Editorial

Augen auf

Italien hat illegale Migration gerade zur Straftat erklärt. Praktisch dürfte sich nicht viel ändern, denn das Land ist bei der Durchsetzung von Gesetzen nicht sehr stark. Zweifellos müssen einige arme Schlucker, die gefasst werden, nun aber noch mehr leiden, als sie es sonst getan hätten.

In Deutschland belächeln wir gern Italiens ineffektiven Staat – absurderweise. Auch bei uns geht es nicht streng nach Recht und Gesetz zu. Viele ausländische Frauen, die in reichen westdeutschen Städten Wohnungen putzen, haben – wenn sie denn eine Aufenthaltsgenehmigung haben – keine Arbeitserlaubnis. Die Europäische Union diskutiert seit Jahren über Einwanderungspolitik.

Die Ergebnisse bleiben mager. Europa hat keine klaren Regeln, die allen, die Arbeit finden, Zugang dazu erlauben würde – hohe Dunkelziffern auf dem Schwarzmarkt sind die Folge. Obwohl Europas alternde Gesellschaften langfristig junge Migranten brauchen, scheuen viele Politiker das Thema. Es spielt auch kaum eine Rolle, dass viele Branchen qualifizierte Ausländer benötigen – ob im Pflegedienst oder als Programmierer.

Weil Populisten Ängste schüren, bleibt Immigration für viele Regierungen ein heißes Eisen. Nehmen Ausländer uns nicht Arbeitsplätze weg? Ist Europa nicht schon von Flüchtlingen überflutet? Droht nicht Kriminalität? In der Tat kann Integration schwierig sein. Aber wer genau hinsieht, erkennt schnell, dass Migration ein Zeichen von Erfolg ist – und zu Erfolg führt. Die wichtigsten Zentren der Einwanderung sind florierende Wirtschaftsmetropolen wie London, Paris, Mailand oder Frankfurt.

Das ist schon immer so gewesen. Menschen ziehen dorthin, wo sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und vielleicht sogar ein Vermögen aufbauen können. Und die Regionen, die erfolgreich Migranten anlocken, haben davon ihrerseits viele Vorteile. Langfristig geht es um Win-win-Situationen.

Die Zielländer profitieren von Arbeitskräften, die Herkunftsländer von finanziellen Rücküberweisungen. Kultureller und ökonomischer Austausch lohnt sich für alle involvierten Länder. Diasporagemeinschaften, die aus instabilen Staaten geflohen sind, können sogar dazu beitragen, dass ihre alte Heimat zum Frieden findet.

In Wahrheit sind es arme Länder, denen Migration schwer zu schaffen macht. Seit Jahren fliehen Menschen aus Sudans Bürgerkriegsregion Darfur in den Tschad. Pakistan nahm immer wieder Flüchtlingsströme aus Afghanistan auf. In diesen Ländern konkurrieren die Hinzugezogenen in der Tat mit lokalen Gemeinschaften um grundlegende Dinge wie Feuerholz, Wasser und Nahrung. Der soziale Zusammenhalt ist dort meist schwach. Verzweifelte und wütende Migranten aus Nachbarländern haben oft dazu beigetragen, Gesellschaften wie die von Pakistan oder Tschad ebenfalls in die Krise zu stürzen. Solche Sorgen müssen sich Europäer nicht machen.

Migration hat zwei Triebfedern: Katastrophen kurzfristig und Ungleichheit langfristig. In den letzten Dekaden hat die Ungleichheit – zwischen Regionen, Nationen und ganzen Kontinenten – zugenommen. Zugleich ist die Zahl der Katastrophen gestiegen. Der Klimawandel wird voraussichtlich beide Trends verstärken. Es werden noch mehr Menschen migrieren. Die Augen davor zu verschließen, ist sinnlos. Leider tun das viele Regierungen reicher Länder – falls sie nicht, wie in Italien, auf symbolisches Handeln setzen.

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