Pakistan

Todesurteil für früheren Diktator

Pervez Musharraf – der General und ehemalige Präsident Pakistans – ist wegen Hochverrats verurteilt worden. Diese Entscheidung ist historisch bedeutsam. Eine Rechtswissenschaftlerin aus Lahore schätzt die Lage ein.
Staatschef Pervez Musharraf 2005 in Uniform. picture-alliance/dpa Staatschef Pervez Musharraf 2005 in Uniform.

1999 stürzte General Musharraf Premierminister Nawaz Sharif in einem Militärputsch und blieb danach fast ein Jahrzehnt lang an der Macht. Das jüngste Urteil eines Sondergerichts gegen ihn beruht nicht auf dem Putsch selbst, sondern ahndet eine Reihe verfassungswidriger Handlungen gegen Ende seiner Herrschaft. Musharrafs Regime rief einen unzulässigen Notstand aus, entließ fast 60 Richter der höheren Instanzen und setzte mehrere Verfassungsänderungen durch, welche von ihm selbst berufene Richter auch absegneten. Musharraf wollte vor allem Urteile verhindern, denen zufolge er nicht zugleich Staatschef und der höchstrangige Soldat der Streitkräfte hätte sein können.

Das Sondergericht, das Musharraf im Dezember verurteilte, wurde 2013 vom damaligen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs, Iftikhar Chaudhry, eingerichtet. Er handelt dabei auf Anweisung von Nawaz Sharif, der nach einem Sieg bei Parlamentswahlen abermals Regierungschef geworden war.

Das Urteil beruht auf Artikel 6 der Verfassung über Hochverrat. Schuldig macht sich ihm zufolge, wer die Verfassung „annulliert, aufhebt, aussetzt oder in der Schwebe hält“ oder sich zu diesem Zweck verschwört „mit Ausübung oder Androhung von Gewalt oder anderer verfassungswidriger Mittel“. Artikel 6 sieht die Todesstrafe oder lebenslange Haft vor.

In Musharrafs Fall kommt Artikel 6 erstmals zur Anwendung. Er ist so alt wie die 1973 verabschiedete Verfassung selbst. Der erste Diktator, der sie außer Kraft setzte, war 1977 General Zia-ul-Haq. Er starb ein Jahrzehnt später bei einem Flugzeugabsturz, sodass der Artikel nicht zur Geltung kam.

Supreme-Court-Präsident Chaudhry, der das Sondergericht schuf, stand im Zentrum des Konflikts zwischen dem Musharraf-Regime und der Justiz. Musharraf setzte ihn 2007 willkürlich ab und löste damit eine breite Bewegung aus: das „Lawyers’ Movement“. Die Proteste von Rechtsanwälten, politischen Parteien und Zivilgesellschaft wurden so stark, dass Anfang 2008 Neuwahlen stattfanden und der Militärherrscher abtreten musste. Danach regierte dann eine Koalition unter Führung der Pakistan People’s Party fünf Jahre lang das Land. Sharifs Muslim League gewann 2013 die nächste Parlamentswahl.

Im Dezember 2019 verurteilte das Sondergericht Musharraf nun mit zwei Richterstimmen gegen eine zum Tod. Musharrafs Anwälte hatten das Verfahren nach Kräften gebremst und blockiert. Das Urteil wird mit großer Sicherheit nicht vollstreckt werden – nicht zuletzt, weil der ehemalige Militärherrscher 2016 ins Ausland floh. Als Vorwand dienten Gesundheitsprobleme.

Das Urteil würde allerdings vermutlich aufgehoben werden, wenn er noch in Pakistan wäre. Dieser Fall berührt allzu viele politische Empfindlichkeiten. Zudem steht der heutige Premierminister Imran Khan, der die Wahlen 2018 gewann, der Militärführung nahe. Sein Einfluss ist deutlich in einem aktuellen High-Court-Urteil zu erkennen, dem zufolge das Sondergericht nicht auf legale Weise zustande gekommen ist.

Dieses Hin und Her ist nicht ungewöhnlich. In Pakistans Geschichte ist Demokratisierung kein linearer Prozess. Spannungen zwischen den beiden Staatsgewalten Regierung und Justiz führen in der Regel auch nicht zu eindeutigen Lösungen. Dennoch ist das Urteil wegen Hochverrats bedeutsam – und zwar nicht nur, weil Pakistan seit der Unabhängigkeit grob die Hälfte seiner Existenz unter Militärherrschaft verbracht hat.


Drei wichtige Dinge

Am wichtigsten ist, dass das Urteil des Sondergerichts einen Präzedenzfall geschaffen hat, indem es den Putschisten zur Rechenschaft gezogen hat. Bislang haben nur Militärs Handlungen begangen, die laut Artikel 6 Hochverrat ausmachen. Das Todesurteil setzt nun ein starkes Signal gegen Abenteurertum in den Streitkräften. Auch ohne Vollstreckung steigert er das Risiko für künftige Putschisten. Obendrein dürfte es auch alle diejenigen abschrecken, die einen Militärcoup unterstützen, ermöglichen oder dazu anstiften. In diesem Sinne schränkt das Urteil sogar den Entscheidungsspielraum künftiger Richter ein, denn es bindet auf positive Weise die Justiz selbst. Es betrifft aber auch alle anderen Kräfte, die künftig einen Putsch unterstützen könnten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass das Urteil den Vorrang der Verfassung bestätigt. Das ergibt sich auch aus der Art und Weise, wie es zustande kam. Generäle haben die Verfassung regelmäßig lächerlich gemacht. Es ist bezeichnend, dass Musharrafs Anwälte sich nun auf sie berufen, wenn sie einen fairen Prozess fordern und seine Bürgerrechte betonen. Er selbst hat sie in der Vergangenheit als „ein Stück Papier für den Mülleimer“ bezeichnet. Verfassungsprinzipien wie das der Gewaltenteilung haben in Pakistan mittlerweile Wurzeln geschlagen.

Hoch relevant ist obendrein, wie sehr sich das Verhältnis der Justiz zu den Streitkräften verändert hat. In der Vergangenheit kooperierten Richter meist mit Militärherrschern. Im vergangenen Jahrzehnt ist ihre Widerstandskraft aber gewachsen – und diese Entwicklung nahm durch das Law­yers Movement Fahrt auf. Indem es sich der autoritären Militärherrschaft entgegenstellte, ermöglichte es dem Supreme Court, sich von externen Einflüssen abzuschotten und zentrale Entscheidungen wie etwa die Berufung von Richtern der höheren Instanzen selbst zu übernehmen. Bei künftigen Konflikten zwischen Justiz und Militär dürften die Rechtsanwälte wieder die Position der Richter stärken. Das Urteil gegen Musharraf belegt nun abermals, dass die Justiz Momente institutioneller Stärke nutzt, um sich der Militärspitze entgegenzustellen.


Maryam S. Khan ist Rechtswissenschaftlerin und Forschungsstipendiatin am unabhängigen Institute of Development and Economic Alternatives (IDEAS) in Lahore.
Twitter: @MaryamShKhan

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.