Chronische Krankheit

Stille Epidemie

Diabetes zählt zu den zehn häufigsten Todesursachen weltweit und betrifft auch den globalen Süden massiv. Doch in der Entwicklungspolitik findet das Thema bisher nur wenig Beachtung. Dem großen Präventions- und Behandlungsbedarf in armen Ländern werden die Akteure nicht gerecht. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten Aufmerksamkeit auf das Thema lenken, damit Politik und Wirtschaft Verantwortung übernehmen.
Diabetes-Aufklärungskampagne 2016 in Bangladesch. Rashid/picture-alliance/NurPhoto Diabetes-Aufklärungskampagne 2016 in Bangladesch.

Es ist nicht lange her, da galt Diabetes als eine Wohlstandskrankheit, die lediglich den globalen Norden betraf. Heute leiden jedoch Millionen Menschen weltweit unter der chronischen Erkrankung. Nach Schätzung des Internationalen Diabetesverbands (International Diabetes Federation – IDF) leben fast 80 Prozent der erwachsenen Diabetiker in Ländern niedrigen und mittleren Einkommens.

Zwar hat in der Entwicklungspolitik das Bewusstsein für die neue Bedeutung nichtübertragbarer Krankheiten zugenommen. Daran hatten auch verstärkte Bemühungen von Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) und Vereinten Nationen ihren Anteil. Doch konzentrieren sich viele entwicklungspolitische Akteure nach wie vor besonders auf Infektionskrankheiten, während der Handlungsbedarf – wie einige Eckdaten verdeutlichen – wächst:

  • Etwa die Hälfte aller Diabetes-Erkrankungen wird schätzungsweise nie medizinisch diagnostiziert. Deshalb wird oft von einer „stillen Epidemie“ gesprochen.
  • Alle Weltregionen sind betroffen. So sehen Schätzungen die zukünftig stärkste prozentuale Zunahme in den Ländern südlich der Sahara.
  • Millionen Patienten haben keinen Zugang zu dem von ihnen benötigten Insulin. Neben logistischen Hürden spielt dabei vor allem der hohe Preis eine Rolle. Lediglich drei große Hersteller kontrollieren über 95 Prozent des globalen Insulinmarkts.

Unverändert klafft eine große Lücke zwischen dem eklatanten Bedarf an nachhaltigen Maßnahmen zur Diabetes-Bekämpfung und dem geringen Umfang ihrer Finanzierung und Umsetzung.


Nicht nur ein medizinisches Problem

Diabetes ist eine komplizierte Krankheit, die unbehandelt schwere Folgeerkrankungen auslösen und tödlich werden kann ­(siehe Kasten nächste Seite). Arme Patienten haben besonders schlechte Chancen, die Hilfe zu bekommen, die sie brauchen – und die Krankheit verschärft oft ihre Not, etwa wenn ein erwachsener Mensch wegen Diabetes das Augenlicht verliert und kein Geld mehr verdienen kann.

Der Kampf gegen Diabetes erfordert vielfältige, sich ergänzende Maßnahmen. Notwendig ist nicht nur eine verbesserte Diagnose, Behandlung und Beratung der Patienten, sondern vor allem Prävention. Sie sollte allerdings nicht allein individuelle Verhaltensweisen und Risikofaktoren in den Blick nehmen. Vor allem die Veränderung gesundheitsschädlicher Lebensverhältnisse – etwa durch gesetzliche Regulierung – kann Diabetesraten senken. Entwicklungsvorhaben sollten dies auch in den Bereichen Wirtschaft, Ernährung, Bildung und Stadtplanung berücksichtigen.

Vorbild können einige Länder Lateinamerikas sein, die in jüngerer Zeit bemerkenswerte Anstrengungen unternommen haben, um der zunehmenden Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen zu begegnen. Neben Ecuador oder Mexiko sorgte Chile mit einem Maßnahmenkatalog für Aufsehen. Verpflichtende Warnhinweise, unter anderem auf salz- oder zuckerreichen Produkten, wurden eingeführt, kombiniert mit strengeren Auflagen bei Werbung und Verkauf dieser Waren. Außerdem hob der chilenische Staat den Steuersatz für stark zuckerhaltige Getränke an, Abgaben für gering zuckerhaltige Produkte wurden gesenkt. In Kolumbien wiederum wird in einigen Städten seit den 1970er Jahren der öffentliche Raum zeitweise speziell für sportliche Aktivitäten der Bevölkerung freigegeben, etwa durch Straßensperrungen.


Mehr Öffentlichkeit, mehr Rechenschaft

Generell sollten zivilgesellschaftliche Akteure versuchen, Politiker, Spender, Stiftungen und Ministerien auf das Thema aufmerksam zu machen und auch betroffene Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Daneben gilt es, staatliche und privatwirtschaftliche Akteure in die Verantwortung zu nehmen und sie für gesundheitsschädliche Maßnahmen zur Rechenschaft zu ziehen. Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé bauen beispielsweise gezielt in ärmeren Gemeinschaften Netzwerke auf, um ihre Produkte direkt an der Haustür zu verkaufen. Außerdem drängen Tabakfirmen verstärkt auf neue Märkte in Ländern des globalen Südens. Die WHO gibt an, dass mittlerweile fast 80 Prozent der Raucher weltweit in Ländern geringen und mittleren Einkommens leben. Das ist relevant, weil Rauchen das Diabetes-Risiko deutlich erhöht. Auch trägt Rauchen zu Gefäßproblemen bei, die eine typische, gefährliche Folge von Diabetes sind. Zivilgesellschaftliche Akteure müssen solche Probleme benennen und politisches Handeln einfordern.

Wie zäh sich dieses Ringen um mehr Verantwortung allerdings in der Realität oft darstellt, zeigt nicht zuletzt die Lage in Deutschland. So wehrt sich das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft nach wie vor intensiv gegen eine mögliche Zuckersteuer.

Zivilgesellschaftliche Initiativen reichen im Kampf gegen Diabetesursachen nicht. Staatliche Politik ist nötig – und manchmal auch staatlicher Schutz. In Kolumbien zum Beispiel müssen Aktivisten, die mächtige Wirtschaftsakteure herausgefordert haben, um Leib und Leben bangen.

Diabetes sollte in der staatlichen Gesundheitsversorgung sowie in zivilgesellschaftlichen Gesundheitsprojekten als Querschnittsthema berücksichtigt werden, sei es im Bereich Mutter-Kind-Gesundheit oder bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Dafür können bereits bestehende Strukturen und Erfahrungen genutzt werden. In Malawi beispielsweise diente ein bekannter Ansatz in der Tuberkulose-Bekämpfung als Vorbild für Maßnahmen gegen Diabetes. Eine wichtige Funktion kann zudem lokales Gesundheitspersonal erfüllen. Krankenschwestern und Pfleger klären bereits in Programmen zur Mutter-Kind-Gesundheit auf und könnten ergänzend zu Diabetes geschult werden.

Auch im Bereich Forschung und Zugang zu Medizinprodukten sind Veränderungen nötig. Viele Diagnose-Methoden und Medikamente wurden auf die Anwendung in wohlhabenden Nationen zugeschnitten und eignen sich nur bedingt für Entwicklungs- und Schwellenländer. So ist bei der Insulinversorgung oft das Einhalten der angemessenen Lagertemperatur eine große Herausforderung.

Zugleich führen hohe Medikamentenpreise weltweit zu mangelnder Versorgung – mit teils tödlichen Folgen. Regierungen und internationale Organisationen müssen Maßnahmen ergreifen, damit im Insulinmarkt Monopolstellungen ein Ende finden und die Preise fallen. Die WHO hat zum Weltdiabetestag 2019 (14. November) endlich erste Pläne für einen verbesserten Zugang präsentiert.

Eigentlich hätte es zu dieser dramatischen Marktlage ohnehin nicht kommen dürfen. Denn die Geschichte von Insulin verweist auf die große Bedeutung öffentlicher Forschung. Das Präparat wurde ursprünglich an der Universität von Toronto entwickelt, die bewusst auf Patenteinnahmen verzichtete. Preisprobleme sind deshalb ein recht neues Phänomen – und Beleg für die allzu große Marktmacht multinationaler Konzerne.


Link

Online-Kurs der BUKO-Pharma-Kampagne zum Thema Diabetes im globalen Süden (2018) (nur auf Deutsch):
http://www.bukopharma-online-lernbox.de/diabetes/


Max Klein ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter im Team der BUKO Pharma-Kampagne.
info@bukopharma.de

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