Thomas Fues, Deutsches Institut für…

„Wir brauchen eine Allianz alter und neuer Geber“

Die internationale Entwicklungsarchitektur ist um eine Institution reicher: Im Juli wurde bei den Vereinten Nationen in Genf das Development Cooperation Forum (DCF) eröffnet. Es soll unter dem Dach des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) im Zweijahresrhythmus staatliche und nichtstaatliche Akteure der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zu Beratungen zusammenführen. Für UN-Kenner und Entwicklungsexperte Thomas Fues bietet das die Chance, neue Geber wie China in Harmonisierungsbemühungen einzubinden.


[ Interview mit Thomas Fues, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik ]

Was soll das Development Cooperation Forum leisten?
Das Forum dient als Plattform für einen Dialog aller wichtigen Kräfte in der Entwicklungszusammenarbeit, einschließlich der neuen Geber wie China, Indien oder Südafrika sowie privater Akteure wie Stiftungen, die sich entwicklungspolitisch engagieren. Es schließt damit eine institutionelle Lücke, denn der Entwicklungshilfeausschuss der OECD (DAC) ist ja im Grunde eine Einrichtung der westlichen Industrieländer, in der sich die neuen Geber nicht wiederfinden.

Welche Ziele hat der Dialog?

Zum einen sollen Informationen und Daten zusammengetragen werden, zum Beispiel über Entwicklungshilfeleistungen, Länder- und Projektportfolios oder sektorale Schwerpunkte – ähnlich wie das die westlichen Geber heute schon im DAC machen. Das soll eine Grundlage für Statistiken schaffen und die Transparenz erhöhen. Eine solche Wissensbasis über den DAC hinaus gibt es noch nicht. Zum anderen sollen durch Verfahren in Anlehnung an die Paris Declaration on Aid Effectiveness die Wirksamkeit der internationalen Hilfe gesteigert und Transaktionskosten gesnkt werden – also beispielsweise durch Koordinierung und Harmonisierung sowie durch wechselseitige Verpflichtungen von Gebern und Empfängerländern.

Schon die Verwirklichung der Paris-Erklärung im Rahmen der DAC-Mitglieder ist schwierig. In den Entwicklungsländern ist von Abstimmung häufig nicht viel zu spüren. Kann man im viel größeren Kreis des DCF wirklich Harmonisierung vorantreiben?

Doch, das kann man. Sie müssen bedenken, dass der Paris-Prozess ja gerade einmal zwei Jahre alt ist. Ich finde aber, dass sich schon heute kein Geber mehr dem Harmonisierungsdiskurs entziehen kann. Die Stärke des Paris-Prozesses liegt ja darin, dass konkrete Indikatoren beschlossen wurden, um Fortschritte zu messen. Allein das sorgt für einen gewissen Druck auf alle Beteiligten und erleichtert es, aus Erfahrungen zu lernen. Der Paris-Prozess ist weit mehr als eine unverbindliche Absichtserklärung.

Warum hat man dann ein weiteres Forum geschaffen, anstatt den Paris-Prozess auszudehnen?

Das ist mit der Dynamik des Nord-Süd-Verhältnisses zu erklären. Zwar haben auch viele Entwicklungsländer die Paris Declaration unterzeichnet, sie gilt aber dennoch als Kind der OECD-Mitglieder. Vor allem einige größere Schwellenländer wollen sich deshalb nicht darauf einlassen. Wir können die Entwicklungsländer nicht zwingen, die Autorität der OECD anzuerkennen – ob einem das gefällt oder nicht. Ich denke, wir sind gut beraten, die grundsätzlich positive Haltung dieser Länder aufzugreifen und den Paris-Prozess unter dem Dach der UN institutionell zu verankern und voranzutreiben.

Wie soll das Verhältnis zwischen Paris-Prozess und Development Cooperation Forum aussehen? Und welche Rolle soll der DAC künftig spielen?

Der DAC-Vorsitzende Richard Manning hat auf der Eröffnungsveranstaltung des DCF betont, dass er das Forum nicht als Konkurrenz oder Alternative zum DAC sieht, sondern als wichtige Ergänzung. Das ist ähnlich wie bei den Millenniumszielen: Die sind zwar im UN-Rahmen entstanden, aber andere Entwicklungsakteure wie die Weltbank oder der DAC beziehen sich auf sie, erstellen Studien und liefern wichtige Daten. Wenn der entsprechende Wille bei allen Beteiligten da ist, dann müsste sich nach diesem Vorbild eine produktive Beziehung zwischen DAC und Development Cooperation Forum entwickeln lassen. Der DAC wird auch künftig vor allem die Perspektive der westlichen Geber repräsentieren, während die Rolle der UN darin bestehen könnte, die globale Bühne zu liefern, auf der alle Sichtweisen zusammenkommen. Der strategische Wert des DCF liegt für mich darin, dass es die alten westlichen und die neuen Geber zusammenbringt.

Die neuen Geber, allen voran China, verfolgen mit ihrer Hilfe ziemlich unverhohlen eigene politische und ökonomische Interessen – so wie der Westen das bis zum Ende des Ost-West-Konflikts auch getan hat und teilweise immer noch tut. Welches Interesse sollten die neuen Geber an einer Harmonisierung ihrer Hilfe haben?

Meiner Ansicht nach verfolgt China in seinen Beziehungen vor allem zu afrikanischen Ländern eine breite Palette von Zielen, die sich nicht einfach auf geopolitische Interessen reduzieren lassen, so wie das häufig geschieht. In der chinesischen Politik gibt es wichtige Kräfte, die an genuin entwicklungspolitischen Zielen stark interessiert sind. Man muss der Volksrepublik zugestehen, dass ihr an der Entwick­lung ihrer Partner ernsthaft gelegen ist. Ich gehe deshalb davon aus, dass sie es ernst meint mit ihrem Engagement im Development Cooperation Forum, um den Nutzen ihrer Hilfe für Afrika zu steigern.

Auch die Empfängerländer sind keine homogene Gruppe: Einige schätzen die chinesische Art, Hilfe zu leisten, andere sehen sie kritisch. Viele kleine Länder stöhnen unter der Gebervielfalt, andere wissen sie zum eigenen Vorteil zu nutzen. Könnten solche Unterschiede das DCF blockieren?

Das ist natürlich möglich. Ich bin noch vorsichtig mit meiner Prognose, welchen Nutzen das Forum für die internationale Entwicklungszusammenarbeit haben wird. Viele UN-Prozesse zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie sich selbst blockieren oder bestenfalls mit Einigungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner enden. Für mich ist entscheidend, dass es zu einer Allianz innovationsbereiter alter und neuer sowie nichtstaatlicher Geber kommt. Wenn das gelingt, könnte sich eine Dynamik entfalten mit dem Ergebnis, dass auch die Empfängerländer den Wert von Koordination und Harmonisierung erkennen. Wichtig wäre, dass sich die Europäische Union als Vorreiter schnell mit neuen Gebern wie China, Indien und Brasilien verständigt. Dann werden auch die Empfänger auf den Zug aufspringen.

Welche Rolle spielen nichtstaatliche Organisationen im DCF?

Eine wichtige – sogar nach dem Willen der Entwicklungsländergruppe G77, einschließlich Chinas. Das ist ein Aspekt, der mich positiv überrascht hat. NROs sind beispielsweise im 20-köpfigen Advisory Board des Forums vertreten, ebenso die Wirtschaft. Das Gremium entspricht damit einem aus meiner Sicht modernen Global-Governance-Konzept. Politisch interessant ist, dass die Entwicklungsländer, die ansonsten in der Regel auf der zwischenstaatlichen Exklusivität der Vereinten Nationen bestehen, im DCF die wichtige Rolle nicht­staatlicher Akteure anerkennen. Die NROs wiederum akzeptieren durch ihre Mitarbeit im Forum ihre Verantwortung für mehr Abstimmung und Harmonisierung.

Auch die einzelnen Organisationen der Vereinten Nationen sollen enger kooperieren, um die Effizienz ihrer Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen. Auf Länderebene sollen sie als „Eine UN“ auftreten. Sind starke UN-Organisationen wie etwa das World Food Programme (WFP) wirklich bereit, ihre Eigenständigkeit einzuschränken?

Das müssen sie. Die UN-Unterorganisationen unterstehen dem Generalsekretär und werden von der Generalversammlung politisch gesteuert. Sie haben keine institutionelle Autonomie. Natürlich ist das nicht leicht. UNICEF zum Beispiel hat sich lange gesträubt gegen „One UN“. Aber mittlerweile läuft die Kooperation meines Wissens sehr gut zwischen den vier Kern­organisationen UNICEF, WFP, UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) und UN-Entwick­lungsprogramm (UNDP). Schwieriger wird es bei den UN-Sonderorganisationen wie der Weltgesundheitsorganisation oder auch der Weltbank, die institutionell autonom sind. Aber auch bei ihnen gibt es positive Ansätze für eine Beteiligung an der Harmonisierung. Diese Organisationen wissen, dass sie mittelfristig an den Rand gedrängt werden, wenn sie bei „One UN“ nicht mitmachen.

Die Weltbank laboriert noch an ihrer Führungskrise, der Internationale Währungsfonds sucht seit längerem nach einer neuen Rolle, und die Welthandelsorganisation kommt aus dem Tief der Doha-Krise nicht heraus. Ist das eine Chance für die Vereinten Nationen, ihre Stellung in der internationalen Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik auszubauen?

Reformansätze wie „One UN“ oder die Stärkung des ECOSOC durch die Einrichtung des Development Cooperation Forum gehen zweifellos in die richtige Richtung. Es wäre meiner Ansicht nach aber vermessen, darin bereits Alternativen für eine weltwirtschaftliche Steuerung zu sehen. Davon sind die Vereinten Nationen weit entfernt. Für diese Aufgabe bedarf es anderer, pragmatischer Foren, auch außerhalb der UN. Der Heiligendamm-Prozess, also der Dialog der G8-Länder mit Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika, ist ein wichtiger Schritt, genügt aber noch nicht. Die Rolle der großen Schwellenländer in weltwirtschaftlichen Entscheidungsstrukturen muss gestärkt werden. Ein wunderbares Signal europäischer Glaubwürdigkeit für eine neue Politik wäre es zum Beispiel, wenn die EU darauf verzichtete, den nächsten IWF-Direktor zu ernennen, und den Weg für einen Kandidaten aus einem Schwellenland freimachte.

Die Fragen stellte Tillmann Elliesen.

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