Unsere Sicht

Bedrohliche Trends

In Indien war die Nutzung des digitalen biometrischen Identitäts-Codes ursprünglich freiwillig. Das verlangt auch das Verfassungsgericht. Armen Menschen half das digitale Instrument, Sozialleistungen zu bekommen. Mittlerweile wird es aber für immer mehr Zwecke erforderlich. Zivilgesellschaftliche Akteure warnen vor Überwachung und fordern zuverlässigeren Datenschutz.
Computer-Training in einem südafrikanischen Jugendzentrum. Florian Kopp/Lineair Computer-Training in einem südafrikanischen Jugendzentrum.

Ähnlich haben sich viele mit Digitalisierung verbundene Entwicklungshoffnungen in den vergangenen Jahren verdüstert. Von der Mitte der 1990er  Jahre bis zum Arabischen Frühling 2011 herrschte dagegen ein gewisser Überschwang. Davor schien Informationstechnik für Entwicklungsländer gar nicht relevant. Das änderte sich jedoch, als die Weltmedien auf den Boom der Softwarefirmen in Bangalore aufmerksam wurden. Dann bekamen immer mehr Menschen Zugang zum Internet, das trotz manch fortbestehender digitaler Gräben zunehmend zum tatsächlich weltweiten Netz wurde. Als Nächstes eroberte die Mobiltelefonie Afrika – und Kenia wurde Pionier bei der Geldüberweisung per Handy. Digitaltechnik erreichte immer mehr Menschen und erleichterte selbst Armen in abgelegenen Dörfern das Dasein.

Mehr Information als je zuvor stand zur Verfügung. Austausch wurde über große Distanzen möglich. Digitalisierung war in vielfacher Hinsicht befähigend. Im Arabischen Frühling waren soziale Medien so wichtig, dass Journalisten schon von „Facebook-Revolution“ sprachen. Mittlerweile sind aber Plattformen, die ursprünglich freie Kommunikation ermöglichten, mit Desinformation und Propaganda verseucht. Die Geschäftsmodelle etablierter Zeitungen werden unterhöhlt, worunter der Qualitätsjournalismus leidet.

Uns wurden Wissensgesellschaften versprochen, aber es wird immer schwerer, die Welt zu verstehen. Unternehmen und öffentliche Verwaltung werden zügig weiter computerisiert, was viele Vor-, aber auch viele Nachteile hat. Spitzenleute beider Sphären achten heute genau darauf, was online geschieht – und einige versuchen, öffentliche Debatten zu manipulieren. Autoritärer Populismus breitet sich aus, während der Respekt vor der Demokratie zu erodieren scheint. China ist Vorreiter bei der digitalen Bürgerüberwachung, aber andere Staaten scheinen nur allzu bereit, dem Beispiel zu folgen.

Zugleich entziehen sich die Konzerne, die inzwischen das Internet dominieren, weitgehend staatlicher Kontrolle. Gemessen an den Umsätzen, sind ihre Steuerzahlungen verschwindend gering. Die Konzernspitzen geben sich liberal, aber ihre Lobbyisten arbeiten daran, dass vor allem der Handlungsspielraum von Google, Facebook, Amazon, Microsoft, Apple und so weiter nicht eingeschränkt wird. Die Algorithmen von Facebook und Youtube (ein Teil des Google-Imperiums) radikalisieren derweil wütende Menschen, indem sie ihnen immer radikalere Inhalte anbieten, weil das Nutzer nun mal davon abhält, zu anderen Plattformen zu wechseln.

Digitalisierung wird unsere Zukunft prägen. Wir brauchen vernünftige Regeln. Die Kräfte, die das Netz beherrschen, sind inzwischen oft mächtiger als Nationalstaaten. Es gibt noch drei politische Einheiten, die sie effektiv regulieren können: die USA, China und die EU. Derzeit gibt leider nur die EU Bürgerrechten Vorrang. Wenn andere Länder Weltregeln mitgestalten wollen, brauchen sie Bündnispartner. Nur so können wir Risiken in den Griff bekommen, aber zugleich weiterhin vielversprechende digitale Chancen nutzen. Andernfalls drohen überall staatliche und unternehmerische Willkür zugleich.


Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@dandc.eu

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