Syrienkonflikt

Viele Dimensionen

Syrien war einst eines der stabilsten Länder im Nahen Osten, heute wütet dort ein erbitterter Bürgerkrieg. Welche Ursachen er hat, wer die treibenden Kräfte sind und warum der Konflikt so schwer zu lösen ist, analysiert detailliert eine aktuelle Studie.
Auch die internationale Allianz gegen ISIS trägt zur weiteren Verschärfung des Syrienkonflikts bei: durch russische Luftangriffe Anfang Januar zerstörte Schule in Aleppo. AA/picture-alliance/dpa Auch die internationale Allianz gegen ISIS trägt zur weiteren Verschärfung des Syrienkonflikts bei: durch russische Luftangriffe Anfang Januar zerstörte Schule in Aleppo.

Der Syrienkonflikt begann 2011 als zivile Protestbewegung gegen das repressive Regime von Bashar al-Assad, erinnert Samer N. Abboud in seinem Buch „Syria“. Der Autor mit syrischen und libanesischen Wurzeln ist Professor an der Arcadia-Universität in Pennsylvania. Er zeigt auf, wie Bashar al-Assad zunehmend jegliche unabhängige politische und gesellschaftliche Aktivitäten unterdrückt hat.

Deshalb waren zum Zeitpunkt der Aufstände kaum mehr Strukturen vorhanden, um die Aktivisten zu organisieren und um ihren Forderungen nach einem politischen Wandel eine Stimme zu geben, erklärt der Autor. Die Proteste, die nach und nach auf das ganze Land übergriffen, entwickelten sich zu einer dezentralen, relativ unorganisierten Bewegung. Das Regime reagierte mit massiver Gewalt und der Ankündigung von kosmetischen Reformen. Diese sollten wohl guten Willen zeigen, konnten laut Abboud von den Aufständischen jedoch nicht akzeptiert werden. Viele Oppositionelle waren gezwungen, das Land zu verlassen, andere griffen zu den Waffen. Dem Versuch von Exil-Syrern, eine politische Opposition außerhalb des Landes aufzubauen und mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft einen Sturz von Bashar al-Assad zu erzwingen, fehlte die Legitimation in Syrien, erklärt der Autor.

Einen Anlauf, die Opposition zu bündeln, unternahm laut Abboud die Free Syrian Army (FSA), die Überläufer der syrischen Armee gegründet hatten. Ihre Versuche, die bewaffneten Gruppen zu koordinieren, scheiterten aber an Führungsstreitigkeiten und fehlender finanzieller und materieller Hilfe, sagt der Autor. Während die internationale Gemeinschaft sich auf keine Strategie einigen konnte, ob oder wie die Opposition bewaffnet werden sollte, verlor die FSA immer mehr Kämpfer an besser ausgerüstete extremistische Gruppen. Diese hätten dank der Unterstützung privater Geber aus den Golfstaaten meist bessere militärische Kapazitäten und könnten soziale Dienstleistungen zur Verfügung stellen.

Auch weitere Versuche, oppositionelle Gruppen unter einem Dach zu vereinen, scheiterten nach Ansicht Abbouds an der Einflussnahme der Regionalmächte wie z.B. die Türkei, Katar und Saudi-Arabien, die den Konflikt in Syrien zu einem Stellvertreterkrieg machten. Dazu tragen aber auch Länder wie Russland und Iran bei, die wiederum das Assad-Regime unterstützen. Da jedes Land eigene geostrategische Interessen vertrete, bekämpften sich die von ihnen finanzierten Gruppen gegenseitig. Kriegsökonomie, Kriegspolitik und Klientelpolitik verdrängten die ursprünglichen Ziele des Protests, schlussfolgert Abboud.

Die humanitäre Katastrophe in Syrien, die Ausbreitung von ISIS und die damit verbundenen zunehmenden Flüchtlingsströme setzten die internationale Gemeinschaft immer mehr unter Druck. Doch bisherige zögerliche Versuche, den Krieg in Syrien in Friedenskonferenzen (Genf I und II) zu beenden, waren von vornherein zum Scheitern verurteilt, meint Abboud – unter anderem, weil die internationale Gemeinschaft es nicht geschafft habe, alle Beteilig­ten an einen Tisch zu bringen.

Aus der ursprünglichen Forderung nach politischem Wandel in Syrien sei ein vielschichtiger, internationaler Konflikt geworden. Aber die ursprüngliche Idee lebe innerhalb des Konflikts weiter, wie Abboud erläutert: Aus Familien- und Nachbarschaftshilfe gehe eine neue Zivilgesellschaft hervor. Engagierte Menschen hätten vielerorts zentrale Funktionen übernommen: Laut dem Wissenschaftler haben sie Organisationsstrukturen für Aktivisten geschaffen und als Bürgerjournalisten der Protestbewegung eine Stimme gegeben. Sie haben als Aufbauhelfer für medizinische Versorgung und Schulbildung gesorgt und de facto Regierungs- und Verwaltungsaufgaben in Regionen übernommen, in denen ein Machtvakuum entstanden ist. Der Autor fordert, dass die Erfahrungen dieser Aktivisten bei einem Wiederaufbau des Landes genutzt werden müssen.

Je mehr sich der Konflikt jedoch zu einem Stellvertreterkrieg entwickele, desto weniger Möglichkeiten hätten die Syrer selbst, die Krise zu lösen, befürchtet Abboud. Dies sei aber unabdingbar. Denn eine Lösung des Konflikts kann nach Ansicht des Autors nur von den Syrern selbst kommen. Die Unterstützer des Friedensprozesses müssten darüber hinaus die vielschichtigen Aspekte des Konflikts angehen. Außerdem muss der grausame Krieg gegen Zivilisten schnellstmöglich gestoppt werden.

­Dagmar Wolf

Literatur:
Abboud, S. N., 2016: Syria. Cambridge: Polity Press.

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