Interreligiöser Dialog

Gemeinsame Werte

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) will die Kooperation mit religiösen Organisationen verbessern – unter anderem, weil Geistliche in Entwicklungsländern recht einflussreich sind. Allerdings kann Religionszugehörigkeit auch identitätspolitisch missbraucht werden.
Entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit religiösen Akteuren ist sinnvoll: Ein katholischer Priester im Gespräch mit einem Imam im Islamic Center of Lexington im US-Bundesstaat Kentucky. picture-alliance/AP Images Entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit religiösen Akteuren ist sinnvoll: Ein katholischer Priester im Gespräch mit einem Imam im Islamic Center of Lexington im US-Bundesstaat Kentucky.

Obiora Ike ist ein katholischer Priester und Intellektueller aus dem nigerianischen Bundesstaat Enugu. Dort ist er am interreligiösen Dialog mit muslimischen Geistlichen beteiligt. Aus seiner Sicht hat dieser Austausch ein großes Potenzial – unter anderem mit Blick auf Gewaltprävention und Friedenssicherung. Interreligiöse Gremien können seinem Urteil nach wie traditionelle Ältestenräte großen Einfluss ausüben.

Ike betont, dass Prediger aller Regionen engen Kontakt zu den Gläubigen haben, deren Vertrauen genießen und deren Nöte kennen. Entsprechend könnten sie im Entwicklungsprozess eine wichtige Rolle übernehmen.

Ikes Erfahrung nach unterschätzen internationale Geberinstitutionen die Bedeutung des Glaubens im afrikanischen Alltag. Er sagt, viele Menschen könnten klar benennen, woran es ihnen mangele – vom sicheren Trinkwasser über Straßen bis hin zu Arbeitsplätzen. Würden sie aber gefragt, was sie sich am dringendsten wünschten, dann sagten sie: „eine Kirche“. Der Kleriker betont, dass Kirchen Menschen zusammenbringen, und wenn dort die Botschaft von Frieden und Gerechtigkeit verbreitetet werde, trieben sie Entwicklung voran.

Auch Wolfram Stierle vom BMZ hält Religion für sehr wichtig. Wenn die Menschheit die Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) erreichen solle, müssten Religionsführer dazu beitragen. Die Agenda sei zu ehrgeizig und zu wichtig, um sie Staaten zu überlassen. Folglich müssten entwicklungspolitische Akteure Glaubensfragen berücksichtigen, aber viele Entwicklungsprofis wüssten darüber kaum Bescheid. Stierle bezeichnet das als „unprofessionell“.

Das BMZ hat sich in den vergangenen Jahren diesbezüglich umorientiert (siehe Kasten). Stierle stellt klar, es gehe nicht darum, Religionsgemeinschaften zu fördern oder gar ihre Missionare zu unterstützen. Bundesminister Gerd Müller ist bekanntlich gläubiger Katholik, aber es geht ihm nicht um die Kooperation mit einer bestimmten Glaubensrichtung. Die Grundidee ist, gemeinsamen Werten entsprechend zu handeln, um die SDGs und die Menschenrechte zu verwirklichen (siehe hierzu auch Kommentar von Meike Geppert).

Dem BMZ ist klar, dass Religionszugehörigkeit auch problematisch sein kann. So verschlimmern etwa religiös konstituierte Organisationen in Krisen häufig Gewalt. Stierle sagt, Religionen seien nur sehr selten die Ursache eines Konflikts, allerdings würden Konflikte oft als Folge religiöser Differenzen interpretiert.

Wenn sich solche Narrative festsetzen, wird Glaube zum Brandbeschleuniger, denn Religionszugehörigkeit wird dann für religionsfremde Zwecke missbraucht. Identitätspolitik dient in vielen Ländern dazu, Minderheiten auszugrenzen und die Position privilegierter Gruppen zu stärken.

Auf der entwicklungspolitischen Konferenz der evangelischen Kirche und ihrer Werke diskutierten Teilnehmer Anfang April in Schwerte unter anderem darüber, wie destruktive Identitätspolitik verhindert werden kann. Es wurde festgehalten, dass jede große Religion instrumentalisiert werden kann. Zu den populistisch-autoritären Politikern, die das tun, gehören etwa der sunnitische Muslim Recep Tayyip Erdogan in der Türkei, der Hindu Narendra Modi in Indien oder der Katholik Jaroslaw Kaczynski in Polen. Auch US-Präsident Donald Trump ist es gelungen, Glauben im Wahlkampf für sich zu nutzen. Er gewann trotz seiner Scheidungen und seiner sexistischen Rhetorik die Mehrheit der Stimmen evangelikaler Christen, weil er gegen den Islam agitierte und versprach, einen Abtreibungsgegner an den Supreme Court zu berufen.

Die Fachwelt kennt kein sicheres Rezept, um Identitätspolitik unmöglich zu machen. Fest steht aber, dass entwicklungspolitische Akteure in der Lage sein müssen, konstruktive von destruktiven Kräften zu unterscheiden. Sonst können sie sich nie sicher sein, dass sie nicht die falschen Kräfte unterstützen.

Jochen Motte von der Vereinten Evangelischen Mission benennt dafür vier Kriterien. Positiv seien Organisationen zu bewerten, wenn sie Gerechtigkeit, Leben, Frieden und Befreiung fördern. Diejenigen, die das nicht tun, blockierten dagegen Entwicklung. Zu welcher Religion sie gehörten, sei dagegen entwicklungspolitisch unwichtig.

Tarek Abdelalem von Islamic Relief Germany stimmt dieser Sicht zu – und er spricht sich für wirksameren interreligiösen Dialog aus. Er sagt, Religion kreise immer um die Beziehungen Mensch–Gott, Mensch-Mensch und Mensch–Umwelt. Bislang behandle der interreligiöse Austausch vor allem die Beziehung Mensch-Gott, bei der die Differenzen am größten seien. Bei den anderen beiden Themen gebe es mehr Übereinstimmung. Alle Regionen befürworteten Frieden, Gerechtigkeit und karitative Solidarität.

Zu den gemeinsamen Werten zählt Abdelalem auch die Menschenrechte. Mit Blick auf Ägypten sagt er beispielsweise, Geberregierungen und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen müssten die einschlägigen Vergehen der Regierung kritisieren. Jedes autoritäre Regime, das den Eindruck habe, sein Verhalten werde international akzeptiert, sei versucht, die Repression weiter zu verschärfen.

 

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