Rohstoffpreise

Sozialer Sprengstoff

Steigende Preise für Erdöl, Metalle und Agrarprodukte hatten vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum beschert. Mit dem Rückgang der Rohstoffpreise treten aber wieder alte Strukturprobleme zu Tage.
Nigeria ist vom Ölexport abhängig: Arbeiter auf einer Bohrinsel am Nigerdelta. Miller/Lineair Nigeria ist vom Ölexport abhängig: Arbeiter auf einer Bohrinsel am Nigerdelta.

Ihren Höhepunkt erreichten die Preise für Rohstoffe 2011. Seither sind sie um 50 bis 60 Prozent gesunken und werden wohl auch in den kommenden Jahren auf niedrigem Niveau bleiben. Betrug der Preis für ein Barrel der Referenzsorte Brent im Juni 2014 noch 115 Dollar, so lag er Ende Februar 2016 nur noch bei rund 37 Dollar.

Je abhängiger ein Land von Rohstoffexporten ist, desto dramatischer wirkt sich der Preisrückgang aus. So hängen beispielsweise gut 95 Prozent der Gesamtausfuhren Nigerias vom Erdöl ab. Zahlreiche Länder weisen eine ähnlich einseitige Ausrichtung auf. Ihr Wirtschaftswachstum ging in den vergangenen zwei bis drei Jahren zurück. Mit der aktuellen Stärke des US-Dollars verschärft sich ihre Lage zusätzlich. Reihenweise werteten die nationalen Währungen der Rohstoffexportländer ab. Eine der Folgen ist die Verteuerung der Importe und die Zunahme der Inflation. Sowohl die Staaten als auch nationale Unternehmen sind in erheblichem Maße in US-Dollar verschuldet. Mit der Abwertung der nationalen Währungen wird der Schuldendienst erheblich erschwert.

Um ihre Währungen vor weiterer Abwertung zu schützen, sind die Zentralbanken zahlreicher Rohstoffexportländer dazu übergegangen, den Leitzins zu erhöhen. Darüber hinaus versu-chen sie, durch den Aufkauf von Devisen ihre eigene Währung zu stützen. Beides hat Folgen: Die Leitzinsanhebung erhöht die Finanzierungskosten für die einheimische Wirtschaft, und die Devisenmarktinterventionen lassen die für Schuldendienst und Importe dringend benötigten Fremdwährungsreserven schrumpfen. Angesichts der verschlechterten Rahmenbedingungen ist es nicht verwunderlich, dass sich Investoren zurückhalten.

Für die Masse der Bevölkerung bedeutet dies weniger Beschäftigung und Einkommen bei höheren Lebenshaltungskosten. Aber das ist noch nicht alles: Da die Einnahmen des Staates drastisch zurückgehen, gehen nahezu alle diese Länder dazu über, ihre öffentlichen Ausgaben zu kürzen. Beispielsweise benötigt Saudi-Arabien für einen ausgeglichenen Staatshaushalt einen Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel. Arme Bevölkerungsgruppen bekommen dies unmittelbar zu spüren, denn es werden etwa Sozialprogramme, Subventionen sowie Ausgaben für Bildung und Gesundheitsversorgung gekürzt.

Die politischen Risiken für einige Länder sind nicht zu unterschätzen. Regime wie die Ölmonarchien im Nahen Osten haben bisher die Unterstützung oder zumindest das Stillhalten ihrer eigenen Bevölkerung durch umfangreiche Sozialtransfers erkauft – dieser „Ölpakt“ könnte nun gefährdet sein. Länder wie Nigeria, die unter internen Bürgerkriegen oder Terrorismus leiden, müssen fürchten, dass die Unzufriedenheit der Menschen wächst. Wacklige Regime wie in Venezuela könnten endgültig zu Fall gebracht werden. Manche Regierungen wie die Russlands oder Saudi-Arabiens versuchen durch eine aggressivere Außenpolitik in der eigenen Bevölkerung wieder Boden gut zu machen. Die neue Mittelschicht, die unter anderem in Südamerika während der Jahre des Rohstoffbooms entstanden ist, könnte sich angesichts der geringeren Verteilungsspielräume um ihren mühsam errungenen sozialen Aufstieg betrogen fühlen.

Die zu Grunde liegenden Probleme sind struktureller Art und erfordern entsprechende Lösungen. Rohstoffökonomien sind in mehrerer Hinsicht verletzlich. Zum einen sind Mineralien ebenso wie fossile Energieträger endlich und stehen in den meisten Ländern nur noch wenige Jahrzehnte zur Verfügung. Zum anderen sind Rohstoffpreise schwankend und schwer vorhersehbar. Die Diversifizierung der Wirtschaft ist unverzichtbar. Gleichwohl hat im Zeitraum von 1995 bis 2013 die Abhängigkeit der Länder von Öl-, Gas- oder Metallexporten überwiegend zugenommen.

Fortschritte wurden bei der Einführung einer antizyklischen Fiskalpolitik, wie der stärkeren Besteuerung des Nicht-Rohstoffsektors (Iran, Mexiko) oder der Einführung einer mittelfristigen Finanzplanung und strikter Haushaltsregeln (u.a. Kolumbien) erzielt. Mehrere Länder haben Stabilitätsfonds angelegt, die aus den Extraeinnahmen in Hochpreisphasen gespeist werden und in Zeiten des Abschwungs als Puffer dienen können. In Zeiten abnehmender Staatseinnahmen ist es zugleich notwendig, die Effizienz und Effektivität öffentlicher Ausgaben zu verbessern, um den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht zu gefährden. Gelingen wird dies allerdings nur durch den Aufbau verlässlicher und rechenschaftspflichtiger Institutionen.


Nassir Djafari ist ehemaliger KfW-Ökonom und freier Autor.
nassir.djafari@gmx.de

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