Heutzutage

Flucht ins Unbekannte

„Die Unruhen begannen ohne Vorwarnung“, sagt Nyariak, eine Mutter von vier Kindern. „Menschen rannten weg, Tote lagen auf den Straßen von Bor. Ich sah überall Geier, die sich über die Leichen hermachten. Ich hatte Angst. Als die Milizen kamen, war ich bei meinem Großvater. Sie erschossen ihn vor meinen Augen.”
Peter Okello Peter Okello Peter Okello

Im Dezember verwandelte sich ein Machtkampf in Südsudans Regierung in einen ethnischen Konflikt, da lokale Führer ihre Stämme mobili­sierten. Schnell breitete sich die Gewalt im ganzen Lande aus und hinterließ etwa 10 000 Tote. Etwa 800 000 wurden im Land vertrieben, und Tausende flohen in Nachbarstaaten. Nyariak ist inzwischen in Kenia. Sie berichtet, dass die White Army ihren Großvater umgebracht hat. Die Milizen des Stammes der Nuer werden so genannt, da sie sich weißen Schlamm über Gesicht und Körper schmieren, um sich vor Moskitos zu schützen. Sie kämpfen im aktuellen Konflikt gegen Dinka-Milizen und die reguläre Armee.

„Ich schaffte es, mit meinen Kindern zu fliehen, aber ohne meinen Mann“, erzählt Nyariak weiter. „Wir überquerten den Nil mit einem Boot und blieben dann zweieinhalb Wochen dort. Ich hatte kein Essen für meine Kinder, aber zum Glück halfen uns Leute, die ebenfalls auf der Flucht waren.“ Sie berichtet, ihr Bruder habe Geld geschickt, so dass sie es schließlich bis zur kenianischen Grenze schaffte. „Da bekamen wir Nahrungsmittel und Wasser vom UNHCR, der dort seine Lager aufgeschlagen hat.“ Viele Südsudanesen waren bereits dort, und ein paar Tage später ging es weiter in das Kakuma Refugee Camp.

Kakuma ist eine kleine Stadt in Nordwest-Kenia. „Kakuma“ ist Suaheli und bedeutet auf Deutsch „nirgendwo“. Die Gegend ist abgelegen und staubig. Seit 1992 gibt es hier ein riesiges Flüchtlings­lager, welches der UNHCR für Flüchtlinge aus dem Südsudan, Sudan und Somalia unterhält. Momentan leben dort etwa 140 000 Menschen.

Nyariak ist froh, dort zu sein: „Hier sind wir sicher. Wir bekommen Essen, Wasser und eine Unterkunft. Hier liegen keine Toten auf der Straße, es gibt keine Schießereien, und wir müssen nicht mehr um unser Leben rennen.“

Andere Südsudanesen haben die Grenze nach Uganda überquert. In diesem Land haben etwa 70 000 Menschen Zuflucht gefunden. Rund 42 000 sind nach Äthiopien geflohen, 26 000 in den Sudan und ungefähr 18 000 nach Kenia. Jeden Tag überqueren weitere Flüchtlinge die Grenzen. Im Kakuma Refugee Camp gibt es nun ein neues Lager. Es wird Kakuma 4 genannt. Es gibt dort heftige Spannungen, weil sich Dinka und Nuer nach wie vor hassen. Angehörige der verschiedenen Stämme zeigen mit den Fingern auf die anderen, wenn sie im Flüchtlingslager zufällig aufeinandertreffen. Es herrscht die Befürchtung, dass auch hier Gewalt ausbricht. Vermutlich würden sie kämpfen, wenn der UNHCR die Lage nicht so gut im Griff hätte.

Trotzdem ist das Lager „sicherer als unser Heimatort“, sagt Nyariak. „Alles, was wir besaßen, ist zerstört. Ich hoffe, dass die Regierung nicht die unschuldigen Zivilisten vergisst, die fliehen mussten. Wenn der Südsudan wieder friedlich ist, kehre ich zurück.“

Peter Okello ist Hörfunk-Journalist aus Bor, Südsudan. Nach der Flucht aus dem Südsudan lebt er augenblicklich in Nairobi. okello17art@gmail.com

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.