Syrien

Schwieriger Wiederaufbau

Syrien steht vor enormen Herausforderungen. Welche diese sind und wie die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten zu einer Stabilisierung des Landes beitragen können und sollen, analysiert eine kürzlich erschienene Studie.
Durch die Zerstörung von Schulen und den dramatischen Verlust an Lehrkräften wächst derzeit eine „verlorene Generation“ heran: Durch einen russischen Angriff im März 2020 zerstörte Schule östlich von Idlib. Moawia Atrash/picture-alliance/ZUMAPRESS.com Durch die Zerstörung von Schulen und den dramatischen Verlust an Lehrkräften wächst derzeit eine „verlorene Generation“ heran: Durch einen russischen Angriff im März 2020 zerstörte Schule östlich von Idlib.

Obwohl die Kampfhandlungen noch andauern, sei der Krieg in Syrien längst militärisch zugunsten des Regimes entschieden, schreibt Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Im Frühjahr 2020 kontrollierte das Regime von Baschar al-Assad mit seinen Verbündeten bereits zwei Drittel des Landes, und es sei absehbar, dass sie auch das verbleibende Gebiet zurückerobern würden.

Eine Stabilisierung des kriegsgebeutelten Landes sei allerdings nicht in Sicht. Es gäbe weder eine verhandelte Konfliktregelung noch Befriedung und Aussöhnung. Der nun seit über neun Jahren andauernde Krieg, der im Januar 2011 mit der gewaltsamen Niederschlagung einer Demokratiebewegung begann, hat katastrophale Folgen, betont die Autorin. Hierzu zählen, neben der Zerstörung von Häusern und Infrastruktur, der beträchtliche Verlust an Arbeits- und Fachkräften, der Zerfall der Wirtschaft und der Zusammenbruch staatlicher Versorgungsleistungen.

Doch angesichts der Politik der syrischen Regierung, der geopolitischen Interessen der Regional- und Großmächte, aber auch aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sei es unwahrscheinlich, dass für den Wiederaufbau des Landes ausreichend Mittel zur Verfügung stünden – und vor allem, dass diese dem Bedarf der Bevölkerung entsprechend eingesetzt werden.

Andererseits habe der Wiederaufbau längst begonnen, schreibt die Autorin – allerdings nicht im Sinne der gesamten syrischen Bevölkerung. Für das Assad-Regime habe die Festigung der Herrschaft oberste Priorität. Ziel sei es, ein Patronagenetzwerk aus alten und neuen Regime-Unterstützern aufzubauen und zu festigen und so den in Gang gesetzten Bevölkerungsaustausch zu zementieren. Dieser punktuelle Aufbau sei vielmehr eine Fortsetzung des Krieges auf anderer Ebene. Anstatt zu versöhnen, vertiefe er alte, soziopolitische Konfliktlinien. Auch die in Syrien involvierten Regional- und Großmächte verfolgten ihre eigenen geostrategischen Interessen und setzten ebenso den Krieg mit anderen Mitteln fort.

Die EU hatte ihr bisheriges Engagement für einen Wiederaufbau in Syrien von der politischen Öffnung des Landes abhängig gemacht und sich auf die Notversorgung der Bevölkerung sowie auf Sanktionen beschränkt. Diese Strategie hätte allerdings nicht zu der gewünschten Verhaltensänderung der Regierung geführt. Vielmehr stünde sie einem Wiederaufbau sogar im Weg, resümiert Asseburg. Angesichts der kata­strophalen Lebensbedingungen und der Not der Bevölkerung in weiten Teilen des Landes sei es dringend geboten, diese Haltung zu überdenken.


Die Studie empfiehlt der EU unter anderem:

  • auf eine bessere Koordination der internationalen Hilfe zu dringen, deutlich stärker diplomatisch aktiv zu werden und zum Schutz der Zivilbevölkerung auf ein Krisenmanagement und temporäre Arrangements hinzuwirken;
  • sektorale Sanktionen abzubauen, die einem Wiederaufbau im Weg stehen, und stattdessen Unterstützung bei der Rehabilitierung von Basisinfrastruktur (z. B. Bildung, Gesundheit, Strom und Wasser) auch in den Gebieten anbieten, die unter der Kontrolle des Regimes stehen.

Da eine nachhaltige Stabilisierung nur durch tiefgreifende Reformen zu erreichen sei, sollte die EU ihren 2017 vorgestellten „More for more“-Ansatz – das heißt europäisches Entgegenkommen im Gegenzug zu Verhaltensänderungen auf Seiten des syrischen Regimes – weiter vorantreiben und einen Pfad der Annäherung aufzeigen.

Die Studie stellt klar, dass es keine völlige Normalisierung des Verhältnisses zu den Spitzen des Regimes geben sollte. Die EU müsse auf eine strafrechtliche Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, schweren Menschenrechtsverletzungen und den Einsatz international geächteter Waffen dringen.


Link
Asseburg, M., 2020: Wiederaufbau in Syrien. Herausforderungen und Handlungsoptionen für die EU und ihre Mitgliedstaaten. SWP-Studie
https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S07_Syrien.pdf

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