Demografischer Wandel

Singapur sorgt  für Senioren

Singapurs Bevölkerung altert rapide: Die Geburtenrate des wohlhabenden Stadtstaats gehört zu den niedrigsten weltweit, während die Lebenserwartung steigt. Um ältere Mitbürger besser zu versorgen und ihren Lebensstandard anzuheben, hat die Regierung das „Pioneer Generation Package“ beschlossen. Damit bezuschusst sie Krankenkosten und eine Krankenversicherung für die Generation, die das Wirtschaftswunder des Landes vollbracht hat.
Singapurs Regierung will seine Senioren absichern: Rentner beim Brettspiel. Moxter/Lineair Singapurs Regierung will seine Senioren absichern: Rentner beim Brettspiel.

Bis zum Jahr 2030 wird sich die Zahl der Einwohner Singapurs, die 65 Jahre und älter sind, verdoppeln. Diese Prognose steht in einem Weißbuch der Regierung aus dem Jahr 2013. Während heute noch 6,3 Bürger im arbeitsfähigen Alter auf einen älteren Mitbürger kommen, sinkt diese Zahl in den nächsten 15 Jahren auf 2,1.

Wenn weniger junge Leute für die Älteren aufkommen, muss der Staat mehr Haushaltsmittel für deren Gesundheitsversorgung aufwenden. Eine weitere Herausforderung besteht in der sozialen Dimension des Alterns. Angesichts der rapiden ökonomischen und technologischen Entwicklung in Singapur und der tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen läuft die ältere Generation Gefahr, von der Gesellschaft abgehängt zu werden. Politiker, Fachleute und Bürger beschäftigt die Frage, wie es älteren Leuten ermöglicht werden kann, in ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben. Das Motto heißt „to age in place“: vor Ort alt werden.


Dank an die Generation der ersten Stunde

Als Reaktion auf die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der alternden Gesellschaft hat Singapurs Regierung Anfang 2014 ihr „Pioneer Generation Package“ vorgestellt. Das entsprechende Gesetz wurde im November verabschiedet.

Laut der Internetseite des Gesundheitsministeriums will die Regierung damit den „Pionieren für ihre harte Arbeit und ihren Einsatz Ehre und Dank erweisen“. Das Programm soll also den Beitrag der Generation der ersten Stunde zu Singapurs wirtschaftlicher Entwicklung anerkennen.

Zur sogenannten Pioniergeneration gehört, wer vor 1950 geboren wurde. Die Betroffenen waren dementsprechend 16 Jahre und älter, als Singapur 1965 von Malaysia unabhängig wurde. Um von dem Programm zu profitieren, muss man mindestens seit 1986 Einwohner Singapurs sein. Laut Regierungs­angaben erfüllen rund 450 000 Singapurer die erforderlichen Kriterien.


Das Paket hat vier Bestandteile:

  • Es sieht verschiedene Zuschüsse für die ambulante medizinische Versorgung vor. Bereits subventionierte Leistungen ambulanter Fachkliniken werden zusätzlich zu 50 Prozent bezuschusst. Ambulante Behandlungen in Polikliniken und ausgewählten allgemeinmedizinischen Krankenhäusern werden ebenfalls bezuschusst. Zudem wurde das bestehende „Enhanced Community Health Assist Scheme“ für Bürger mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf die Pioniergeneration ausgeweitet.
  • Die Regierung stockt die Medisave-Konten der Pioniere jährlich um bis zu 600 US-Dollar auf. Medisave ist ein Sparprogramm für den Krankheitsfall: Angestellte müssen sieben bis 9,5 Prozent ihres Monatsgehalts auf ein persönliches Konto einzahlen. Dieses Geld kann für Krankenhausaufenthalte, ambulante Operationen und bestimmte andere ambulante Behandlungen genutzt werden. Vom Medisave-Guthaben dürfen auch Krankheitskosten naher Angehöriger gedeckt werden.
  • Die Pioniergeneration erhält Zuschüsse für die Krankenversicherung MediShield Life in Höhe von 40 bis 60 Prozent der Beiträge. MediShield Life soll den Einwohnern und dauerhaften Bewohnern Singapurs eine allgemeine und lebenslange Krankenversicherung bieten. Sie wird Ende 2015 eingeführt.
  • Menschen mit Behinderung erhalten zusätzlich fast 900 US-Dollar pro Jahr in bar.

Insgesamt sollte das Maßnahmenpaket sicherstellen, dass Singapurs ältere Bevölkerung sich den Zugang zur Gesundheitsversorgung leisten kann. Die Regierung hat 6,6 Millionen US-Dollar für die voraussichtlichen Kosten bereitgestellt. Es wird erwartet, dass die Hälfte des Fonds in den ersten zehn Jahren nach der Einführung des Pakets aufgebraucht wird.

Einige Teile des Pioneer Generation Package wurden bereits eingeführt, darunter die Aufstockung von Medisave-Konten, Zusatzzahlungen bei Behinderung sowie Zuzahlungen für ambulante Behandlungen in Fachkliniken und Polikliniken. Die vollständige Einführung wird für Ende 2015 erwartet.


Niedrige ­Alphabetisierungsrate

Die Implementierung des Pionier-Pakets stellt unter anderem deshalb eine Herausforderung dar, weil viele ältere Singapurer Analphabeten sind und somit nur eingeschränkten Zugang zu Informationen haben.

Um diesem Problem zu begegnen, hat die Regierung eine eigene Geschäftsstelle für das Programm eingerichtet. Deren Aufgabe besteht darin, die Zielgruppe auf adäquate Weise anzusprechen und die Bekanntheit des Programms und seiner Vorteile zu erhöhen. Die Geschäftsstelle bildet sogenannte Botschafter aus, die den betroffenen Bürgern die Einzelheiten erklären. Zudem wurden Treffen auf Wahlkreisebene organisiert, bei denen Politiker und ehrenamtliche Mitarbeiter die Pioniergeneration über das Programmpaket informierten.

Singapurs Gesundheitssystem dient bereits jetzt weltweit als Beispiel. Es war 2014 Spitzenreiter in einem Vergleich von 51 Ländern des Dienstleistungsunternehmens Bloomberg. Deutschland kam auf Platz 23 und die USA auf Platz 44. Das neue Programm wird das Gesundheitssystem weiter verbessern, indem es gezielt die Erfordernisse der alternden Gesellschaft in den Blick nimmt. Singapurs Nachbarländer, deren Bevölkerung ebenfalls altert, beobachten den Erfolg des Pioneer Generation Package genau. Malaysias Regierung hat bereits angekündigt, sich bei der Schaffung eines eigenen Programms für ältere Mitbürger (Dasar Warga Emas) an Singapur zu orientieren. Auch Indonesien muss mit einer schnell älter werdenden Bevölkerung klarkommen, die zu großen Teilen in Armut lebt.

In all diesen drei südostasiatischen Ländern stellt der demografische Wandel das staatliche Finanzsystem vor große Herausforderungen. Die Senioren kosten nicht nur mehr Steuergelder, sondern das Schrumpfen der arbeitsfähigen Bevölkerung schwächt auch das Wirtschaftswachstum. Singapur kann das aber voraussichtlich mit seinen Währungsreserven ausgleichen – der Stadtstaat steht weltweit auf Platz 12, was die Höhe der Devisen angeht.

Die Situation wirkt sich auch auf Migrationsbewegungen aus. Viele junge Leute aus Indonesien und Malaysia kommen auf der Suche nach besser bezahlten Jobs nach Singapur und in andere weiter entwickelte Länder. Singapur gleicht mit den Zuwanderern seinen Bevölkerungsrückgang aus – in den Nachbarländern wird die Lage dagegen verschärft. Indem der Staat seine älteren Bürger als „Pioniergeneration“ bezeichnet und damit ihre Rolle bei der Entwicklung des Landes würdigt, wertet er sie auf und gibt ihnen neues Identitätsgefühl. Gleichzeitig sensibilisiert er junge Singapurer für Themen der alternden Gesellschaft.

 

Jun Jie Woo ist Postdoctoral Research Fellow am Lee Kuan Yew Centre for Innovative Cities der Singapore University of Technology and Design.
junjie_woo@sutd.edu.sg

Literatur:
Population White Paper, 2013: National Population and Talent Division. Singapur.

Links:
Bloomberg: Vergleich der Gesundheitsversorgung 2014 nach Ländern.
http://www.bloomberg.com/visual-data/best-and-worst//most-efficient-health-care-2014-countries
CIA World Factbook: Country Comparison – Reserves of Foreign Exchange and Gold.
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/rankorder/2188rank.html

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