SDG

Akzeptanz statt Zwang

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wird auch als „Weltzukunftsvertrag“ bezeichnet, unter anderem von Entwicklungsminister Gerd Müller. Das Dokument ist zwar kein Vertrag im juristischen Sinn, sondern als nicht bindendes „Soft Law“ zu qualifizieren, gibt aber in weiten Teilen bereits geltendes Völkerrecht wieder.
Die UN-Generalversammlung, hier bei der Amtseinführung von Generalsekretär António Guterres, hat die Agenda 2030 als Resolution verabschiedet. Lane/picture-alliance/dpa Die UN-Generalversammlung, hier bei der Amtseinführung von Generalsekretär António Guterres, hat die Agenda 2030 als Resolution verabschiedet.

Die UN-Generalversammlung hat die Agenda 2030 am 25. September 2015 als Resolution verabschiedet. Im Unterschied zu völkerrechtlichen Verträgen sind Resolutionen rechtlich nicht verbindlich, gehören also zum sogenannten völkerrechtlichen Soft Law. Das wirft die Frage auf, welche rechtliche Relevanz ein solches Dokument überhaupt haben kann.

Zweifel daran sind weit verbreitet. Doch Soft-Law-Normen sind für die Völkerrechtsentwicklung von großer Bedeutung. Ihre rechtliche Aufgabe besteht vor allem darin, bei der Vorbereitung von Kodifikationen und der Herausbildung neuen Völkergewohnheitsrechts mitzuwirken. Ihre politische Funktion dürfte aber noch deutlich wichtiger sein: Angesichts der vielfältigen internationalen Interessenkonflikte fällt es Regierungen zunehmend schwer, eine gemeinsame Basis für den Abschluss neuer, inhaltlich umfassender Verträge zu finden. Daher greifen sie insbesondere auf multilateraler Ebene gerne auf „weiche“ Steuerungsinstrumente zurück. Denn Soft-Law-Normen bedürfen keiner parlamentarischen Billigung oder – wie im Fall des Gewohnheitsrechts – langjährigen Staatenpraxis. Daher sind sie häufig besser geeignet, frühzeitig auf eine internationale Herausforderung zu reagieren, als harte Rechtsvorschriften („Hard Law“).

Soft Law zielt auf Akzeptanz statt auf Zwang ab – ein nicht zu unterschätzender Vorteil im politischen Geschäft. Hohe Akzeptanz und Gruppendruck („Peer Pressure“) sind wichtige Motivatoren. Ob Soft Law respektiert wird, zeigt sich an der Einhaltung von Berichtspflichten und vergleichbaren Monitoring-Mechanismen, die transparent und allgemein zugänglich sind. Regierungen nutzen das Soft Law auch deshalb gerne, weil sie sich damit auf Inhalte einigen können, die über einen politischen Minimalkonsens hinausgehen. Gerade der letztgenannte Aspekt war zweifellos auch für die Verabschiedung der Agenda 2030 als Resolution ausschlaggebend – denn ein rechtlich verbindlicher Vertragsschluss mit auch nur annähernd denselben Inhalten war angesichts des schwierigen Stands der internationalen Beziehungen illusorisch.


SDG und Menschenrechte

Auch wenn also die Agenda 2030 selbst nicht als rechtsverbindlicher völkerrechtlicher Vertrag einzustufen ist, so enthält sie doch zahlreiche Verweise auf das Völkerrecht und gibt in weiten Teilen bereits geltendes Recht wieder. Die Staatenvertreter appellieren damit insoweit an sich selbst, das Völkerrecht einzuhalten. Das ist zwar keine neue Situation, aber die hohe Aufmerksamkeit, die die Agenda 2030 erzielt hat, verbunden mit dem vorgesehenen Überprüfungsmechanismus, wird international mehr Transparenz herstellen als je zuvor.

In welchem Umfang die Sustainable Development Goals (SDGs) bereits den Vorgaben des Völkerrechts entsprechen, zeigt ein Blick auf die Menschenrechte. Das Dokument nimmt an mehreren Stellen ausdrücklich auf sie Bezug. So heißt es etwa in der Präambel, dass die „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung … darauf gerichtet (sind), die Menschenrechte für alle zu verwirklichen“. Zwischen einzelnen SDGs und zentralen Menschenrechtsnormen besteht ein enger Zusammenhang. So fordert zum Beispiel SDG 2.1, „bis zum Jahr 2030 den Hunger (zu) beenden und sicher(zu)-stellen, dass alle Menschen, insbesondere die Armen und Menschen in prekären Situationen, einschließlich Kleinkindern, ganzjährig Zugang zu sicheren, nährstoffreichen und ausreichenden Nahrungsmitteln haben“. Das entspricht exakt den Vorgaben, die zum Recht auf Nahrung in Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) und in dem dazu vom UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verabschiedeten General Comment 12 formuliert worden sind. Das mit dem Recht auf Nahrung eng verbundene Recht auf Wasser hat der UN-Ausschuss in seinem General Comment 15 konkretisiert. Die dort beschriebenen Anforderungen an die Implementierung dieses Rechts stimmen weitgehend mit den Forderungen überein, die die Weltgemeinschaft im SDG 6 aufgestellt hat.

Die neuen Entwicklungsziele im Bereich der globalen Gesundheit (SDG 3) bilden in etwa das ab, was auch das in Artikel 12 IPWSKR verankerte Recht auf Gesundheit und der zur Präzisierung ausgearbeitete General Comment 14 verlangen. Weitere Parallelen bestehen zwischen dem Recht auf Bildung (Artikel 13 IPWSKR mit General Comment 13) und den Einzelforderungen des SDGs 4 sowie zwischen dem erst im vergangenen Jahr durch einen weiteren General Comment (Nr. 23) konkretisierten Recht auf Arbeit (Artikel 7 IPWSKR) und den auf die Arbeitswelt bezogenen Zielen der SDGs 4.4. und 8.

Nicht zuletzt hat auch das in Artikel 9 IPWSKR genannte Recht auf soziale Sicherheit eine erhebliche Bedeutung für die neue Entwicklungsagenda, insbesondere für das an vorderster Stelle genannte Ziel, die Armut „in all ihren Formen und überall“ zu überwinden. SDG 1.3 verlangt in diesem Zusammenhang von den Staaten, „(d)en nationalen Gegebenheiten entsprechende Sozialschutzsysteme und -maßnahmen für alle um(zu)setzen, einschließlich eines Basisschutzes, und bis 2030 eine breite Versorgung der Armen und Schwachen (zu) erreichen“. Dieses Ziel wird bereits seit längerem vom Recht auf soziale Sicherheit abgedeckt und ist vor wenigen Jahren durch die Social-Protection-Floor-Empfehlung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nochmals explizit bestätigt worden.

Die Liste inhaltlicher Überschneidungen zwischen den SDGs und bereits etablierten Menschenrechtsverpflichtungen ließe sich beliebig fortsetzen. Das Dänische Menschenrechtsinstitut kommt in einer Detailanalyse der Agenda 2030 zum Ergebnis, dass 156 der insgesamt 169 Zielvorgaben (mehr als 92 Prozent) eine Verbindung zu den Menschenrechten und den grundlegenden Arbeitsstandards aufweisen. Neben dem IPWSKR sind dabei der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) ) sowie eine Reihe spezieller Menschenrechtskonventionen wie beispielsweise die Frauenrechts- und die Kinderrechtskonvention von Bedeutung.


Konsequenzen für die ODA

Die sozialen Menschenrechte, die – wie oben gezeigt – eine große Zahl der SDGs spiegeln, richten sich in erster Linie an die Staaten, auf deren Gebiet sich die jeweiligen Rechteinhaber – also die eigenen Staatsangehörigen, aber auch die im Land befindlichen Ausländer – aufhalten. Auch die Agenda 2030 erkennt diese Primärverpflichtung an, wenn sie klarstellt, dass „jedes Land die Hauptverantwortung für seine eigene wirtschaftliche und soziale Entwicklung trägt“. Zugleich betonen die Verfasser jedoch, dass die globalen Entwicklungsziele ohne eine Wiederbelebung und Ausweitung der Globalen Partnerschaft nicht zu erreichen sind. In deren Rahmen nimmt die staatliche Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) weiterhin einen prominenten Platz ein.

Diese spezifisch zwischenstaatliche Dimension des „Weltzukunftsvertrages“ findet ebenfalls eine Entsprechung im internationalen Menschenrechtsschutz. Alle zu den einzelnen sozialen Rechten verfassten General Comments nehmen auf Artikel 2 Absatz 1 IPWSKR Bezug, dem zufolge die Vertragsstaaten verpflichtet sind, einzeln und „durch internationale Unterstützung und Kooperation, insbesondere in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht“ auf die Verwirklichung der Konventionsrechte hinzuarbeiten. In der Verpflichtung zur internationalen Hilfeleistung unter dem IPWSKR gelangt eine der drei Dimensionen der extraterritorialen Staatenverpflichtungen zum Ausdruck: die internationale Gewährleistungspflicht, nach der sich die Vertragsstaaten auch außerhalb ihres Territoriums aktiv für die Umsetzung der Vertragspflichten einzusetzen haben.

Neben den Vorgaben der UN-Charta (Artikel 56) bildet also vor allem Artikel 2 Absatz 1 IPWSKR die völkerrechtliche Hard-Law-Grundlage für die Globale Partnerschaft. Zwar sind das konkrete Ausmaß der Unterstützungspflichten und die genaue thematische beziehungsweise länderspezifische Zuordnung auch weiterhin überwiegend nur auf Soft-Law-Ebene festgelegt. Insgesamt ist jedoch spätestens seit Verabschiedung der Agenda 2030 festzustellen, dass die generelle Verpflichtung zu Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit nicht nur eine moralische Pflicht darstellt, sondern auf einem tragfähigen völkerrechtlichen Fundament ruht.

Der umfassende, transformatorische Ansatz der Agenda 2030 kann den Weg für lokale ebenso wie globale Veränderungen bereiten. Jeder Einzelne, Gruppen und Institutionen sollten dies stets klar vor Augen haben, wenn sie Regierungen auf die Einhaltung der Verpflichtungen aus der Agenda 2030 überprüfen. Sie haben jedes Recht dazu.


Markus Kaltenborn lehrt an der Juristischen Fakultät und am Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik (IEE) der Ruhr-Universität Bochum.
markus.kaltenborn@ruhr-uni-bochum.de

Heike Kuhn ist Ministerialrätin und leitet das Referat Menschenrechte, Gleichberechtigung, Inklusion des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
heike.kuhn@bmz.bund.de

Der Artikel stellt die persönliche Sicht der Autoren dar.


Quellen

Danish Institute for Human Rights, 2016: The Human Rights Guide to the Sustainable Development Goals.
http://sdg.humanrights.dk/

Kaltenborn, M., 2015: Social Rights and International Development. (e-book)

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