Jugendliche

Schandfleck Broterwerb

Fast in allen Städten der Welt gibt es Straßenhändler. Während einige Arbeitslose ihren Lebensunterhalt so verdienen, sind andere schlicht Störenfriede oder Kriminelle. In Malawi haben sich Straßen­handel, Kriminalität und politischer Aktivismus auf erschreckende Weise vermischt – und Frauen sind am meisten bedroht.

Von Raphael Mweninguwe

Der Straßenhandel in Malawis Städten hat viele Gesichter. Er versorgt Menschen mit billigen Waren, gilt aber auch als Schandfleck oder gar Tarnung für Diebe. Besonders Frauen sind gefährdet.

Schätzungsweise 200 000 Straßenhändler durchstreifen die Straßen von Blantyre, Lilongwe, Zomba und Mzuzu. Die meisten von ihnen sind Jugendliche. Laut offiziellen Angaben beenden jährlich rund 40 000 Schüler die Schule. Danach nehmen aber nur 5000 ein Studium auf, und weniger als 4000 finden Arbeit im formellen Sektor. Die Wirtschaftskrise der letzten zwei Jahre hat die Lage verschärft.

Die Straßenhandelsszene erlebte eine erste Blüte unter Präsident Bakili Muluzi, der von 1994 bis 2004 regierte. Er förderte junge Menschen in diesem Geschäft und führte sogar ein Mikrokreditprogramm ein, um die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Am Ende aber profitierte die Mehrheit der Zielgruppe kaum. Es gab Korruptionsvorwürfe, und Unterstützer von Muluzi waren wohl die Hauptnutznießer.

Junge Arbeitslose blieben auf den Straßen. Von der Regierung errichtete Flohmärkte konnten die Vielzahl der Händler nicht unterbringen. Einige boten ihre Waren provisorisch an anderen Orten an oder gingen hausieren. Bald schienen die Händler allgegenwärtig. Gewiss fühlten sich die meisten nie zum Straßenhandel berufen, aber sie hatten keine andere Wahl. Laut Schätzungen sind 45 Prozent der rund 14 Millionen Einwohner Malawis so arm, dass sie um ihre tägliche Mahlzeit ringen müssen.

Jugendbanden

Unter der Straßenjugend sind einige wirklich Kleinhändler. Andere sind hingegen in kriminelle Aktivitäten verstrickt. Auf Außenstehende wirkt die „Händlerszene“ wie ein Haufen von Jugendbanden.

Präsident Muluzi wusste, dass es politisch wertvoll war, armen Menschen eine Chance zu geben. Er empfing Jugendliche und gab ihnen Geld, damit sie ihren Handelsbetrieb aufnehmen konnten. Viele traten in die Regierungspartei ein und wurden „junge Demokraten“ genannt. In Wirklichkeit dienten sie aber dazu, politische Gegner zu terrorisieren. Die neue Jugendkultur auf den Straßen genoss jedenfalls den Schutz des Staatsoberhaupts. „Wenn euch jemand von der Straße jagen will, sagt mir Bescheid“, sagte Muluzi damals. „Ich bin auf eurer Seite.“

Muluzis Nachfolger war Bingu wa Mutharika. Ende letzten Jahres wies er die Kommunalverwaltungen an, die Polizei solle die Jugendlichen von der Straße holen. Zu Jahresbeginn kam es deshalb sogar zu Schießereien. Während der Unruhen wurden etablierte Geschäfte geplündert und niedergebrannt. Einige gehörten dem Staat, andere ausländischen – vor allem chinesischen – Geschäfts­leuten.

Die Armee musste eingreifen, damit sich der Staat am Ende durchsetzen konnte. Malawier fühlen sich auf den Straßen wieder sicher. Viele Frauen waren von männlichen Jugendlichen sexuell belästigt worden, denn im Januar hatten Jugendliche in Lilongwe, Mzuzu und Zomba begonnen, Frauen gewalttätig in der Öffentlichkeit auszuziehen. Sie sprachen von „Strafen“ für das Tragen „un­anständiger“ Kleidung wie Hosen oder kurzer Röcke. Die Öffentlichkeit war empört und die Polizei versprach, Frauen zu schützen – unabhängig von ihrer Kleidung.

Mutharika änderte bald seinen Kurs. Weil er nichts gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun konnte, ahmte er seinen Vorgänger nach und gab einigen Straßenhändlern „VIP-Behandlung“. Sie durften arbeiten, wo immer sie wollten. Auch er zahlte Bargeld aus und schuf ein Mikro­kreditprogramm.

Einige Kommunen wollen die Verkäufer indessen noch immer nicht auf
die Straßen zurückkehren lassen. Laut Steve Malunga vom Händlerverband in Li­longwe sind die herumstromernden Leute auch „keine echten Händler“, denn „echte Händler verkaufen auf Märkten statt auf der Straße“. Es heißt allerdings, Malunga sei ein Nutznießer der Regierungspartei Democratic Progressive Party (DPP).

Regierungswechsel

Mutharika starb im April. Seine Vizepräsidentin Joyce Banda ist seine Nachfolgerin. Noch zu Jahresbeginn hatte sie gesagt: „Das Problem der gewaltsamen Entkleidung von Frauen muss in einem größeren Kontext gesehen werden.“ Aus ihrer Sicht ließen die Straßenjugend­lichen ihre Wut an den falschen Leuten aus. Der wahre Frustrationsgrund, so erklärte sie, sei nicht irgendein Dresscode – sondern der Mangel an Perspektiven. Es bleibt abzuwarten, wie ihre Regierung sich dem Problem Jugendarbeitslosigkeit stellt.

Bislang hat Malawi keine klare Strategie für un- und unterbeschäftigte Jugendliche. Dabei ist klar, dass die meisten aus Perspektivlosigkeit auf den Straßen herum­lungern. Teilweise finanzieren Malawis Parlamentarier Sportaktivitäten wie Basketball und Fußball, um „unmoralisches Verhalten“ zu verhindern. Die Jugendlichen benötigen aber einen Lebensunterhalt. In ihrer Verzweiflung tun viele für etwas Geld alles.

Laut John Kapito vom staatlichen Malawi Human Rights Committee sind die meisten Straßenhändler in Wirklichkeit arbeitslos. Er meint, die Regierung müsse das Problem an der Wurzel angehen. Angesichts ihrer großen Zahl sind die Straßenjugendlichen eine potenzielle politische Kraft – es handelt sich schließlich um Wähler.

Viele Malawier hoffen, dass Joyce Banda sich als bessere Präsidentin als Mutharika erweist. Er agierte in seiner zweiten Amtszeit zunehmend autoritär und zerstritt sich mit den Geberregierungen, wo­raufhin diese Malawi die Zuschüsse für den nationalen Haushalt (Budgethilfe) strichen. Mutharika war zu einer Sparpolitik gezwungen, die die Wirtschaftskrise weiter verschärft hat.

Seine Nachfolgerin hat versprochen, die Regierungsführung zu verbessern und sich mit den Gebern auszusöhnen. Wenn es ihr gelingt, einen wirtschaftlichen ­Aufschwung herbeizuführen, würde das ­sicherlich zur Linderung der Jugend­probleme beitragen.

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