Editorial

Warum Steuern Wohlstand bringen

„Keine Steuern ohne Volksvertretung“ war das Motto der amerikanischen Revolutionäre vor mehr als 200 Jahren. Die Gründungsväter der USA gingen davon aus, dass Steuerzahler Einfluss darauf haben müssen, was mit ihrem Geld geschieht. Heute lehrt die Erfahrung international, dass der Umkehrschluss auch stimmt. Ohne Steuern funktioniert die Interessenvertretung eines Landes schlecht. Regierungen, die aus anderen Einnahmequellen schöpfen, fühlen sich nämlich ihren Bürgern kaum verpflichtet.

Ölreichtum galt lange Jahre als Segen, wird aber heute oft anders bewertet. Wissenschaftler sprechen vom „Ressourcenfluch“. Allzu oft beuten nämlich Diktatoren natürliche Rohstoffvorkommen zu ihrem persönlichen Nutzen aus. Sie können es sich erlauben, ihr Volk zu missachten. Sie stehen unter keinem Druck, sich um Erwerbschancen für ihre Bürger und gesellschaftlichen Wohlstand zu kümmern.

Oft heißt es, arme Menschen sollten nicht besteuert werden – und Entwicklungsländer könnten ihren Staat nicht auf diese Weise finanzieren, da zu viele ihrer Bürger arm seien. Dieses Argument beruht auf einem falschen Staatsverständnis und gilt allenfalls für die absolut Armen am Rande des Existenzminimums. Staaten sind nicht dazu da, nach Gutdünken ihrer Regierungen Wohltaten zu verteilen. Staaten sollten auf Gesellschaftsverträgen beruhen, die Rechte und Pflichten benennen. Ein Teil des persönlichen Einkommens ist eine angemessene Gegenleistung für das Wahlrecht und den Zugang zu essentieller Infrastruktur. Steuern sind Bürgerpflicht.

Nach der Kolonialzeit versprachen die Regierungen vieler gerade unabhängig gewordener Länder zu viel – und forderten zu wenig. Sie konnten nicht alle Bürger mit kostenlosem Wasser, kostenlosem Strom, kostenloser Bildung und kostenlosen Krankenhäusern versorgen. Die Qualität der entsprechenden Leistungen sank schnell; Schmiergelder wurden selbstverständlich. Das Ergebnis war nicht Wohlstand, sondern eine Schattenwirtschaft, in der unterbezahlte Staatsdiener sich ein Zubrot verdienen. Regierungen ohne Geld können nichts verschenken, aber auch keine Beamten motivieren. Ordentliche Gehälter im Staatsdienst sind wichtig, und nur für finanziell ausreichend ausgestattete Regierungen erschwinglich.

Auf externe Hilfe angewiesen zu sein schadet Staaten. Echte Souveränität bedeutet, dass eine Nation ihre Aufgaben aus eigener Kraft bewältigt. Um ein demokratisches Gemeinwesen ist es schlecht bestellt, wenn seine Regierung sich ausländischen Gebern stärker verpflichtet fühlt als den eigenen Bürgern.

Steuergesetze zu beschließen und durchzusetzen ist schwer und löst immer wieder Opposition aus. Um solche Widerstände zu überwinden, müssen demokratische Regierungen vernünftig haushalten und obendrein Überzeugungsarbeit leisten. Wohlstand und soziale Sicherheit helfen dabei – und deshalb investieren gewählte Regierungen eher in Krankenhäuser und Schulen als Autokraten, die sich von Öleinnahmen alimentieren. Wegen dieses zirkulären Zusammenhangs sprechen Fachleute heute – zwei Generationen nach der Kolonialzeit – von der „Governance Dividende“ des Steuerwesens. Das spiegelt die Erfahrung wider, dass Staaten, die Steuern erheben, ihren Bürgern meist besser dienen als solche, die das nicht tun.

Die Weltgemeinschaft hat also Grund, Steuerfragen auf die Agenda zu setzen. Globalisierung bedeutet, dass Dinge von nationaler Bedeutung immer auch internationale Relevanz haben.

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