Digitale Kluft

Anschluss an die Wissensgesellschaft

Von den Chancen des Internet profitiert bisher nur ein kleiner Teil der Weltbevölkerung. Einer Milliarde Nutzern stehen etwa fünf Milliarden „Offliner“ gegenüber. Besonders benachteiligt sind die Länder Afrikas und der arabische Raum. In entlegenen Gebieten Algeriens und Tunesiens unterstützt InWEnt seit 2005 den Aufbau von zwölf Telezentren.

[ Von Uta Bischoff-Peters ]

Telezentren gibt es seit den 80er Jahren in immer mehr Ländern. Die Ausgestaltung ist jeweils verschieden, allen gemeinsam aber ist das Anliegen, Bevölkerungsgruppen mit Computern und Internet vertraut zu machen, die bisher davon ausgeschlossen waren. Von Internetcafés unterscheiden sie sich vor allem darin, dass sie nicht nur den Zugang zum Netz bereitstellen, sondern dass ihre Träger auch einem Bildungsauftrag gerecht werden. Sie können einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer flächendeckenden Internet-Kultur leisten und zu einem Motor für soziale und kommunale Entwicklung werden. Im Rahmen des InWEnt-Pilotprojekts betreiben sie entweder staatliche oder regierungsunabhängige Organisationen im Rahmen von Gemeindezentren.

Ein Ziel ist, Frauen und Jugendlichen mit Hilfe von computergestützten Lernprogrammen – online oder offline – Kompetenzen und Qualifikationen zu vermitteln, mit denen sie Geld verdienen können. Gerade benachteiligte Gruppen brauchen Einkommenschancen. Denn Menschen ohne Schulabschlüssen bleibt der Zugang zu formaler beruflicher Bildung oft verwehrt. Und selbst die, die die entsprechenden Zeugnisse haben, finden auf dem Land häufig keine Ausbildungsmöglichkeiten oder können sie sich finanziell schlicht nicht leisten.

Wenn Telezentren ins Gemeinschaftsleben eines Ortes eingebettet werden, eröffnen sie entsprechend neue Perspektiven der Kommunikation, Information und Vernetzung. Selbstlernprogramme machen Weiterbildung zudem örtlich und zeitlich flexibler. Das bedeutet vor allem für Frauen, dass sie weitere Qualifizierungen erwerben können, ohne ihre traditionellen Pflichten vernachlässigen zu müssen.

Unter verschiedenen Trägern entstehen in Nordafrika zwölf Telezentren, acht in Algerien und vier in Tunesien. In Algerien ist das Berufsbildungsministerium für InWEnt der wichtigste Partner. Dort sind die Projekte an staatliche Berufsbildungsinstitutionen angegliedert. In Tunesien wird das Bildungsministerium zunächst nur ein Telezentrum aufbauen, um damit erste Erfahrungen zu sammeln. Es ist aber in vielen Fragen auch dort der zentrale Partner. An Finanzierung und Aufbau der anderen drei Zentren beteiligen sich nichtstaatliche Organisationen.

Ohne Zweifel ist die tunesische Regierung an der Verbreitung der Internetnutzung stark interessiert. Anlässlich des UN-Weltgipfels zur Informationsgesellschaft im Jahr 2005 in Tunis hat sie einiges unternommen, um Jugendlichen in entlegenen Winkeln ihres Landes das neue Medium vorzustellen und Interesse an seinen Möglichkeiten zu wecken. Aber obwohl verschiedene Ministerien Qualifizierungsprogramme in Informations- und Kommunikationstechnologien anbieten, bestehen nach wie vor Bildungsnachteile gerade für Frauen in ländlichen Regionen.

Neue Hoffnungen

Die Bevölkerung begegnet den Projekten überall sehr aufgeschlossen. In dem tunesischen Dorf Béni Zalten am Rande der Sahara beispielsweise werden etwa 500 Familien in einem Umkreis von acht Kilometern von dem Zentrum profitieren. Diese Menschen leben überwiegend von der Landwirtschaft und verdingen sich als Bauarbeiter oder im Tourismusgewerbe außerhalb ihres Ortes. Eltern legen großen Wert darauf, dass ihre Kinder bessere Bildungsmöglichkeiten haben als sie selbst. Darüber hinaus hoffen Frauen, die Kunsthandwerk produzieren, auf bessere Vermarktungsmöglichkeiten über das Web. Die Bevölkerung rechnet damit, dass ihr in Zukunft lange Wege wie beispielsweise zur Einschreibung für Fortbildungskurse oder zur Teilnahme an Eingangstests für die Universitäten erspart bleiben. Jugendliche wiederum sehen zudem neue Chancen bei der Jobsuche, und Internetrecherchen sind für Schüler interessant.

Die Einrichtung des Telezentrums trägt dazu bei, die lokalen Entwicklungschancen in Béni Zalten substantiell zu verbessern. Die modernen Kommunikationstechnologien werden der Marginalisierung der ländlichen Bevölkerung – vor allem der Frauen – entgegenwirken. In der Anlaufphase hat die Union Tunisienne de Solidarité Sociale, eine unabhängige Organisation, zusammen mit der Bevölkerung den Bedarf formuliert.

Die Bevölkerung möglichst intensiv in die Planung einzubeziehen, ist wichtig, um sicherzustellen, dass sich das Angebot des Zentrums auch tatsächlich an ihren Bedürfnissen orientiert. Da die Organisationen, welche die Zentren in Tunesien tragen, vielfältige Erfahrung in der sozialen Arbeit mit benachteiligten Bevölkerungsgruppen haben, ist die Partizipation der Zielgruppen relativ leicht zu erreichen. Für den staatlichen Träger in Algerien ist es jedoch neu, die Bevölkerung so weitgehend in die Planung der Programme mit einzubeziehen.

Immer noch hat die arabische Welt im globalen Vergleich einen sehr geringen Prozentsatz an Internetnutzern. Viele Regierungen sind gegenüber der Transparenz, die das Internet schafft, skeptisch und fürchten einen Machtverlust. Auch bleibt die Balance zwischen mehr Freiheit und der durchaus berechtigten Sorge um Sicherheit angesichts radikaler Gruppierungen eine Gratwanderung. Die Anschläge in Marokko und Algerien gaben im April solchen Befürchtungen neuen Auftrieb. Zudem warnen konservativ eingestellte Menschen, dass Frauen und Jugendliche über das Internet mit westlichen Werten, Haltungen und Verhaltensweisen in Berührung kommen, die in der arabischen Welt als unmoralisch und korrupt gelten.

Inzwischen erlauben fast alle arabischen Länder bis zu einem gewissen Grad den öffentlichen Zugang zum Internet. Dennoch hängt es weiterhin entscheidend vom politischen Willen der jeweiligen Regierung ab, ob brauchbare Rahmenbedingungen für die neuen Technologien und ihre Nutzung entstehen. InWEnt macht im Rahmen des Telezentren-Projekts gute Erfahrungen bei der Kooperation mit den staatlichen Partnern. Es lohnt sich, darauf zu bauen, dass Telezentren die lokale Entwicklung sinnvoll vorantreiben können und Maßnahmen gemeinsam mit den zuständigen Ministerien zu planen.

80 Prozent der Inhalte des weltumspannenden Netzes werden in englischer Sprache angeboten. Das erschwert die Nutzung in Tunesien und Algerien. Deshalb unterstützt InWEnt derzeit die Erstellung eines zweisprachigen Webportals auf Arabisch und Französisch. Es wird der Orientierung im Internet, der Vernetzung der Telezentren untereinander und der Dokumentation von Best Practices dienen.
Vor allem aber sollen über das Portal unterschiedliche Qualifizierungskurse zum Selbstlernen angeboten werden. Sie richten sich beispielsweise an Frauen, die sich neben Basiswissen im Umgang mit Computern Kenntnisse im Nähen oder Haarschneidetechniken aneignen wollen, aber auch an Landwirte, die ihre Produkte verbessern wollen.

Da es sehr teuer ist, eigene Programme zu entwickeln, greift InWEnt auf existierende Angebote zurück und passt sie gegebenenfalls an die Zielgruppen an. In Französisch gibt es eine ganze Reihe von Selbstlernprogrammen, die entweder frei zugänglich sind oder kommerziell betrieben werden. Schwieriger sieht es beim arabischen Angebot aus. Auch hier gibt es zwar viele Informationsquellen und Lernmodule in den für die Zielgruppen interessanten Bereichen. Es fehlen aber vor allem interaktive Programme.

Eröffnet werden die zwölf Telezentren im Laufe dieses Jahres. Ausgestattet sind sie bereits größtenteils, Trainerinnen und Trainer werden derzeit geschult, und probehalber laufen auch schon einzelne Kurse für Teilnehmer. Spätestens im Sommer 2008 wird InWEnt sich aus den Projekten zurückziehen. Die Herausforderung ist, bis dahin Strukturen zu schaffen, die die Funktionstüchtigkeit der Zentren aus eigener Kraft auf Dauer sichern. Das tut InWEnt, indem sie die Unterstützung und Begleitung der Telezentren vor Ort schrittweise ganz in die Verantwortung der jeweiligen Partner überträgt und die Koordination zwischen den Zentren in jedem Land sowie den beiden Ländern untereinander konsequent unterstützt.

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