Perspektivlose Heranwachsende

Brüchiger Frieden

Jugendarbeitslosigkeit bereitet Liberia enorme Probleme. Von den 14 Jahren Bürgerkrieg erholt sich das Land allmählich. Doch von 1989 bis 2003 wuchsen alle jungen Einwohner in einem Klima der Gewalt auf – viele waren sogar aktive Kämpfer. Um wirklich Ruhe zu finden, muss das Land mehr Arbeitsplätze schaffen.


[ Von Samwar S. Fallah ]

Laut UN-Entwicklungsprogramm sind 55 Prozent der liberianischen Bürger unter 20 Jahre alt, und 40 Prozent sind sogar jünger als 15. Unabhängige Organisationen schätzen die Arbeitslosigkeit auf 65 bis 70 Prozent. Wer einen Job hat, wird in der Regel schlecht bezahlt.

Jugenderwerbslosigkeit sei ein ernstes Problem, bestätigte jüngst Liberias Arbeitsminister Taiwon Gongloe. Mit Unterstützung der UN hat sein Ministerium ermittelt, wie hoch die Arbeitslosenquote wirklich ist. Die Zahlen lagen aber zu ­Redaktionsschluss von E+Z noch nicht vor.

Der Kern des Problems ist aus Sicht vieler Liberianer die mangelhafte Wiedereingliederung von Söldnern. Nach Abgabe ihrer Waffen blieben die früheren Kämpfer im Schnitt nur drei Tage interniert. Danach gingen sie mit ihrem „disarmament pack­age“ (Abrüstungspaket) heim. Drei Tage ist nicht lang genug, um auf Menschen einzugehen, die der Krieg zu Brutalität erzogen hat.

Im Bürgerkrieg schien vielen liberianischen Jugendlichen alles erlaubt. Sie gewöhnten sich an Alkohol und Rauschmittel. Wer eine Waffe besaß und bereit war, sie zu benutzen, kam an viele Konsumgüter heran. Heute kostet im Alltag fast alles Geld. Manche Jugendliche werden straffällig, um sich Vergnügen leisten zu können. Andere begehen Verbrechen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Liberias arbeitslose Jugend trifft sich jeden Tag in „Hatais“, den beliebten, billigen Teestuben. Der 27-jährige Abraham Dorley vertreibt sich so die Zeit. „Ich habe nichts zu tun“, sagt er, „also setze ich mich eben jeden Tag ab neun Uhr hierher, rede über Fußball und Politik. Daheim ist es zum Sterben langweilig.“ Junge Menschen schlagen buchstäblich ihre Zeit tot, sie haben keine sinnvolle Beschäftigung.

Liberias Bürgerkrieg endete 2003 mit der Unterzeichnung des Comprehensive Peace Agreement (CPA) in Accra, Ghanas Hauptstadt. Danach wurden in Liberia Soldaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) stationiert, die später von den UN-Friedens­truppen (UNMIL) abgelöst wurden. Der Vertrag von Accra besiegelte die Entwaffnung aller Kriegsparteien, einschließlich der Regierungstruppen des früheren Präsidenten Charles Taylor (NPFL) und der Rebellen der „Demokratie- und Friedensbewegung in Liberia (MODEL)“ oder der „Vereinigten Liberianer für Aussöhnung und Demokratie“ (LURD).

Die Aufgabe der Nationalen Kommission zur Entwaffnung, Abrüstung, Wiedereingliederung und Rücksiedlung (NCDDRR) war es:
– die mehr als 50 000 Kriegsteilnehmer zu entwaffnen und
– durch allgemeine und berufliche Bildung und weitere Maßnahmen den Menschen in der Nachkriegsgesellschaft bei der Re-integration zu helfen.

Schusswaffen

Das war eine gewaltige Herausforderung. Fast alle Betroffenen waren jünger als 35 – manche gerade einmal neun Jahre alt. Bei der nationalen Abrüstung winkten ihnen 150 Dollar pro abgegebener Waffe, plus kos­tenfreiem Zugang zu schulischen und beruflichen Bildungsmaßnahmen. Doch viele Ex-Rebellen begnügten sich nicht mit dem Geld. Sie verzichteten darauf, zu lernen, wie sie sich beim Wiederaufbau des Landes nützlich machen könnten.

Aus dem Entwaffnungsprogramm wurde ein Business: Ehemalige Kämpfer handelten mit Schusswaffen oder verteilten sie an Freunde und Verwandte, um von ihnen das Ablösegeld zu kassieren. Im Jahr 2005 stellten einige Ex-Rebellen fest, dass 150 Dollar wenig Geld war im Vergleich zu dem, was sie mit Waffengewalt und Raub erzielen konnten. Sie gründeten eine Bande, eroberten die Gummi­plan­tage Guthrie im Norden Li­berias, und begannen mit Rohkautschuk zu handeln.

Gleichzeitig formierte sich – entsprechend dem Vertrag von Accra – Liberias nationale Übergangsregierung (NTGL). Sie war nicht imstande, die bewaffneten Plantagenräuber zu vertreiben. Polizeiwachen und öffentliche Einrichtungen wurden beschossen und teilweise niedergebrannt. Die Bande terrorisierte die Bevölkerung und zwang Menschen zur Arbeit auf der Plantage. UNMIL-Soldaten vertrieben die Banditen schließlich mit Waffengewalt.

Dennoch, die Plantage blieb ein Hort der Unruhe. Immer wieder protestierten die Arbeiter, und bei Streiks wurde geschossen. Offenbar hatte nicht jeder Exkombattant alle Waffen abgegeben. Die Unruhen legten sich erst, als die demokratisch gewählte Regierung unter Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf im November 2006 ins Amt kam. Sirleaf beauftragte den Verband der Gummipflanzer Liberias (RPAL), den Betrieb fortzuführen, danach ließen die Spannungen nach. Inzwischen hat der malaysische Konzern Sime Darby die Geschäfte übernommen, und auf der Guthrie-Plantage herrscht Frieden.

Allerdings stiften arbeitslose Jugendliche nach wie vor Unruhe in anderen Kautschukgebieten. Zum Beispiel auf den Sinoe- und Cavalla-Plantagen im Süd­osten­ des Landes. Seit einigen Jahren befindet sich auch Liberias größter Wildpark, der Sapo National Park im Bezirk Sinoe, in der Hand von Jugendlichen, die dort wildern und illegal Mineralien abbauen. Zwischen 2005 und 2007 war die Lage so dramatisch, dass sich staatliche Sicherheitskräfte nicht in den Park trauten. Bis heute sind Plantagen in der Gewalt von Jugendlichen, die Zahl krimineller Vorfälle ist indessen zurückgegangen.

Dennoch ist kriminelle Gewalt, einschließlich bewaffnetem Raub und Vergewaltigung, in Liberia nach wie vor Alltag. Von 2006 bis 2008 war die Lage in ­Monrovia, der Hauptstadt, besonders schlimm, weil Diebe nicht einmal mehr die Nacht abwarteten, sondern bei Tageslicht zuschlugen. Einige Straßen von Monrovia sind bis heute No-go-Gebiete. Gangster ziehen nachts um die Häuser, überfallen aber auch tagsüber Menschen. Manche tun so, als würden sie Lastwagen beladen, um dann Autofahrer anzugreifen und in deren Fahrzeuge einzudringen. Die Polizei bleibt untätig, falls nicht gerade ­eine Razzia mit genügend Beamten stattfindet. ­Carey, Gurley und Center Street zählen zu Monrovias gefährlichsten Straßenzügen.

Gelegenheit zu plündern

Am 26. Februar protestierten Jugendliche in Lofa wegen einer unter mysteriösen Umständen gestorbenen Teenagerin. Ihre Leiche wurde in der Nähe einer Moschee gefunden, die Todesursache aber nie offiziell geklärt. Die Proteste wurden gewalttätig. Einige Teilnehmer steckten Kirchen, Moscheen und Häuser in Brand. Min­destens vier Personen wurden getötet.

Fast alle unter Tatverdacht verhafteten Demons­tranten waren Jugendliche. Der 29-jährige Kolayein Morlu, der in der Gegend wohnt, gab später zu, er habe sich wie andere Jugendliche auch gelangweilt. Gebe es irgendwelchen Streit zwischen Stämmen, biete das eine Gelegenheit zu plündern.

Viele Liberianer sind angesichts solch asozialen Verhaltens empört. Es geht fast immer um junge Männer. Leider entstehen immer wieder Mobsituationen, in denen Menschen das Gesetz selbst in die Hand nehmen. Die traurige Wahrheit ist, dass sich Liberias Nationalpolizei (LNP) damit schwertut, den Vergehen arbeitsloser Jugendlicher Grenzen zu setzen.

Es wurde mehrfach versucht, sinnvolle Beschäftigung für die Jugendlichen zu schaffen. Mit Hilfe internationaler Organisationen wie dem UNDP startete Liberias Regierung ein Programm, in dem Jugendliche Monrovias Straßen säubern und den Müll entsorgen sollen. Dafür erhalten sie einen Tageslohn von mindestens drei Dollar. Viele Jugendliche lehnen diese Arbeit jedoch ab. Sie sind zu stolz und fristen ihr Dasein lieber als Kriminelle. Solange keine überzeugenderen Programme kommen, die Jugendliche ­dazu bringen, ihr Leben auf der Straße aufzugeben, hat Liberia noch große Probleme vor sich.

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