Postdiktatorische Gesellschaft

Lehren aus der Vergangenheit in Gambia

Nach dem Ende einer Autokratie muss sich die politische Kultur eines Landes wandeln, um künftige Menschenrechtsverletzungen auszuschließen. Deshalb muss eine Wahrheitskommission nicht nur Fakten auswerten, sondern auch die Öffentlichkeit nachhaltig einbeziehen. Hier teilt der ehemalige Exekutivsekretär der Wahrheitskommission in Gambia seine Erfahrungen.
Yahya Jammeh herrschte mit roher Gewalt. Yahya Jammeh herrschte mit roher Gewalt.

Am 25. November 2017 verabschiedete die gambische Nationalversammlung den Gesetzesentwurf zur Einrichtung der TRRC (Truth Reconciliation and Reparations Commission – Wahrheits-, Versöhnungs- und Wiedergutmachungskommission). Die Kommission begann ihre öffentlichen Anhörungen im Januar 2019 und überreichte im November 2021 Präsident Adama Barrow ihren Abschlussbericht.

Einen Monat später, am 24. Dezember, veröffentlichte die Regierung den Bericht. Ihre Reaktion folgte im Mai 2022 in Gestalt eines Weißbuchs. Das war eine gute Nachricht für die Opfer, ihre Familien und viele andere Menschen in Gambia und jenseits der Landesgrenzen. Die Regierung akzeptierte von den 275 Empfehlungen der Kommission alle bis auf zwei.

Die beiden abgelehnten Vorschläge waren von geringer Bedeutung. Sie betrafen persönliche Angelegenheiten eines Geheimdienstmitarbeiters und von zehn Richtern aus anderen westafrikanischen Ländern. Auch weitere abweichende Entscheidungen der Regierung waren nebensächlich.

Die Kommission empfahl, jene strafrechtlich zu verfolgen, die sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hatten – darunter den ehemaligen Diktator des Landes, Yahya Jammeh, der jetzt in Äquatorialguinea lebt, sowie seine engsten Vertrauten. Drei Mitglieder seines Todesschwadrons, das „the Junglers“ genannt wurde, stehen derzeit in den USA, der Schweiz und Deutschland vor Gericht. Die Anklagen basieren auf dem Universalitätsprinzip, wonach ein Gericht nicht für den Ort zuständig sein muss, an dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden, um ein Verfahren einzuleiten. Allgemein wird erwartet, dass das Universalitätsprinzip auch Jammeh eines Tages einholen wird, selbst wenn Gambia keine Strafverfolgung einleitet.

Verfassungsrechtliche und kulturelle Reformen

Die Aussicht, einen ehemaligen Staatschef vor Gericht zu stellen, elektrisiert die Bevölkerung – aber auch andere Empfehlungen sind wichtig. Der transformative Auftrag einer Wahrheitskommission hängt von verfassungsrechtlichen und kulturellen Reformen ab. Staatliche Institutionen müssen Rechenschaft ablegen, und Bürgerinnen und Bürger müssen eine Stimme erhalten, um sich gegen Grundrechtsverletzungen wehren zu können.

Die TRRC empfahl deshalb Reformen, um Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen durch Amtsinhaber zu verhindern. In weiteren Empfehlungen ging es um politische Bildung, Versöhnung und sozialen Zusammenhalt sowie die Entschädigung der Opfer.

Die TRRC war ein Wahlkampfversprechen Barrows, als er 2016 als Koalitionskandidat gegen den gestürzten Diktator antrat. Gambia hatte 22 Jahre brutale Diktatur hinter sich. Es gab viele Fälle von Folter, außergerichtlichen Tötungen und verschwundenen Personen – und zahlreiche Gerüchte über ähnliche Taten. Viele wollten die Wahrheit erfahren, deshalb kam Barrows Versprechen, eine Institution zur Wahrheitsfindung einzusetzen, gut an, ebenso wie sein schnelles Handeln nach Amtsantritt als Präsident.

Typische Einwände

Dennoch lief nicht alles reibungslos. Eine kleine, aber kritische Masse äußerte Bedenken. Einige meinten, die Verbrechen des früheren Regimes seien bekannt, und die Schuldigen sollten einfach verhaftet und vor Gericht gebracht werden. Manche warfen der Regierung vor, die Wahrheitskommission als Vorwand zu nutzen, um sich vor dringenderen Aufgaben zu drücken. Andere meinten, die Kommission sei nur eine Geldbeschaffungsmaßnahme für die Beteiligten und werde nichts bewirken. Einige wollten sich nicht beteiligen. Sie beharrten darauf, Yahya Jammeh habe keine Verbrechen begangen, und warfen der TRRC vor, eine Hexenjagd zu betreiben.

Solche Einwände werden häufig gegen Wahrheitskommissionen erhoben. Ihr Zweck ist es, Täterinnen und Täter zu schützen. Sie müssen trotzdem ernst genommen werden.

Angesichts der Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen in vielen Ländern kann man skeptisch gegenüber ihre Wirksamkeit sein. Von Lateinamerika bis Asien und Afrika haben diese Kommissionen Millionen Dollar an öffentlichen Geldern verschlungen, letztlich aber wenig Positives bewegt.

Oft reagierten die Regierungen nicht adäquat auf die meist gute Arbeit der Kommission. Die Behörden ignorierten Abschlussberichte und Empfehlungen, spielten sie herunter oder verweigerten sogar die Veröffentlichung. Wenn Regierungen aber kein Interesse an der Vergangenheitsbewältigung haben, gefährden sie den gesamten staatlichen Übergangsprozess (siehe Fabio Andrés Díaz Pabón auf www.dandc.eu).

Wie man eine Kultur in nur vier Jahren verändert

In Gambia war man sich dieses Risikos von Anfang an bewusst. Die Verantwortlichen der TRRC wollten sicherstellen, dass das Projekt einen Wandel bewirken würde. Sie wollten die politische Kultur des Landes verändern, um Diktatur, politische Straflosigkeit und massive Menschenrechtsverletzungen für die Zukunft zu vereiteln. Die Zeit dafür war allerdings knapp.

Geschichtlich betrachtet haben bestimmte soziokulturelle Faktoren die Diktatur Jammehs ermöglicht. Er stützte sich auf Geheimpolizei, Geheimdienst und sein Todesschwadron. Das Schweigen und die vermeintliche Akzeptanz solcher Brutalität waren aber durch sozio-kulturelle Faktoren begünstigt – insbesondere durch den weitverbreiteten Glauben, die Regierung sei von Gott selbst eingesetzt. Für die meisten in Gambia fühlte sich Widerstand gegen Jammeh deshalb an wie Widerstand gegen Gott.

Eine Wahrheitskommission kann solche Probleme nicht erkennen, wenn sie sich nur auf einzelne Fälle brutaler Unterdrückung konzentriert. Die TRRC stellte deshalb die mittelalterliche Vorstellung eines allmächtigen, unfehlbaren Monarchen infrage und betonte die Grundsätze eines modernen Nationalstaates mit Gewaltenteilung und unveräußerlichen Rechten für alle Bürgerinnen und Bürger.

Sie versuchte auch, die Öffentlichkeit einzubeziehen und Fehler früherer Kommissionen in anderen Ländern zu vermeiden (siehe Kasten). Ihre Strategie hat sich bewährt. Die gambische Gesellschaft hat sich tiefgreifend verändert. Es gibt zwar immer noch Polizeigewalt und Machtmissbrauch, allerdings löst das jetzt regelmäßig Proteste aus. Vor allem in den Städten, wo traditionelle Einstellungen weniger verbreitet sind als im Hinterland, ist eine Kultur des zivilen Widerstands entstanden.


Baba G. Jallow ist der ehemalige Exekutivsekretär der gambischen Kommission für Wahrheit, Versöhnung und Wiedergutmachung (TRRC).
gallehb@gmail.com

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