Dezentralisierung

Mit Dezentralisierung auf lokale Bedürfnisse eingehen

Mit der 2013 eingeführten Dezentralisierung verteilte Kenia die Macht auf 47 regionale Einheiten und förderte so die lokale Entwicklung. Obwohl eine bessere Ressourcenverteilung und mehr Bürger*innenbeteiligung erreicht wurden, bestehen weiterhin Probleme im Hinblick auf Steuererhebungen, Korruption und Tribalismus.
Dank der Dezentralisierung werden nun auch in Kenias Wüstenregionen Kliniken gebaut. picture-alliance/REUTERS/BAZ RATNER Dank der Dezentralisierung werden nun auch in Kenias Wüstenregionen Kliniken gebaut.

Was bedeutet Dezentralisierung in Kenia, und wann wurde sie eingeführt?

Die Dezentralisierung wurde 2013, drei Jahre nach Verabschiedung der neuen kenianischen Verfassung, eingeführt. Mit dieser Verfassung wurde die Macht neu verteilt, indem sie die Zuständigkeiten von der nationalen Regierung auf 47 gewählte Countyregierungen übertrug. Als Countys bezeichnet man in Kenia halbautonome Gebietskörperschaften, die eigene Gouverneure wählen.

Inwiefern entscheiden die Countys seither eigenständig?

Die Countys haben unterschiedliche Bedürfnisse – aufgrund von Klima, Umwelt oder Kultur. Daher war es gut, die Regierung in Untereinheiten zu dezentralisieren, in denen Bürger*innen die Entwicklungsstrukturen selbst bestimmen können.

Dezentralisierung hat das Potenzial, Kenias langwierige Probleme der regionalen Unausgewogenheit, Ausgrenzung von Randgruppen und ethnischen Ungleichheiten anzugehen und die lokale Selbstverwaltung zu stärken.

Welche positiven Ergebnisse sind zu sehen?

Seit Einführung des Systems ist viel erreicht worden. Vor allem wurden die nationalen Ressourcen gleichmäßig auf die Countys verteilt. Jedes County hat somit gleiche Wachstumschancen. Die Countys erhalten 30 Prozent der nationalen Einnahmen – basierend auf Faktoren wie Bevölkerung, Armutsquote, Landfläche und Steuerverantwortung.

Positiv ist auch, dass die Öffentlichkeit seither stärker beteiligt ist. Die Entscheidungsfindung auf Regierungsseite ist so fundierter, da die auf Countyebene getroffenen Beschlüsse auf lokalen Bedürfnissen beruhen müssen.

Wie sieht diese verstärkte Bürger*innen­beteiligung konkret aus?

Die Dezentralisierung bietet den Bürger*innen eine Plattform, um Beschwerden vorzubringen. Das macht die Regierungsführung auf Countyebene flexibler und effektiver. Die lokale Regierung kann ihre Dienstleistungen auf die Bedürfnisse der verschiedenen Gruppen in ihrem Gebiet zuschneiden. Sie kennt ihr Gemeinwesen in der Regel ohnehin besser als die nationale Regierung. Aber es bleibt viel zu tun. Junge Menschen, Frauen und Menschen mit Behinderungen sind in allen Countyregierungen weiter unterrepräsentiert.

Welche Herausforderungen oder negativen Aspekte haben Sie seit der Dezentralisierung im Land beobachtet?

Die Herausforderungen liegen in der Steuererhebung durch die Countyregierungen sowie in der Misswirtschaft der von der nationalen Regierung bereitgestellten Mittel. Einige Countys haben kein Standardverfahren zur Steuererhebung eingeführt und verlassen sich weitgehend auf die Gelder der Landesregierung, die sie aber eigentlich durch eigene ergänzen sollten. Weitere Countys sind in Verruf geraten, weil sie Gelder veruntreut haben, andere können keine Rechenschaft über diese ablegen, obwohl es Gesetze für das Verwalten der Mittel gibt.

Mancherorts hat sich auch Tribalismus verstärkt, besonders im Beschäftigungssektor. Bestimmte ethnische Gruppen dominieren bestimmte Countys. Es findet sich kaum eine lokale Regierung, in der verschiedene ethnische Gruppen vertreten sind. Dadurch wird weniger interagiert, und es gibt weniger Austausch zwischen den Gruppen. Tribalismus und Vetternwirtschaft hingegen haben zugenommen: Ressourcen und Jobs gehen meist an die Familien oder Gemeinden derjenigen, die sie verteilen. Wären mehr Vertreter*innen kulturell und geografisch entfernter ethnischer Gruppen in einer Countyregierung, wäre es weniger einfach, die eigene Gemeinde durch die dem jeweiligen County zugewiesenen Mittel zu bereichern.

Wie hat die Dezentralisierung die Verteilung von Ressourcen und Dienstleistungen in den verschiedenen Countys verändert?Vor Einführung des dezentralen Systems fühlten sich Menschen in vielen Regionen ausgegrenzt und wünschten sich Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen in Wohnortnähe. Die meisten Ressourcen, etwa öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser und Schulen, befanden sich in städtischen Zentren.

Seit der Dezentralisierung hat jedes County die gleichen Chancen, wichtige Infrastrukturen aufzubauen, da die Ressourcen gleichmäßig verteilt werden. Einige Countys expandieren und investieren in vielen Bereichen. Dennoch gibt es weiterhin Probleme mit der Qualität und Effizienz einiger Dienstleistungen. Das liegt auch an der weit verbreiteten Korruption und Fehlallokation von Ressourcen.

Welche Maßnahmen wurden insbesondere im Hinblick auf die lokalen Regierungen ergriffen, um Rechenschaftspflicht und Transparenz zu gewährleisten?

Es gibt keine geeigneten Maßnahmen – das ist die größte Herausforderung für das System. Stattdessen werden meiner Meinung nach viele Ressourcen verschwendet, etwa durch die Duplizierung von Stellen, damit Familie und Freunde einen Posten bekommen.

Gewisse Dienstleistungsabläufe für die Bürger*innen sind ebenfalls nicht optimal. Beispielsweise wählen wir Senator*innen, die den Gouverneuren unterstellt sind. Sie sollen eng mit den Bürger*innen zusammenarbeiten und deren Beschwerden weiterleiten – nur haben sie oft nicht einmal ein Büro, wohin man kommen kann. Das Hauptproblem ist aber, dass es dem dezentralen System immer noch an einer definierten Struktur, Standardverfahren und klaren Rollenbeschreibungen fehlt.

Gibt es Sektoren oder Bereiche, wo sich klare Vorteile der Dezentralisierung zeigen?

Die Dezentralisierung hat sich durchaus bewährt, vor allem im Gesundheitssektor. Einige Countys haben neue Gesundheitseinrichtungen eingeführt und die medizinische Versorgung verbessert. In allen 47 Countys gibt es jetzt grundlegende medizinische Ausrüstung. Die Dezentralisierung hat es auch möglich gemacht, kommunale Gesundheitshelfer*innen einzusetzen, wodurch die lokalen Regierungen besser auf bestimmte medizinische Notfälle auf Gemeindeebene reagieren können.

Auch die Entwicklung der Infrastruktur hat sich positiv ausgewirkt. Allerdings ist viel Geld in Bau und Instandhaltung von Straßen geflossen. Die Countys beantragen gerne Mittel für die Infrastruktur, weil diese Töpfe gut gefüllt sind, dabei wäre Entwicklung in anderen Bereichen vielleicht nötiger. Im Bildungsbereich etwa fokussieren die Countys eher den Trend zur frühkindlichen Förderung und ignorieren Lehrer*innenmangel und Infrastrukturprobleme auf den weiterführenden Ebenen.

Gibt es innovative oder erfolgreiche Initiativen auf Countyebene, die anderen Regionen oder Ländern, die eine Dezentralisierung erwägen, als Vorbild dienen könnten?

In den zehn Jahren seit Einführung des dezentralen Systems haben einige Countys erstaunliche Innovationen hervorgebracht, bei denen die Menschen vor Ort eine wichtige Rolle gespielt haben. Ihre Regierungen gaben ihnen eine Plattform für Vorschläge zur Förderung der Selbstständigkeit, wodurch die steigende Arbeitslosigkeit bekämpft werden könnte. Zwei Countys, die das gut gemacht haben, sind Makueni und Kitui. Sie liegen in den östlichen semiariden Regionen Kenias, haben mit finanzieller Hilfe ihrer Regierungen eine Mango- bzw. Lederindustrie aufgebaut und nutzen dafür die jeweiligen regionalen Ressourcen, örtlichen Gegebenheiten und kulturelles Wissen. Dies hat Arbeitsplätze geschaffen und die Eigenständigkeit gestärkt.

Was können andere Länder, die Dezentralisierung als Mittel für Regierungsführung und Entwicklung nutzen wollen, Ihrer Meinung nach vom kenianischen Beispiel lernen?

Ich halte die Einführung dieses Konzepts für eine gute Entscheidung. Entwicklung muss auf lokaler Ebene stattfinden. Auch hat das Konzept das Potenzial für mehr direkte Demokratie und kann so gleichzeitig die Demokratie auf nationaler Ebene stärken. Dezentralisierung kann ebenso den Handel zwischen Regionen fördern, von denen etwa einige eher Landwirtschaft, andere eher Viehzucht betreiben. Dies wird langfristig auch ein Gefühl der Einheit fördern – und das braucht es nicht nur in Kenia.

Moses Lubabali ist ein ehemaliger Mitarbeiter der kenianischen Regierung. Er arbeitete für das Bildungsministerium.
moseslubabali@gmail.com

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