Religion und Entwicklung

Ambitionierte Aufgabe

Die deutsche Entwicklungspolitik hat seit einigen Jahren das Potenzial von Religionsgemeinschaften für die Zusammenarbeit erkannt. Sie versucht, religiöse Akteure als Partner für nachhaltige Entwicklung zu gewinnen.
Interreligiöse Kooperation ist sehr wichtig. Fasten­brechen im Ramadan im niederländischen Groningen. Robert Mulder/Lineair Interreligiöse Kooperation ist sehr wichtig. Fasten­brechen im Ramadan im niederländischen Groningen.

Im säkularisierten Europa gerät häufig in Vergessenheit, dass wir in einer religiös geprägten Welt leben. Gerade der globale Süden kann als sehr religiös charakterisiert werden. Aber auch viele Menschen in Industrieländern wie den USA, Kanada oder der Schweiz bezeichnen sich selbst als religiös, wenn nicht sogar als sehr religiös. Eine religiöse Grundhaltung wirkt sich auf die Lebensrealität aus und spielt bei Veränderungsprozessen eine wichtige Rolle. Die Entwicklungspolitik will das Leben der Menschen, die Institutionen und die Wirtschaft in Entwicklungsländern nachhaltig zum Besseren verändern. Deshalb dürfen Religionsgemeinschaften hierbei nicht außer Acht gelassen werden.

Die staatlichen Akteure in Deutschland haben das Defizit gesehen: Religionsgemeinschaften und ihre Vertreter waren über Jahrzehnte nicht als Partner in der staatlichen Entwicklungshilfe (Official Development Assistance – ODA) vertreten. Die Begründung hierfür war, dass eine Zusammenarbeit mit religiösen Akteuren nicht in Frage komme, da dies der religions- und weltanschaulichen Neutralität des Staates widerspreche. Damit versäumte es die Entwicklungspolitik allerdings, wichtige zivilgesellschaftliche Partner zu gewinnen.

2014 begann das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), diese Lücke zu schließen. Es hat erkannt, wie wichtig Religionsgemeinschaften für entwicklungspolitische Ziele sind. Durch sie können nicht nur mehr Menschen erreicht werden, sondern auch Multiplikatoren, an die die staatliche Zusammenarbeit sonst nicht herankommt. Ein Beispiel sind die erfolgreichen Partnerschaften der kirchlichen Hilfswerke.

Das BMZ legte die Grundlagen ihrer Kooperation mit religiösen Organisationen 2016 in der Strategie „Religionen als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit“ fest. Darin sind zehn Maßnahmen beschrieben, unter anderem „Neue Partner gewinnen – Zusammenarbeit mit religiösen Akteuren ausbauen“, „Netzwerke ausbauen – Kapazitäten von religiösen Hilfsorganisationen verbessern“, „Religious Literacy erhöhen“, „den Faktor Religion berücksichtigen“ und „Kräfte bündeln – internationales Bündnis schaffen“.

Religiöse Akteure sind starke zivilgesellschaftliche Kräfte, die sich auf vielfältige Weise für nachhaltige Entwicklung engagieren. Das BMZ greift das auf und richtet seine Zusammenarbeit mit Religionsgemeinschaften zentral auf die Erreichung der Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) aus. Dabei geht es weder um Missionierung noch um konfessionell gebundene oder orientierte Kooperation. Und es werden auch keineswegs nur die klassischen kirchlichen Partner, sondern vor allem andere religiöse Akteure und Gemeinschaften angesprochen.


Anspruchsvolle Aufgabe

Wir stehen noch relativ am Anfang damit, die Potenziale der Religionsgemeinschaften für die internationale Zusammenarbeit fruchtbar zu machen, obgleich wir schon wichtige Schritte geleistet und vieles erreicht haben (siehe Hindergrundbox). Uns ist bewusst, dass es sich um ein anspruchsvolles, vielleicht auch mutiges Programm handelt. Die Zusammenarbeit mit Religionsgemeinschaften, religiösen Akteuren und Faith-Based Organisations (FBO) unterliegt der Vorgabe, dass eine religions- und weltanschaulich neutrale Entwicklungspolitik mit staatlichen Finanzmitteln zivilgesellschaftliche und gesellschaftspolitische, jedoch keine explizit religiösen Aktivitäten mit religiösen Partnern unterstützt und fördert.

Die staatliche Entwicklungspolitik handelt daher religions- und weltanschauungsneutral. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wertneutral wäre. Im Gegenteil: Unsere Arbeit orientiert sich ganz wesentlich an den Kriterien der Nachhaltigkeit, der Rechtsstaatlichkeit mit besonderem Augenmerk auf die Menschenrechte und auf die Einhaltung demokratischer Grundsätze. Aus dieser Haltung heraus verweisen wir auf die Bedeutung der Religionsfreiheit. Sie muss weltweit gewährleistet sein, da sie eine wichtige Grundlage dafür ist, dass Religionsgemeinschaften sich für die SDGs einsetzen können.

Wir wollen Religionsgemeinschaften, relevante religiöse Akteure sowie religiös basierte oder orientierte Organisationen als Partner gewinnen und mit ihnen neue Wege gehen. Wir möchten das große Potenzial dieses EZ-Feldes sichtbar machen. Dabei steht weniger ein interreligiöser oder intrareligiöser Dialog im Vordergrund, den das BMZ als staatlicher Akteur selbst nicht führt. Vielmehr geht es um einen entwicklungsorientierten, gesellschaftspolitischen Dialog mit Religionsgemeinschaften, religiösen Akteuren und FBOs. Dieser Dialog zeigt sich zunehmend in interreligiöser Zusammenarbeit, die wir sehr unterstützen. Denn es geht um den Aufbau von positivem Sozialkapital genauso wie um die Mitgestaltung politischer und wirtschaftlicher Räume in den Ländern des globalen Südens mit werteorientierten Akteuren, die vieles beizutragen vermögen.

Das Interesse an diesem Thema ist in den vergangenen Jahren sowohl auf EU-Ebene als auch auf UN-Ebene spürbar gewachsen. Wir wollen das Bewusstsein für die Chancen dieser Partnerschaft schärfen – in die gesamte Entwicklungspolitik wie auch in die Öffentlichkeit hinein.


Berthold Weig ist Referent für Grundsätze Religion und Entwicklung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
berthold.weig@bmz.bund.de

Link
BMZ Strategiepapier, 2016: Religionen als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit
https://www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/infobroschueren_flyer/infobroschueren/Materialie275_religionen_als_partner.pdf
 

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