Journalismus

Graswurzel-Sender

Das Radio ist südlich der Sahara nach wie vor das wichtigste Massenmedium. Die politische Libe­ralisierung in vielen Ländern gab der Medienlandschaft seit den 1990er Jahren wichtige Impulse. Nichtkommerzielle Rundfunksender gemeinnütziger Vereine – Community-Radiostationen (CRS) – erweitern in Benin die Informations- und Unterhaltungsangebote nicht nur für analphabetische Nutzer und tragen zur Meinungsvielfalt bei. Ihr Management und die Qualität ihrer Programme sind vielfach noch verbesserungswürdig.

[ Von Tilo Grätz ]

In der westafrikanischen Republik Benin gab es lange nur den staatlichen Rundfunk, bevor nach der politischen Wende 1990 die oberste Medienbehörde HAAC (Haute Autorité d’Audiovisuel et de la Communication) zahlreiche unabhängige Zeitungen und Radiostationen lizenzierte. In Ballungsräumen wie Cotonou ist das frei empfangbare Radioangebot fast ebenso groß wie in deutschen Großstädten. Die Verfügbarkeit von Empfängern hat zugenommen, sie sind preiswert und omnipräsent. Auch die Radiofunktion der Mobiltelefone wird zunehmend genutzt.

Derzeit gibt es 55 Radiostationen (privat, gemeinnützig, vereinsgeführt oder religiös), davon sind 36 CRS. Ihre Gründung wurde erleichtert, Mittelbeschaffung und Antragstellung im Rahmen der Ausschreibungsverfahren sind aber kompliziert, die entsprechenden Gebühren hoch. Die Zulassung erfolgt unter strengen Auflagen, deren Einhaltung die HAAC gewissenhaft kontrolliert.

Die meisten CRS weisen eine enorme Vielfalt ihrer Sendeformate auf, von Nachrichten über Quiz-Spiele, Sport- und Musiksendungen, Hörspielen bis hin zu kommunal- oder entwicklungspolitischen Dis­kussionen sowie Sendungen für kleinere Sprachgruppen. Hinzu kommen interaktive Formate wie Anrufersendungen oder Gruß- und Wunschsendungen und auffällig viele Todesanzeigen.

CRS können aktuelle Ereignisse aus der Senderegion zeitnah widerspiegeln, zur Diskussion über lokalpolitische Themen anregen und dadurch eine regional wirksame neue mediale Öffentlichkeit erzeugen. Diese begleitet kritisch die Arbeit politischer Entscheidungsträger und öffentlicher Institutionen. Aber auch Direktübertragungen von öffentlichen Veranstaltungen stärken das Interesse der Zuhörer an regionalen Entwicklungen. Schließlich bieten viele Sender Informationen zu wichtigen Alltagsfragen, zum Beispiel Preisentwicklungen auf überregionalen Märkten, die gerade in ländlichen Regionen fernab der größeren Metropolen von großer Bedeutung sind.

CRS sind zudem oft von engen Verbindungen zwischen Radiomachern und Hörern im Alltag gekennzeichnet. Ihre Mitarbeiter sind durch ihre Reportagen öffentlich präsent und nahe an Hörern und potentiellen Hörern durch typische Neben­tätigkeiten als Discjockeys, Hilfslehrer, Veranstaltungs-Tontechniker oder Elektriker. In den Sender kommt man mit den Mitarbeitern leicht ins Gespräch, kann Studioräume besichtigen und oft an Dis­kussionssendungen teilnehmen.

Programmpolitik

CRS stehen in einem Konkurrenzverhältnis zu anderen privaten oder staatlichen Stationen. Die Mehrzahl der CRS sendet aus Budgetgründen kein 24-Stunden-Vollprogramm. In langen Sendepausen wechseln viele Hörer zu anderen Stationen.

Manche Hörer bevorzugen überregionale Sender auch aufgrund besserer Informationsprogramme. Gerade hier können viele CRS hinsichtlich gut recherchierter und detailreicher Beiträge oft kaum mithalten. Größere Rundfunkstationen verfügen über bessere Möglichkeiten der elektronischen Recherche sowie über Korrespondentennetzwerke.

CRS produzieren umfangreichere Reportagen meist nur für Auftragssendungen, bei denen auch Recherchekosten bezahlt werden. Kritische Berichterstattung erfolgt deshalb mehr in Form von Studio- oder Anruferdiskussionen. Etliche Sendebeiträge erhalten die CRS gratis oder bekommen für deren Ausstrahlung Entgelte, ihre Relevanz ist aber oft fraglich, wenn ­etwa von Erfahrungen der Reisbauern in Mali berichtet wird, es im Sendegebiet in Benin aber diese Anbauform kaum gibt. Zudem haben etliche Ratgebersendungen einen belehrenden Unterton.

Probleme der Nachhaltigkeit

CRS sind nicht automatisch Erfolgsmo­delle. Viele von ihnen weisen nach einer ­ersten euphorischen Phase strukturelle Probleme auf. Die Vertreter des Trägervereins haben Kontrollrechte, das Direktorium einer Station soll aber die alltäglichen Geschäfte führen. Einer kollektiven Trägerschaft steht somit eine individuell verantwortete Radioproduktion im Alltag gegen­über, was Interessengegensätze erzeugt.

Viele Radiomacher sehen sich als professionelle Journalisten, nicht als Freiwillige, wünschen größere Gestaltungsspielräume und eine adäquate Bezahlung. Die Aufsichtsgremien wiederum unterliegen oft einer politischen Einflussnahme durch Lokalpolitiker. Bei der Auswahl der Sendesprachen wollen die Vertreter kleiner ethnischer Gruppen ihre Anliegen gewahrt sehen – aber Programme in Sprachen, die nur wenige Menschen verstehen, sind nur dann qualitativ gut möglich, wenn die personelle und finanzielle Ausstattung stimmt.

Die Finanzen reichen aber nur begrenzt aus, um das meist polyvalent und flexibel eingesetzte Personal zu bezahlen, laufende Betriebsausgaben zu bestreiten und neue Technik zu erwerben. Einnahmen speisen sich meist aus Auftragssendungen für Institutionen der Entwicklungshilfe oder des Staates, Ankündigungen, Musikwünschen, Werbung, Sammlungsaktionen unter der Bevölkerung sowie vereinzelten Sponsorengaben.

Einige Sender waren gezwungen, Vereinbarungen zur Frequenzmiete mit großen überregionalen Sendern wie der BBC oder VOA einzugehen oder Einnahmen über SMS-Dienste in Partnerschaft mit Mobilfunkunternehmen zu generieren. Sendezeiten werden auch auf Vertragsbasis etwa Religionsgemeinschaften zur Verfügung gestellt. Diese Praxis ist allerdings umstritten. Ein zu großer Raum für bestimmte religiöse Gruppen zieht oft die Kritik der Hörer anderer Religionsgemeinschaften nach sich.

CRS bieten jungen talentierten Radiomachern einen schnellen beruflichen Einstieg. Viele von ihnen wurden von der jeweiligen Station nach einem Auswahlverfahren rekrutiert oder begannen als freie Mitarbeiter. Ihr Bildungsniveau ist gut, aber meist haben sie keine spezifisch journalistische Qualifikation. Deshalb ist Weiterbildung sehr wichtig.

Bei den meisten CRS ist die Fluktuation der Mitarbeiter hoch. Viele Radiomacher gehen später zu besser aufgestellten Medien oder gar in die Politik. Manche Freizeit-Mitarbeiter – Schullehrer beispielsweise – schaffen es nicht auf Dauer, die Anforderungen im Hauptberuf mit der Radioarbeit zu verbinden.

In Benin gerieten einige CRS aufgrund technischer Probleme oder örtlicher Konflikte in ernste Krisen. Die Programmvielfalt schwand, das Interesse der Hörer nahm ab, Werbeeinnahmen sanken, Mitarbeiter verließen die Sender. Einige CRS konnten nur durch eine massive Geberunterstützung, vor allem von der Schweizer Entwicklungspolitik, zu einer strukturellen und technischen Erneuerung geführt werden.

Perspektiven

Die Gründung einer CRS sollte von einem Kommunikationsprozess begleitet werden, bei dem alle Beteiligten sich über Ziele, Inhalte, alltägliche Arbeitsabläufe, den Umgang mit möglichen Problemen sowie die mögliche Einbeziehung der Hörer verständigen. Zudem kommt es auf effektive Netzwerke – etwa unter den Vereinigungen von Community-Sendern – an, die technische Kooperationen, Formen des Programm­austausches bis hin zur Schaffung von Einkaufsgemeinschaften fördern können. Eine Erweiterung der finanziellen Spielräume der Sender über Partnerschaften mit Behörden bis hin zum ­Einsatz von Studiotechnik für Musikproduktionen ist ebenso von Bedeutung wie eine sinnvolle Personalpolitik.

Trotz gewisser struktureller Schwierigkeiten sind die CRS wichtig. Sie können eine polyvalente Rolle in den Kommunikationsstrukturen der jeweiligen Regionen einnehmen. Es ist in erster Linie ihre kulturelle Übersetzungsfähigkeit, aus der sie ihre Wirkungsmacht beziehen. Bedingung dafür ist ein breites Spektrum hochwertiger Programme, die alle sozialen Schichten adäquat ansprechen.

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