Regierungskampagne

Herabwürdigung eines Wohltäters

Hedgefonds-Milliardär George Soros unterstützt unbeirrt Menschenrechte und liberale Demokratie. Seine Open Society Foundations (OSF) finanzieren zivilgesellschaftliche Organisationen, Bildungseinrichtungen und Aktivisten für Minderheitenrechte in vielen Ländern. Regierungen mit autoritären Tendenzen verabscheuen ihn – so auch die ungarische.
Anti-Soros Plakat in Ungarn: „Damit nicht Soros zuletzt lacht". Gorondi/picture-alliance/AP Photo Anti-Soros Plakat in Ungarn: „Damit nicht Soros zuletzt lacht".

Auf den ersten Blick ist es unbegreiflich, wie die ungarische Regierung George Soros verunglimpft. Der Philanthrop hat dem Land über die OSF seit den 1980er Jahren mehrere hundert Millionen Dollar gespendet. Er eröffnete ein OSF-Büro in seiner Geburtsstadt Budapest, gründete die Central European University (CEU) mit, die zur angesehensten Hochschule des Landes wurde, und stiftete ihr 880 Millionen Dollar. Er finanzierte vielen jungen Menschen ihr Postgraduiertenstudium. Einige von ihnen nehmen inzwischen Führungspositionen ein – unter anderem Ministerpräsident Viktor Orbán. Der in Budapest geborene Soros engagiert sich weltweit (siehe Kasten), besonders aber in Ungarn.

Doch Orbán zeigt seinem Wohltäter die kalte Schulter. Derzeit hüllt sich Ungarn in Anti-Soros-Plakate, die den Mega-Geber beschuldigen, die ungarische Nation untergraben zu wollen. Es ist kein Geheimnis, dass Orbán – und Orbán-freundliche Medien – die Kampagne unterstützen. Soros wird als allmächtiger Puppenspieler dargestellt, der den Plan hat, Ungarn Flüchtlinge aufzudrängen, die Millionen von Euro erhalten sollen. Auch strebe er angeblich Straflosigkeit für kriminelle Migranten an.

Unterdessen startete die Regierung eine „nationale Befragung” und verschickte Fragebögen zu Soros und seiner Rolle in Ungarn an 8 Millionen Haushalte. Das Medienimperium von Orbáns Intimus Lörinc Mészáros hat für Staatswerbung in diesem Kontext im dritten Quartal 2017 geschätzt mehr als 7 Millionen Euro bekommen.

Orbán-Kritiker werfen dem Ministerpräsidenten vor, Verschwörungstheorien anzuheizen. Sie halten die Anti-Soros-Kampagne für vollkommen ungerechtfertigt. Selbst hochrangige Mitglieder der Orbán-Regierungspartei Fidesz äußerten öffentlich ihre Zweifel am sogenannten „Soros-Plan“. Zsolt Neméth, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des ungarischen Parlaments, bezeichnete den Anti-Soros-Aktivismus als „symbolisch“. Innenminister Sándor Pintér räumte ein, dass Orbáns Auftrag, „Gefahren für Ungarn“ aufzudecken, ergebnislos blieb.

Soros und Orbán sind keine natürlichen Verbündeten. 2014 kündigte Orbán an, Ungarn solle ein „illiberaler Staat“ werden und – wie Russland und China – nationale Interessen in den Vordergrund stellen. Während der Flüchtlingskrise 2015 verglich er Soros mit „Menschenschmugglern und Aktivisten (...), die alles unterstützen, was den Nationalstaat schwächt“. Es kam zu persönlichen Angriffen gegen Soros, dessen OSF die Rechte von Minderheiten schützen.

Ende 2016 erklärte Orbán das Jahr 2017 zum „Jahr der De-Sorosierung Ungarns“. Offenbar fühlte er sich durch Donald Trumps Sieg bei den US-Präsidentschaftswahlen ermutigt. Im März schlug seine Regierung ein Gesetz vor, das die Aktivitäten ausländisch unterstützter Universitäten einschränken soll. Man verstand das als Angriff gegen die CEU. Die Uni mit Schwerpunkt Rechts-, Wirtschafts-, Sozial- und andere Geisteswissenschaften wehrte sich, doch die Orbán-Regierung hat bis heute keinen Vertrag zur Sicherung ihrer Existenz unterzeichnet.

Im Juni verabschiedete Orbáns Regierung ein Gesetz, nach dem sich nichtstaatliche Organisationen als „ausländisch finanziert“ bekennen müssen, sobald sie mehr als umgerechnet 23 000 Euro aus dem Ausland erhalten. Von OSF unterstützte NGOs machen Orbán regelmäßig Ärger. Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International und die investigativ-journalistische Website Átlátszó decken Korruption im Orbán-Regime konsequent auf; die Helsinki-Kommission belegte anhand „strategischer Rechtsstreitigkeiten“ vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dass Orbáns harte Hand gegenüber Flüchtlingen illegal ist.


Antisemitische Untertöne

Orbán ist stolz auf seine guten Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Seine Politik spiegelt jene Putins wider, die NGOs, liberale Aktivisten und „den Westen“ allgemein diskreditiert. Es heißt, Orbán verüble der liberalen Intelligenz Ungarns, ihn in den 1990er Jahren ausgeschlossen zu haben. Er wirbt um rechtsextreme Wähler; viele Anti-Soros-Plakate ähneln antijüdischen Plakaten der 1930er Jahre in Deutschland. Einige Ungarn verstehen die Botschaft: Soros-Plakate sind mit Slogans wie „Scheiß-Ratte“, „Dieb“ und „jüdische Schwuchtel“ bekritzelt, Graffitis fordern „Tod für Soros und andere Juden“.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der Antisemitismus ansonsten weltweit anprangert, versäumte es bei seinem diesjährigen Besuch in Budapest, für Soros einzutreten – offensichtlich deshalb, weil Soros für die Menschenrechte aller eintritt, also auch der Palästinenser. In Osteuropa unterstützen die OSF die Roma-Minderheit, während viele Regierungen nicht mehr daran arbeiten, ihre Situation zu verbessern – oder sogar gegen die ethnische Minderheit vorgeht.

Soros reagierte im November 2017auf seiner Website und in einem Interview mit der Financial Times auf die Verleumdungskampagne. „Ungarns Gesundheitsversorgung und das Bildungssystem sind schlecht dran, und Korruption ist verbreitet. Die aktuelle Regierung versucht, einen äußeren Feind zu schaffen, um die Bürger davon abzulenken“, schrieb er. Soros meint, das Orbán-Regime mache ihn zum Sündenbock und wirft ihm vor, „eine massive Anti-Soros-Medienkampagne“ gestartet zu haben, die „Millionen an Steuergeldern“ koste, sowie antimuslimische Gefühle zu schüren und antisemitische Slogans zu verwenden, die an die 1930er Jahre erinnern.

Sogar der Orbáns Partei angehörende EU-Kommissar Tibor Navracsics scheint Soros Recht zu geben. Der angebliche „Soros-Plan“ sei „ein rhetorisches Element des bevorstehenden Wahlkampfes“ – einen solchen Plan gebe es nicht. Die Wahlen stehen im Frühjahr an.


Dan Nolan arbeitet als freier Journalist in Budapest.
dannolan@protonmail.com
Twitter: @nolan_dan

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