Multinationale Konzerne

Apotheke der Welt

Indische Pharmaunternehmen versorgen Entwicklungsländer mit erschwinglichen Medikamenten und tragen auch dazu bei, Kosten in reichen Ländern zu dämpfen. Die Branche gewinnt weiter an Stärke.
www.drreddys.com: Die Website des indischen Pharmaherstellers Dr Reddy’s Laboratories zielt auf Europa und Nordamerika. www.drreddys.com www.drreddys.com: Die Website des indischen Pharmaherstellers Dr Reddy’s Laboratories zielt auf Europa und Nordamerika.

Ayurveda und Yoga sind uralte Gesundheitstraditionen, die Indien der Welt gegeben hat. Das Land trägt mit alternativen Heilmethoden, gut ausgebildeten Ärzten und Krankenschwestern zur internationalen Gesundheitsversorgung bei. Obendrein kommen Hundertausende Patienten aus aller Welt für günstige und kompetente Behandlung hierher.

Den wichtigsten Beitrag zur weltweiten Gesundheitsversorgung leistet aber heute die indische Pharmaindustrie. Ihre Medikamente sind in fast jedem Land der Welt zu finden. Indische Hersteller fertigen Rezepturen für Abnehmer weltweit an und verkaufen zudem aktive Wirkstoffe an andere Pharmafirmen. Zugleich leisten indische Firmen wichtige Dienste bei der Entwicklung neuer Medikamente, bis hin zum klinischen Test. Sie sind längst selbst auf innovativen Feldern tätig, wie etwa den Biosimilars, die biologische Wirkstoffe nachahmen.

Die Arzneibeschaffung der meisten Entwicklungsländer hängt von Indien ab, wie folgende Daten belegen:

  • In Entwicklungsländern stammen 70 bis 90 Prozent der lebenswichtigen Medikamente aus Indien.
  • UNICEF beschafft die Hälfte seiner Arzneien für Entwicklungsländer in Indien.
  • 80 Prozent der anti-retroviralen Aids-Mittel, die Ärzte ohne Grenzen in 30 Ländern verwenden, sind indischer Herkunft.

Die Gesundheitsversorgung für 80 Prozent der Menschheit hängt von In­dien ab. Dank indischer Hersteller sind zudem die Kosten der Aids-Behandlung von 50 Dollar pro Patient und Tag auf einen Dollar gesunken, so dass nun Millionen Menschen die lebensverlängernden Mittel, die sie brauchen, auch bekommen.

Ein Fünftel aller generischen Medikamente wird in Indien gefertigt. „Generisch“ sind Pharmaka, die mit Markenprodukten chemisch identisch sind. Sie können gefertigt werden, sobald der Patentschutz erlischt oder wo dieser nicht greift.

Wirkung auf Industrieländer

Indische Pharmafirmen gewinnen auch für die reiche Welt an Bedeutung. Sie gelten nun als „Rückgrat des Gesundheitssystems der USA“, weil dort 40 Prozent der generischen Mittel aus Indien stammen. Viele grundlegende, lebensrettende Arzneien wären heute in Nordamerika und Europa knapp, wenn Indien sie nicht liefern würde – das gilt auch für innovative Krebsmittel.

Gemessen an der Zahl der Medikamentendosierungen, ist Indiens Pharmaindustrie mittlerweile die drittgrößte weltweit. Was den Umsatz angeht, steht sie auf Rang 14. Im Finanzjahr 2013/14 wurden in Indien Pharmaka im Wert von 16,4 Milliarden Dollar abgesetzt. Der Wert der Ausfuhren belief sich auf weitere 15,6 Milliarden Dollar. Das Land versorgt sich heute selbst – und obendrein einen großen Teil der Welt. Drei interessante Exporttrends sind:

  • Im Finanzjahr 2013/14 gingen 34 Prozent der indischen Pharmaausfuhren in die USA, 26 Prozent nach Europa und 20 Prozent nach Asien.
  • Die Ausfuhren nach Afrika haben von 2009/10 bis 2013/14 mit einer kumulierten jährlichen Wachstumsrate von 21 Prozent rasant zugelegt – wobei Malariamittel und anti-retrovirale Medikamente am wichtigsten waren.
  • Indien produziert 60 Prozent der Impfstoffe weltweit und exportiert sie in 150 Länder.

Zur Nachfrage nach indischen Pharmaprodukten tragen mehrere Faktoren bei. Die Regierungen der Industrieländer müssen ihre Haushalte sanieren und die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, die vor allem von teuren Markenpräparaten angetrieben wird, stoppen. Entwicklungsländer brauchen erschwingliche Arzneimittel. Zudem altern viele Gesellschaften, so dass mehr Krankheiten behandelt werden müssen.

In diesem Kontext sind indische Generika wichtig. Aber auch Forschung und Entwicklung sind in Indien recht kostengünstig. Der Aufwand beträgt oft nur 20 bis 30 Prozent von dem, was in den USA nötig wäre. Da die Innovationskraft der etablierten Pharmamultis nachgelassen hat, ist ihr Kostenbewusstsein gewachsen. Indien verfügt über viele hochqualifizierte und begabte Fachleute. Jedes Jahr schließen 700 000 Naturwissenschaftler und Ingenieure ihr Studium ab.

Branchenbeobachter sagen, die indische Pharmaindustrie müsse sich noch wichtigen Aufgaben stellen. Sie halte zum Beispiel den Schutz geistigen Eigentums nicht ausreichend ein. Allerdings entspricht das indische Patentrecht heute vollständig dem Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) über Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS). Wichtig ist auch, dass die WTO Regierungen erlaubt, Patente zu brechen und Herstellungslizenzen zu erteilen, wenn das für die Gesundheitsversorgung nötig ist (siehe Kasten).

Kritiker klagen, Indien habe einige Patentanträge abgelehnt. Diese waren aber fadenscheinig und bezogen sich auf bereits bekannte Mittel. Indien hat mittlerweile hunderte Pharmapatente ausländischer Multis anerkannt, und auch die Rechtsdurchsetzung wird effektiver. Insgesamt ist der Schutz intellektuellen Eigentums in Indien sicherlich besser als sein Ruf.

Qualitätsmanagement ist ein weiterer Kritikpunkt. Allerdings spiegeln Pharmaregulierungen weltweit zunehmend die Standards der USA und der EU wider. Indische Hersteller müssen diese globalen Normen erfüllen. Die Behörden vieler Länder – etwa der USA, der EU, Brasiliens, Australiens, Mexikos, Russland und Südafrika – erkennen die Arbeit einer wachsenden Zahl indischer Pharmabetriebe an. Diese sind offensichtlich auf einem guten Weg.

In den vergangenen 30 Jahren ist Indien zur Apotheke der Welt geworden. Die Pharmaindustrie wird immer leistungsfähiger. Anfangs lieferte sie nur Wirkstoffe, dann Generika-Rezepturen und mittlerweile auch anspruchsvolle Spezialarzneien. Die Firmen wollen weltweit mit Regierungen, internationalen Organisationen, anderen Pharmaunternehmen und Gesundheitsdienstleistern kooperieren. Ihr Ehrgeiz ist nicht nur, Kosten zu senken, sondern ebenso höchste Qualität zu erreichen. Hochanspruchsvolle Arzneimittel müssen einer immer größeren Zahl von Menschen weltweit zugänglich gemacht werden machen. Darauf kommt es an.


Deepak Sapra ist als Vice President der Pharmafirma Dr. Reddy’s Laboratories im Exportgeschäft tätig.
deepaksapra@drreddys.com

 

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