Organisiertes Verbrechen

„Prohibition macht organisiertes Verbrechen reich“

Weil sich Verbote als kontraproduktiv erwiesen haben, fordert die Transform Drug Policy Foundation im Bristol einen Politikwechsel. Wie Steve Rolles von Transform betont, muss Gesundheitsschutz Priorität haben.
Ladentheke in Winnipeg: Cannabis ist in Kanada legal, aber Werbung dafür ist verboten. Woods/picture-alliance/AP Photo Ladentheke in Winnipeg: Cannabis ist in Kanada legal, aber Werbung dafür ist verboten.

Der Ruf des UN Office on Drugs and Crime (UNODC) ist nicht besonders gut. Woran liegt das?
Das Grundproblem ist, dass es ein Büro für Drogen und Kriminalität statt eines für Drogen und Gesundheit ist. Alkohol und Tabak sind auch gefährliche, süchtigmachende Drogen, aber bei den UN ist die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) dafür zuständig. Mit großemErfolg kümmert sie sich um die Reduzierung von Gesundheitsrisiken. Dagegen zielt das UNODC, das im Kern der polizeilichen Verbrechensbekämpfung dient, darauf ab, illegale Drogen wie Opiate, Kokain, Cannabis und diverse synthetische Drogen ganz zu eliminieren. Das läuft nicht gut, denn der Ansatz ist falsch.

Gibt es denn Fortschritte?
Nein. Vor zehn Jahren haben die für Drogenkontrolle zuständigen UN-Institutionen zuletzt erklärt, das Ziel sei eine rauschmittelfreie Welt, und es werde innerhalb eines Jahrzehnts erreicht. Seither hat sich die Opiumproduktion aber ungefähr verdoppelt, und die Kokainproduktion ist um etwa ein Drittel gestiegen. Wir haben keine Zahlen über den Cannabisanbau, aber es heißt, er sei wie der Verbrauch gestiegen. Das Ziel einer drogenfreien Welt rückt in immer weitere Ferne. Aus Sicht der Transform-Stiftung ist es Zeit, einzugestehen, dass es eine irreführende und möglicherweise schädliche Fantasie ist.

Gibt es Zahlen über die Größe des globalen Schwarzmarkts?
Es ist unmöglich, sich ein präzises und aktuelles Bild zu verschaffen, denn organisierte Verbrecher veröffentlichen keine Geschäftsberichte wie multinationale Konzerne. Wir wissen aber, dass die höchsten Profite in den hochentwickelten Staaten anfallen, wo die meisten Drogen konsumiert werden. Wir wissen auch, dass die oberste Hierarchieebene der Banden das meiste Geld einsteckt. Diese Leute leben in Sicherheit, kommen selten vor Gericht und profitieren von Geldwäsche und Steueroasen. Dagegen leben die Bauern in den Produktionsländern und die Kriminellen der unteren Ebenen prekär. Laut UNODC beläuft sich der weltweite Umsatz mit illegalen Drogen vermutlich auf 300 Milliarden bis 400 Milliarden Dollar.

Zum Vergleich: 2016 betrug der weltweite Umsatz der deutschen Autoindustrie rund 450 Milliarden Dollar. Autos sind selbstverständlich im Gegensatz zu Drogen legal. Was bedeutet das für das Drogenangebot?
Das Geschäft ist sehr riskant, also neigen Verbrecher dazu, die profitabelsten Varianten zu beschaffen, und das sind auch die stärksten und gefährlichsten. Es ist nicht schwer, in London Heroin zu kaufen, aber Opiumtee ist nicht erhältlich. Crack-Kokain ist auf den Straßen leicht zu bekommen, aber Cocablätter werden Sie nicht finden. Prohibition drängt den Drogenhandel zu den gefährlichsten Präparaten, unterbindet ihn aber nicht.

Grundsätzlich ist das bei Alkohol auch so, der in verschiedenen überwiegend muslimischen Ländern verboten ist. Dort ist das Interesse an hochprozentigem Whisky meist groß, aber Bier praktisch kein Thema.
Genau, und so war das auch während der Alkoholprohibition in den USA in den 1920er Jahren. Von der Mafia kontrolliert, entstand ein Markt für hochprozentigen, hochprofitablen Schnaps. Als das Verbot fiel, wandten sich viele Verbraucher dann wieder Bier und Wein zu. Tatsächlich ziehen Konsumenten oft mildere Drogen vor, wenn sie diese denn bekommen. Das ist ein Grund, allerdings nicht der einzige, weshalb Prohibition destruktiv ist. Es ist klüger, den Drogenhandel rechtlich zu regulieren als ihn völlig zu verbieten. Wenn Sie beispielsweise hochprozentige Getränke stärker besteuern als niedrigprozentige, ist das ein Anreiz, von harten Drinks wegzubleiben. Wenn Staaten ihre Regulierungsmöglichkeiten klug nutzen, fördern sie den weniger gefährlichen Verbrauch weniger gefährlicher Substanzen. Verbote bewirken das Gegenteil.

Aber halten Verbote Menschen nicht von vornherein vom Konsum ab? Alkohol ist in Saudi-Arabien verboten, und dort wird pro Kopf sicherlich viel weniger Alkohol konsumiert als in Deutschland.
Ja, aber was bedeutet das? Die Erfahrung lehrt, dass Prohibition manchmal gelingt, solange die Nachfrage nach einer bestimmten Droge in einer Gesellschaft noch nicht verankert ist. Sobald das passiert, bedeuten aber Verbote, dass das organisierte Verbrechen die Kontrolle übernimmt. Auch extreme Repression hilft dagegen nicht. Wir wissen doch, dass Drogen selbst in Hochsicherheitstrakten von Gefängnissen erhältlich sind. Wirklich wichtig ist dagegen der soziale und kulturelle Kontext. Dass der Alkoholverbrauch in muslimisch geprägten Ländern generell deutlich niedriger ist, entspricht religiösen Normen.

Können Regierungen mit intelligenter Politik die Ablehnung von Drogen verstärken?
Ja, denken Sie zum Beispiel an Tabak. Während der Konsum illegaler Drogen steigt, rauchen in Europa und Nordamerika immer weniger Menschen Zigaretten. Das liegt an Aufklärung, der Pflicht zu Gesundheitswarnungen, der Begrenzung von Werbung, schlichten Verpackungen, Rauchverboten an öffentlichen Plätzen, Besteuerung und andere Maßnahmen. Rauchen ist heute ein Stück weit geächtet, aber weder Konsumenten noch Händler sind kriminalisiert.

Sie wollen aber doch sicherlich nicht Kokain oder Heroin in der EU wie Zigaretten in Supermärkten verkaufen lassen?
Nein, wir brauchen abgestufte Konzepte für die Drogenregulierung. Es gibt keine Formel, die auf alles passt. Gefährlichere Drogen müssen strenger reguliert werden, und manche Präparate dürfen gar nicht erhältlich sein. Crack-Kokain sollte verboten bleiben, aber Kokain-Pulver könnte für registrierte Verbraucher in Apotheken erhältlich werden, während Cocablätter oder Energydrinks auf Cocabasis mit niedrigerer Konzentration in Spezialgeschäften verkauft werden könnten. In ähnlichem Sinn könnten Ärzte Abhängigen Heroin verschreiben, womit die Schweiz und Britannien übrigens schon gute Erfahrungen gemacht haben. Opiumrauchen ist weniger gefährlich und könnte eingetragenen Mitgliedern in Clubs mit Sonderlizenz erlaubt werden. Cannabis ist die am weitesten verbreitete illegale Droge. Sie ist nicht harmlos, es gibt aber funktionierende Modelle, sie legal zugänglich zu machen. Die Niederlande, Spanien, mehrere US-Staaten, Uruguay und kürzlich Kanada waren Wegbereiter, und weitere Länder werden ihnen folgen. Drogen sind sehr unterschiedlich, und die Gesetzgebung muss das berücksichtigen. Es ist aber auch klar, dass keine von ihnen beworben werden darf, wie das früher bei Tabakprodukten der Fall war und mit Alkohol manchmal noch geschieht. Werbung, Markenbildung und Marketing müssen konsequent begrenzt werden. Kommerzielle Firmen wollen Profite maximieren, aber verantwortliche Politik muss Risiken reduzieren und möglichst den Nutzen für Verbraucher und die Märkte, die sie versorgen, optimieren. Prohibition tut das nicht – im Gegensatz zu gesundheitswissenschaftlich aufgeklärter Regulierung.

Welche Nebenwirkungen hat Prohibition auf Staatlichkeit?
In erster Linie macht sie die organisierte Kriminalität reich und mächtig, was wiederum zu Korruption und Gewalt führt. Im Extremfall unterhöhlt sie die Sicherheit so sehr, dass ganze Staaten fragil werden. Ein Beispiel ist Guinea-Bissau in Westafrika, das zu einem wichtigen Transitland für lateinamerikanisches Kokain auf dem Weg nach Europa geworden ist, was das Staatswesen weiter geschwächt hat. Besser bekannt sind die Beispiele Afghanistan, Kolumbien und Mexiko, wo die Drogenökonomie ebenfalls Behörden untergräbt und für permanente Gewalt sorgt. Es ist sehr schwer geworden, Frieden zu schaffen und die Wirtschaft zu entwickeln. Internationale Entwicklungsorganisationen versuchen schon lange, Alternativen zu fördern – etwa den Anbau von Gemüse oder Obst statt Coca. Aber selbst wenn das an einem Ort gelingt, bringt das wenig, weil die Kartelle ihren Rohstoff leicht anderswo beschaffen können. Wir müssen auch an das Wohlergehen all der Millionen marginalisierter Menschen denken, deren Broterwerb heute von der illegalen Drogenwirtschaft abhängt.

Hatte der Krieg gegen die Drogen denn irgendwo Erfolg?
Nein, jedenfalls nicht in dem Sinn, dass irgendein Land drogenfrei geworden wäre.

Angesichts des fehlenden Erfolges scheint es bizarr, dass die internationale Staatengemeinschaft an diesem Ansatz festhält. Woran liegt das?
Eine Wurzel des Problems ist, dass die Verbotsstrategie schon in den 1960er Jahren ergriffen wurde. Die einschlägigen UN-Abkommen, die zum Teil schon in den 1940er und 1950er Jahren formuliert wurden, spiegeln die Haltung der damaligen Regierungen der reichen Nationen wider. Seither hat sich die Welt aber gesellschaftlich, kulturell und politisch dramatisch geändert. Die Drogennachfrage ist extrem gestiegen, aber die Grundlage der internationalen Drogenpolitik hat sich nicht weiterentwickelt. Versuche, die Drogen zu eliminieren, unterhöhlen heute Menschenrechte und Sicherheit, verursachen Krankheit und Tod. Sie machen es in vielen Weltgegenden unmöglich, die Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele der UN zu erreichen. Die Situation ist wirklich eigenartig. UN-Institutionen, die sich um Menschenrechte, Gesundheit oder Entwicklung kümmern, sitzen in Genf und sprechen das systematische Versagen der Drogenpolitik auch an. Aber historisch ist ihr Kontakt zu den UN-Drogen-Institutionen in Wien schwach, und Letztere haben eine Bunkermentalität. Offensichtlich sind umfassende Reformen nötig. Die dysfunktionale und überkommene UN-Drogenpolitik muss weiterentwickelt werden; Mitgliedsländer müssen Regulierungsoptionen testen können. Die WHO sollte sich um Drogen ebenso wie um Alkohol und Tabak kümmern. Sie sind in erster Linie Gesundheitsprobleme und sollten als solche behandelt werden.

Was bedeutet es, dass Uruguay, Kanada und mehrere US-Staaten Cannabis legalisiert haben?
Es zeigt vor allem, dass der Politikwechsel möglich ist – und zunehmend unvermeidlich wird. Politisch ist das alles recht schwierig, denn Regierungen scheuen nach Jahrzehnten populistischer Drogenkriegsrhetorik davor zurück, das Scheitern einzugestehen. Nach so viel Angstmache leuchten Legalisierung und Regulierung vielen Menschen nun mal nicht auf Anhieb ein. Es stimmt aber, dass der Krieg gegen die Drogen ins Desaster geführt hat und dass Regulierung für alle Beteiligten – mit Ausnahme der Mafia – die bessere Alternative ist.


Steve Rolles ist Senior Policy Advisor der unabhängigen Transform Drug Policy Foundation in Bristol. Er hat auch zur Arbeit der Global Commission on Drug Policy beigetragen (siehe Beitrag von Eleonore von Bothmer in E+Z/D+C e-paper 2018/11 - Monitor).
twitter: @stevetransform
web: www.tdpf.org.uk/

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