Brückenbauer

Weshalb Diaspora-Gemeinschaften entwicklungsrelevant sind

Diasporagemeinschaften gewinnen an Bedeutung, denn mehr als 272 Millionen Menschen leben heute nicht in dem Land, aus dem sie stammen. Die Politik sollte mit ihnen kooperieren – in Herkunfts- ebenso wie in Zielländern.
Harjit Sajjan ist Kanadas Verteidigungsminister. Sean Kilpatrick/picture-alliance/empics Harjit Sajjan ist Kanadas Verteidigungsminister.

In ihrem „Diaspora Blues“ schreibt die nigerianische Dichterin Ijeoma Umebinyuo:

So,
here you are
too foreign for home
too foreign for here.
never enough for both.

(Etwa: Hier bist du nun, zu fremd für zu Hause, zu fremd für hier, nie genug für beide Länder.)

Das Gedicht behandelt die Schwierigkeiten von Angehörigen der Diaspora, dort, wo sie sich zu Hause fühlen, auch ihren Platz zu finden. Durch das Verbinden von Perspektiven aus unterschiedlichen Welten bauen sie jedoch auch Brücken und beeinflussen Entwicklung weltweit.

Internationale Migranten vertreten im Zielland ihre Herkunftskultur. Brick Lane im Osten Londons und Southhall im Westen sind Beispiele dafür, wie südasiatische Identität das Aufnahmeland prägen. In beiden Stadtteilen gibt es nicht einfach spezielle Geschäfte für Migranten. Sie zeigen vielmehr, wie die Kulturen miteinander interagieren.

Kulturaustauch gibt es auch im Herkunftsland. Wenn Menschen aus der Diaspora zurückkehren, um Verwandte zu besuchen, bringen sie Elemente des „Westens” mit. Mehrere soziologische Studien haben belegt, dass erfolgreiche Migranten ihre neue Heimat positiv erscheinen lassen und junge Leute inspirieren, nachzuziehen.

Der Einfluss der Diaspora reicht über kulturelle Repräsentation hinaus. Oft engagieren Mitglieder sich politisch auf transnationale Weise, indem sie Wandel in einem der beiden oder auch beiden Ländern fordern. Relevante Themen sind Migrantenrechte, Arbeitnehmerrechte (Gewerkschaftsarbeit) und Menschenrechte. Sie beeinflussen die politische Debatte dort, wo sie leben und wo sie gelebt haben.

Die armenische Diaspora in den USA organisierte beispielsweise eine Kampagne zur offiziellen Anerkennung des Völkermords an den Armeniern im frühen 20. Jahrhundert. Die US-Regierung begann daraufhin unter anderem, traumatisierte Gemeinschaften in Armenien finanziell zu unterstützen. In beiden Ländern veränderten sich also die Verhältnisse. In Ländern wie USA, Kanada oder Britannien bekleiden Diasporaangehörige zudem politische Spitzenämter, was zeigt, wie wichtig diese Gemeinschaften sind.

Große Bedeutung haben Heimatüberweisungen („remittances“) – und zwar für betroffene Familien ebenso wie für Volkswirtschaften insgesamt. Von neun Menschen weltweit hängt einer von dem Geld ab, das Migranten nach Hause schicken. In manchen Ländern summieren sich diese Beträge zu mehr als einem Viertel der Wirtschaftsleistung: zum Beispiel in Tonga, Tadschikistan und Nepal. Besonders in Notlagen ist darauf Verlass, dass Geld aus der Diaspora kommt. Deshalb müssen Staaten mehr tun, um Überweisungen zu erleichtern und einem SDG-Unterziel entsprechend die Überweisungskosten auf höchstens drei Prozent der transferierten Summe zu begrenzen (siehe hierzu Dilip Ratha im E+Z/D+C e-Paper 2021/02 Schwerpunkt).

Ebenso wichtig sind Diaspora-Philanthropen. Eines von vielen Beispielen bietet in der aktuellen Covid-19-Pandemie die Non-Resident Nepali Association, die Geld für das Gesundheitswesen in Nepal sammelt.

Nicht übersehen werden dürfen zudem die „social remittances“. Dabei geht es um Wissen, Fertigkeiten und persönliche Netzwerke, mit denen Migranten die ökonomische und soziale Entwicklung ihrer Herkunftsländer fördern. Das gilt etwa in Sektoren wie dem Gesundheits- und Bildungswesen, aber auch der Infrastruktur. Das Africa Diaspora Network ist eine zivilgesellschaftliche Initiative, die Politik in Europa und Afrika beeinflusst.

Die Fachwelt erkennt zunehmend die Bedeutung der Diaspora an. Plattformen wie Global Forum on Migration and Development ermöglichen den Austausch diverser Partner zum Thema. Regierungen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und internationale Institutionen haben schon viel erreicht – es muss aber noch viel mehr geschehen, wenn das Potenzial, das Diasporagemeinschaften für nachhaltige Entwicklung bieten, vollständig genutzt werden soll.


Richa Arora ist Sozialwissenschaftlerin mit dem Spezialgebiet Migration. Sie kommt aus Indien, lebt in Frankfurt und arbeitet für die GIZ. Hier äußert sie ihre persönliche Meinung.
richa.arora88@gmail.com

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