Sommer-Special

Flucht aus dem Bürgerkrieg

Sie haben alles verloren, sind tief traumatisiert und geben doch die Hoffnung nicht auf. Mit ihrem Buch „Das Versprechen des Bienenhüters“ macht eine junge Autorin auf das Schicksal von abertausenden Geflüchteten aufmerksam. Dieser Beitrag ist der dritte unseres diesjährigen Sommer-Spezialprogramms mit Rezensionen künstlerischer Werke mit entwicklungspolitischer Relevanz.
Afghanische Frauen im illegalen Flüchtlingscamp im Pedion tou Areos, Athens größtem Park. Ayhan Mehmet/Picture-alliance/AA Afghanische Frauen im illegalen Flüchtlingscamp im Pedion tou Areos, Athens größtem Park.

Nuri ist Bienenhüter. Eigentlich hätte er den Stoffladen seines Vaters im syrischen Aleppo übernehmen sollen, doch als sein Cousin Mustafa ihn in die Bienenzucht einführt, steht Nuris Entschluss fest. Während Mustafa als Professor an der Universität in Damaskus zwischen Aleppo und Damaskus hin- und herpendelt, kümmert Nuri sich um die Bienenstöcke. Es läuft gut, bald schon haben sie 100 Bienenstöcke und produzieren 10 Tonnen Honig im Jahr. Mustafa eröffnet einen Laden mit Kunden aus Europa, Asien und den Golfstaaten, den später seine Tochter Aya übernehmen soll.

Mit seiner Frau Afra, einer Künstlerin, und seinem kleinen Sohn Sami führt Nuri ein einfaches, aber glückliches Leben. Doch dann rückt der Krieg immer näher. Mustafa schickt seine Frau und seine Tochter zu Freunden nach England. Er selbst zögert, will seine Bienenstöcke nicht aufgeben. Erst nachdem eines Nachts Vandalen die Bienenstöcke zerstört haben, ist Mustafa bereit, Frau und Tochter zu folgen. Doch dann verschwindet sein halbwüchsiger Sohn Firas.

Während Mustafa nach Firas sucht, findet er Arbeit in einem Leichenschauhaus. Seine Aufgabe ist es, die Todesursachen der Leichen zu verzeichnen. Schließlich landet auch Firas auf seinem Tisch. Als Todesursache notiert Mustafa: „Diese kaputte Welt“. Nur eine Woche später stirbt Nuris Sohn Sami bei einer Explosion, als er ein letztes Mal im Garten spielen will, bevor sie gemeinsam nach England aufbrechen.

Die bei der Explosion erblindete Afra weigert sich zu gehen. Sie will Sami, der im Garten begraben ist, nicht verlassen. Doch die Lage spitzt sich zu. Mustafa verschwindet, nachdem er beobachtet hatte, wie vier Männer Jungen am Fluss hinrichteten – und er drei von ihnen erschossen hat. Auch Nuri wird immer wieder Zeuge von Grausamkeit und Zerstörung. „Ich wünschte, ich könnte wegwischen, was ich gesehen habe. Ich wollte das alles aus meinem Gedächtnis löschen“, erzählt er. Als Kämpfer ihn zwangsrekrutieren wollen und das Haus zerstören, bleibt Nuri und Afra nichts anderes übrig, als endlich zu fliehen.

Schlepper bringen sie an die Grenze zur Türkei. Dramatische Szenen spielen sich am Ufer des Orontes ab, als sie nachts mit anderen Flüchtlingen teils in „großen Kochtöpfen“ den breiten Grenzfluss überqueren. In Istanbul angekommen, müssen sie auf besseres Wetter warten, um in einem Schlauchboot nach Griechenland übersetzen zu können. Immer wieder dringen Nachrichten von gesunkenen Booten und ertrunkenen Menschen durch.

Sie landen schließlich in Athen, stranden mit tausenden Flüchtlingen hauptsächlich aus Afghanistan, aber auch aus anderen Ländern, in dem illegalen Lager im Park Pedion tou Areas. Seltsame Dinge gehen um sie herum vor. „Hier im Park bekam man den Eindruck, als hätte man uns alle zusammen vergessen“, sagt Nuri. „An diesem Ort sterben die Menschen langsam, von innen. Einer nach dem anderen sterben sie.“

Wo immer möglich, versucht Nuri per E-Mail Kontakt zu Mustafa zu halten. So erfährt er, dass Mustafa es nach England geschafft hat und dort versucht, wieder eine Bienenzucht aufzubauen. Die Hoffnung, zu Mustafa nach England zu kommen, und die Liebe zueinander halten Afra und Nuri aufrecht.

Die beiden haben das große Glück, genügend Geld für Schlepper aufbringen zu können. So können sie, im Gegensatz zu den meisten anderen Geflüchteten, dieser sprichwörtlichen „Hölle auf Erden“ entkommen – doch dafür zahlen sie einen hohen Preis.

Schon am Anfang des Buches, als sie sich in einer Flüchtlingsunterkunft mit Hilfe einer Sozialarbeiterin auf ihren Asylantrag vorbereiten, ist klar, dass sie es letztendlich bis nach England schaffen. Doch der Albtraum ist noch lange nicht vorbei. Immer wieder kämpfen beide mit ihren traumatischen Erlebnissen sowohl in Syrien als auch auf der Flucht.

Christy Lefteri wuchs als Tochter zypriotischer Geflüchteter in London auf. Sie verbrachte 2016 und 2017 die Sommermonate in einem Flüchtlingslager in Athen. Die Gespräche mit den Menschen dort inspirierten sie zu diesem einfühlsamen und spannend geschriebenen Buch, mit dem sie 2020 den Aspen-Words-Literaturpreis gewonnen hat.


Buch
Lefteri, C., 2019: Das Versprechen des Bienenhüters. München, Limes/Randomhouse.


Dagmar Wolf ist Redaktionsassistentin bei E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit /D+C Development and Cooperation.
euz.editor@dandc.eu

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