Politisches Dilemma

Lehren aus Mariana

2015 ist im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ein Damm gebrochen und hat eine Schlammlawine entfesselt, die 19 Menschen tötete und enorme Zerstörungen verursachte. Derartige Katastrophen resultieren daraus, dass Investitionen in Umweltsicherheit als Wachstumsbremse angesehen werden. Diese Haltung muss sich dringend ändern, um ein gesundes Gleichgewicht zwischen der Nutzung natürlicher Ressourcen, wirtschaftlicher Entwicklung und ökologischer Nachhaltigkeit zu finden.
Rettungseinsatz nach dem Dammbruch im November 2015. Basso/NurPhoto/picture-alliance Rettungseinsatz nach dem Dammbruch im November 2015.

Der Unfall in der Nähe der Stadt Mariana war wohl die schlimmste Umweltkatastrophe in der Geschichte Brasiliens. Ein Damm, der Millionen Kubikmeter Bergbauabfälle hielt, brach zusammen, und die entfesselten Massen rissen einen weiteren Damm ein. Das Ergebnis war eine mit Schwermetallen kontaminierte Schlammlawine. Sie traf mehr als 40 Orte, zerstörte Fauna und Flora und verschmutzte den Fluss Rio Doce. Schließlich erreichte der giftige Abfall den Atlantik. Nach Angaben der brasilianischen Polizei war der Damm nicht ordnungsgemäß gewartet. Bergbau-Unfälle, die auf schlechte Infrastruktur zurückgehen, sind leider nichts Ungewöhnliches, vor allem in ländlichen Gebieten.

Neben dem Verlust von Menschenleben hatte die Katastrophe weitere schwere Folgen. Mehr als 1 600 Menschen mussten ihre Häuser verlassen und verloren ihre Existenzgrundlage. Darüber hinaus verloren viele Arbeiter ihre Jobs, weil der Unfall die Bergbaugesellschaft Samarco lahmlegte. Es ist nicht klar, ob sie den Betrieb jemals wieder aufnehmen wird. Samarco ist ein Joint Venture von zwei der drei größten Bergbauunternehmen der Welt: Vale und BHP Billington. Konzerne dieser Größe sollten verantwortungsvoll mit Sicherheitsthemen umgehen, das taten sie jedoch offensichtlich nicht. Vale ist ein multinationales Unternehmen mit Sitz in Rio de Janeiro, und BHP Billington hat seinen Hauptsitz im australischen Perth.

Die Dörfer am Flussufer verloren ihre Einnahmequellen. Der giftige Schlamm tötete Tonnen von Fisch, große Flussabschnitte kommen für Fischerei nicht mehr in Frage, und der überflutete Boden ist für die Landwirtschaft unbrauchbar geworden. Auch die Infrastruktur für Transport, Wasser- und Stromversorgung ist stark beschädigt. Darunter leiden auch andere Branchen wie der Tourismus. Die regionale Wirtschaft wird die Folgen noch jahrelang spüren.

600 Kilometer des Rio Doce sind von den Auswirkungen der Schlammlawine betroffen. Einige Arten, die nur dort existierten, sind wahrscheinlich ausgestorben. Experten können nicht abschätzen, wie lange es dauern wird, bis sich die lokale Fauna erholt. Staatliche Behörden wollen die Auswirkungen der Katastrophe und den Erfolg der Wiederherstellungsmaßnahmen mindestens zehn Jahre lang überwachen.


Hohe Bußgelder

Eine vom brasilianischen Nationalkongress eingesetzte Sonderkommission kam zu dem Ergebnis, dass Fahrlässigkeit seitens der Bergbaugesellschaft die Katastrophe verursacht hat. Samarco musste 20 Milliarden Reais (etwa 5,2 Milliarden Euro) Strafe zahlen, mehr als je zuvor nach einem Betriebsunfall in Brasilien gezahlt wurde. Staatliche Behörden und Samarco einigten sich auf die Schaffung eines Fonds, um den Wiederaufbau und Ausgleichsmaßnahmen zu finanzieren.

Nach Ansicht vieler Beobachter müssen jedoch auch die zugrundeliegenden Probleme in Angriff genommen werden. Brasilien braucht eine strengere Regulierung und Aufsicht des Bergbaus. Es mangelt an Strategien, um wirtschaftliche Entwicklung mit Umweltschutz zu koppeln. Da die Gefahren des Bergbaus nicht direkt Brasiliens Städte betreffen, in denen die meisten Menschen leben, stehen diese Themen auf der politischen Agenda nicht weit oben. Die Landbevölkerung leidet unter den Folgen. Wenn die Umweltkosten realistisch betrachtet würden, erschiene schnelles Wirtschaftswachstum weit weniger attraktiv. Das Beispiel Mariana zeigt, welche Kosten nicht nachhaltige Entwicklung auf kurze und lange Sicht verursacht.

Brasiliens Bergbausektor ist traditionell eine wichtige Säule der Wirtschaft. Auf ihn entfallen rund vier Prozent des BIP und etwa 20 Prozent der Exporte. Laut dem Brasilianischen Institut für Geographie und Statistik stellt die Bergbauindustrie etwa acht Prozent aller Industriearbeitsplätze im Land, wobei Jobs in den Lieferketten nicht mitgerechnet sind.


Handlungsbedarf

Das nationale Bergbaugesetz stammt aus den 1960er Jahren. Es wurde den fortschrittlichen Umweltgesetzen Brasiliens bisher nicht angepasst. Dementsprechend können Bergbauunternehmen nach wie vor ohne Rücksicht auf Umweltrisiken und ökologische Folgen Ressourcen ausbeuten. Sie können zum Beispiel problemlos auf indigenem Land operieren oder in Gegenden, in denen die Natur eigentlich geschützt werden soll. Darüber hinaus muss überwacht werden, ob sie ihre Anlagen in einem guten Zustand halten.

Eine Reform des Bergbaugesetzes wurde im Jahr 2013 angekündigt, aber der Entwurf berücksichtigt Umweltaspekte kaum. Die Priorität liegt auf dem Abbau von Bürokratie, der Beschleunigung des Bergbaus und der Steigerung der Produktivität von Unternehmen. Dagegen schlägt der Nationale Bergbauplan 2030 durchaus Maßnahmen vor, um die ökologische Nachhaltigkeit in der Branche zu fördern. Gute Absichten sind jedoch nicht genug. Entsprechendes Handeln und eine strenge Gesetzgebung sind notwendig.

Die besten Gesetze sind jedoch wertlos, wenn sie nicht durchgesetzt werden. Es macht stutzig, dass die Staatsausgaben für die Überwachung der Bergbauindustrie rückläufig sind. Nach Angaben der NGO Contas Abertas verbrauchten Bundesbehörden 2015 nur 13,2 Prozent der dafür vorgesehenen Mittel.

Brasiliens Regierung steckt derzeit in der Krise. Präsidentin Dilma Rousseff ist vom Amt suspendiert, und der amtierende Präsident Michel Temer sitzt alles andere als fest im Sattel – nicht zuletzt aufgrund von Korruptionsvorwürfen (siehe E+Z/D+C e-Paper 2016/06, S. 11). Angesichts der schweren Rezession, unter der das Land leidet, ist nicht zu erwarten, dass das Kabinett den Bergbausektor in absehbarer Zeit stärker reguliert. Schnelles Wachstum scheint nach wie vor höchste Priorität zu haben. Doch Brasilien wird den Preis dafür zahlen müssen. Die Regierung wäre gut beraten, Lehren aus Mariana zu ziehen.


Renata Buriti ist Postgraduierte an der TH Köln und spezialisiert auf Wasserressourcen­management.
re.buriti@gmail.com

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