Kommentar

Nationale Größe

Die Vorstellungen darüber, was eine Nation groß macht, gehen auseinander. Manche Politiker meinen, es gehe um Einfluss jenseits der eigenen Grenzen, und einige halten militärische Macht für entscheidend. Andere nehmen das Wohlergehen der Bevölkerung als Maßstab.
Kopenhagens neue U-Bahn kommt ohne Fahrer aus. dem Kopenhagens neue U-Bahn kommt ohne Fahrer aus.

In den USA haben Spitzenpolitiker der Demokraten nun bekundet, sie fänden Dänemarks Sozialstaat mit Gesundheitsversorgung, Schulen und sogar Universitäten für alle großartig. In ähnlichem Sinne bezeichnet Präsident Barack Obama von Anfang an „nation building at home“ als seine Priorität. Das spielt nicht nur auf seine Krankenversicherungsreform an, sondern auch auf das Irak-Desaster seines Vorgängers George W. Bush. Obwohl Obamacare Millionen Menschen Versicherungsschutz verschafft hat, ohne Jobs oder Unternehmen zu vernichten, bezeichnen die Republikaner diese Reform aber als Fehlschlag. Über Bushs Beiträge zu den Problemen im Nahen Osten schweigen sie indessen lieber.  Anders als die Demokraten halten die Republikaner auch nicht viel vom hohen Anteil erneuerbarer Energien im dänischen Energiemix oder dem vorbildlichen öffentlichen Nahverkehr. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel hält sich mit großen Visionen zurück. Sie lässt aber durchblicken, dass aus ihrer Sicht Wettbewerbsfähigkeit entscheidend ist. Ein gut organisierter Sozialstaat beruht demnach auf unternehmerischem Erfolg und ist nur finanzierbar, wenn heimische Firmen die ausländische Konkurrenz schlagen. Entsprechend wurde in der Eurokrise die soziale Sicherung in Südeuropa drastisch reduziert. Der Haken dabei ist, dass starke soziale Infrastruktur nicht nur Geld kostet, sondern, wie Markus Loewe in unserem E+Z/D+C e-Paper 2015/08, S. 18 ff. erläutert hat, auch eine Grundlage von Wohlstand ist. Das gilt nicht nur für Dänemark sondern ebenso für Deutschland.   

Der russische Präsident Valdimir Putin hat ganz andere Ideen. Er will Weltmachtstatus und hat dafür aufgerüstet. Von den Streitkräften und vielleicht auch Öl- und Gasexporten abgesehen beeindruckt an Russland wenig.  

Das chinesische Regime hat dagegen erst die Wirtschaft aufgebaut und hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreit, bevor es mit Säbelrasseln begann. Indien ist noch sehr viel ärmer, aber die Hindu-chauvinistischen Kräfte, auf die sich Premierminister Narendra Modi stützt, beanspruchen jetzt schon eine globale Führungsrolle. Sie würden überzeugender wirken, wenn sie mehr erreicht hätten, um die Armut zu reduzieren.  

Die meisten afrikanischen Staatenlenker wissen, dass ihre Länder zu klein und zu arm sind, um eine weltweite Führungsrolle einzunehmen. Leider zeigen zu viele von ihnen kaum Interesse an der Entwicklung ihrer Länder. Sie halten diejenigen Machthaber für groß, die – mit welchen Mitteln auch immer – ihre Privilegien sichern und ihre Launen ausleben.   

Die Menschheit kann sich solches Machogehabe nicht leisten. Wir stehen vor riesigen Aufgaben, die nationale Regierungen allein nicht stemmen können. Der Klimawandel ist vermutlich das wichtigste Beispiel. Aber für andere Dinge – von der Seuchenabwehr bis hin zum Welthandel – gilt das auch. „Nation building at home“ kann in diesem Kontext sinnvoll sein, sofern es nicht auf Kosten anderer und zu Lasten der globalen Gemeingüter geht. Militärischer Ehrgeiz ist aber destruktiv. Wir brauchen globale Zusammenarbeit, nicht Konfrontation.

Entwicklungspolitisch ist nationale Größe leicht zu erkennen. Die 2030 Agenda mit den Sustainable Development Goals (SDGs) bietet die nötige Messlatte. Die Bezeichnung „groß“ verdienen Politiker und Nationen, die helfen, die SDGS zu erreichen. Nur darauf kommt es an.

PS.: Wie Hillary Clinton „liebe“ ich Dänemark, und wie Ministerpräsident Lars Loekke Rasmussen ist mir klar, dass es sich um eine Marktwirtschaft und keinen sozialistischen Staat handelt. An Willkommenskultur mangelt es indessen …

Hans Dembowski

 

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