor dem Durchbruch. Ein gutes Jahrzehnt hatten die Studenten und Akademieabsolventen sich ausprobieren und entfalten können, zunehmend befreit von maoistischen Dogmen und den strengen Vorgaben einer uralten Tradition. Die Maler begeisterten sich für die Kunst des Westens und ihre radikale Selbstaussprache, sie adaptierten ihre Spielarten von Expressionismus über die Abstraktion bis hin zur Pop Art.

Die jungen Idealisten sahen sich als Teil eines großen Aufbruchs, einer gesellschaftlichen Erneuerungsbewegung, die von Spitzenpolitikern wie KP-Generalsekretär Zhao Ziyang mitgetragen wurde. Im Epizentrum der Macht, im Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Friedens in Peking, durften Akademieabsolventen ihre Arbeiten zeigen: frei gestaltete Werke.

Doch nach wenigen Tagen wurde die Schau geschlossen. Nur Wochen später, am 4. Juni 1989, schlug die Staatsführung unter Deng Xiaoping die Demokratiebewegung brutal nieder. Das bedeutete auch für die Künstler den Beginn einer neuen Eiszeit. Einige gingen tief enttäuscht und desillusioniert ins Ausland, darunter der Pekinger Ausstellungsteilnehmer Li Di (Jahrgang 1963) oder der nationale Förderpreisträger Wang Cheng Yun (Jahrgang 1959) aus Chengdu. Sie entschlossen sich, praktisch ohne Geld und Sprachkenntnisse, an der Kunsthochschule Braunschweig in die Kunst des Westens einzutauchen.

Andere blieben, fanden sich in Ateliers zu neuen Gruppen zusammen und prägten vorerst im Halbverborgenen einen Stil, der als „Zynischer Realismus“ bekannt wurde. Ikonisch wurden die Bilder von Yue Minjun (Jahrgang 1962). Sie zeigen in knalligen Farben gemalte, identisch aussehende Männer, die grinsend ihre Zähne blecken. Eine karikaturenhafte, übersteigerte Fröhlichkeit, die ins Unheimliche umschlägt – das Land des Lächelns als Groteske. Yues „Exekution“, 1995 in Öl gemalt, stellt feixende Todeskandidaten vor einer gespielten Hinrichtung dar. 2007 wurde das Bild für umgerechnet knapp 6 Millionen Euro in London versteigert, als bisher teuerstes zeitgenössisches Kunstwerk aus China.

Auch andere chinesische Pop-Art-Künstler erlangten internationale Bekanntheit. Fang Lijun (Jahrgang 1963) etwa, dessen plakative Bildflächen glatzköpfige Mannsbilder bevölkern, oder Zeng Fanzhi mit seinen irritierenden Maskenbildern. Er ist laut Financial Times derzeit Chinas reichster Maler.


Kommerzieller Erfolg

Ein Meilenstein für die Wahrnehmung neuer Kunst aus dem Reich der Mitte war die Biennale von Venedig 1999. Kurator Harald Szeemann machte sie zu einem Schwerpunkt; die weltweite Aufmerksamkeit war geweckt. Das Interesse chinesischer Sammler und Investoren auch – und damit ein gewaltiger Markt. Der Umsatz des chinesischen Kunsthandels wird heute auf mehr als 11 Milliarden Euro pro Jahr beziffert.

Die kommerziell erfolgreichsten chinesischen Künstler erzielen ähnlich hohe Preise wie die großen Namen im Westen. Viele Maler, Skulpturenbildner und Videokünstler haben ein gutes bis ordentliches Auskommen. Die nach Braunschweig emigrierten Li Di und Wang Cheng Yun sind in den 2000er Jahren nach China zurückgekehrt. Sie leben dort mindestens ebenso gut wie in Deutschland, und sie empfinden das dynamische, widersprüchliche China als künstlerisch herausfordernder.

Das unangefochtene Zentrum der Szene ist Peking. Zur Attraktion wurde das frühere Fabrikgebiet Dashanzi 798. Seit Mitte der 90er Jahre gründeten Hunderte von Künstlern hier Ateliers, darunter auch Chinas bekanntester Gegenwartskünstler Ai Weiwei. Was als Untergrundprojekt begann, ist heute ein Touristenmagnet mit Dutzenden teils namhaften Galerien. Eine andere große Künstlerkolonie ist das Quartier Songzhuang am östlichen Rand der Metropole, wo mehr als 2000 Künstler leben und arbeiten.

In ihren Ateliers und Privaträumen genießen sie (und ihre Käufer) weitgehende Freiheit. Bei öffentlichen Ausstellungen kommt es dagegen durchaus zu Zensur. Die große Mehrzahl der Museen steht unter staatlicher Kuratel. Empfindlich kritische Kunst ist hier nicht zu sehen; teilweise werden auch in privaten Galerien Objekte wieder entfernt. Wer durch das Kunstquartier 798 spaziert, wird allerdings überrascht sein von der Freizügigkeit, Drastik, auch vom provokativen Potenzial vieler Arbeiten. Nicht wenige sind mehr oder weniger verschlüsselte Kommentare zu Problemen der chinesischen Gesellschaft wie der Umweltzerstörung, dem Materialismus, der Ein-Kind-Fixierung oder der Ellbogengesellschaft. Nur konkrete Kritik an Staat und Partei findet man in öffentlich gezeigten Arbeiten selten. Wer sie so konsequent übt wie Ai Weiwei, der bekommt Probleme.

Seit Xi Jinping 2012 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei und 2013 zum Staatspräsidenten aufstieg, hat sich der Druck auf die Zivilgesellschaft und damit auch auf die Künstler verstärkt. Im Frühjahr 2015 gab Xi auf einem Kulturkongress vor Künstlern, Filmschaffenden und Architekten eine neue Leitlinie vor: Sie sollten patriotische und „korrekte Ansichten“ zur Geschichte und Kultur hervorbringen. Eine Ministeriumsabteilung regte gar an, Künstler sollten für eine Zeit „mit der Landbevölkerung leben, um ihr Weltbild zu überdenken“.

Das ist ein bedenklicher Rückfall in maoistische Vorstellungen und Drohkulissen, meint Walter Smerling, Direktor des Duisburger Museums Küppersmühle und Initiator der Großausstellung China 8 in acht Ruhrgebietsstädten im Sommer 2015. Am Kuratorium war auch der Präsident der zentralen Akademie der Künste in Peking, Fan Di‘an, beteiligt. Es habe lange Diskussionen über einige Werke gegeben, aber am Ende keine Zensur, sagt Smerling. Ai Weiwei habe sich leider gegen eine Teilnahme entschieden.

 

Gute handwerkliche Ausbildung

Für eine künstlerische Laufbahn in China ist ein Studium an einer der rund ein Dutzend renommierten Kunstakademien des Landes keine unbedingte Voraussetzung, aber von Vorteil. Der Andrang ist groß, die Hürden für eine Aufnahme sind hoch. Die handwerkliche Ausbildung an den Akademien gilt als ausgezeichnet. Der Schwerpunkt liege jedoch immer noch auf der Adaption tradierter Techniken und weniger auf der Entwicklung individuellen Ausdrucks, sagt Wang Cheng Yun. Er engagiert sich an der Akademie in Chengdu dafür, diesen Aspekt in der Lehre zu stärken.

Die junge, freie Kunstauffassung wird „Xinhua“ genannt. Es gibt jedoch nicht wenige Künstler, die den weiter vorhandenen Markt für „Guohua“ bedienen, die traditionelle Kunst (siehe Kasten). Nicht alle Künstler scheffeln dabei ein Vermögen. Viele verdienen in der Kreativwirtschaft, beim Film, in der Werbung oder als Designer ihr Geld. Oder sie fahren Taxi und porträtieren Touristen.

Unter den ambitionierten, eigenständigen Künstlern ist nach einer an westlicher Pop Art orientierten Phase eine stärkere Differenzierung zu beobachten, ein Besinnen auf die eigene Tradition. Huang Min (Jahrgang 1975) zeigt die Entfremdung der Gesellschaft von ihren Wurzeln anhand grellbunt gekleideter Touristen, die in eine traditionell gezeichnete Tuschelandschaft starren. Zhang Huan (Jahrgang 1965) malt fotorealistische Schwarz-weiß-Motive aus den 1960er und 70er Jahren, die aus der Zeit gefallen wirken: seine Literaturprofessorin, seine langbezopfte erste Liebe, Propagandamotive. Ihre Vergänglichkeit ist ihrer Textur eingeschrieben: Asche auf Leinen.


Florian Arnold ist Kulturredakteur bei der Braunschweiger Zeitung und ein Kenner chinesischer Kunst. Zuletzt war er als Stipendiat der Robert-Bosch-Stiftung in China.
florian.arnold@bzv.de

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