Multilaterale Organisationen

Was Geopolitik mit Golfclubs zu tun hat

Internationale Organisationen folgen kaum festen Regeln im Hinblick auf Aufnahme oder Ausschluss von Mitgliedern. Deshalb nennt die Harvard-Professorin Christina Davis sie in ihrem gleichnamigen Buch „Discriminatory Clubs“ und untersucht, wie diese Willkür die gesamte Weltgesellschaft strukturiert.
Eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates im September 2023. picture-alliance/dpa/Michael Kappeler Eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates im September 2023.

Der Begriff „regelbasierte Weltordnung“ geistert seit geraumer Zeit durch multilaterale Foren und Konferenzen der internationalen Organisationen. Er prägt außenpolitische Statements vor allem von EU und USA. Akteure aus ärmeren Weltgegenden überzeugt er aber oft nicht. Ihr Hauptkritikpunkt ist, dass westliche Staaten und internationale Organisationen sich selbst oftmals nicht an die von ihnen propagierten Regeln halten.

Diese Inkonsistenz beginnt bereits damit, dass Mitgliedschaft in internationalen Organisationen äußerst flexiblen Regeln und Kriterien folgt. Christina Davis schreibt in ihrem Buch, Mitgliedschaftsentscheidungen seien zutiefst politisch. Nicht etwa Leistungsfähigkeit oder Konformität im Hinblick auf das Kernanliegen einer Organisation bestimmten, ob ein Staat aufgenommen wird, sondern geopolitische Ausrichtung.

Sie hat Satzungen verschiedener internationaler Organisationen untersucht und stellt fest, dass viele Mitgliedschaftskriterien nur vage formuliert sind. Der so entstehende Ermessensspielraum könne – von der NATO bis zur WTO – die Eintrittsbarriere für einige senken und für andere erhöhen. Nichtverbündete müssten möglicherweise einen größeren Reformaufwand betreiben.

Beitrittsregeln sind laut Davis’ Befund so gestaltet, dass Auswahl durch Abstimmung bestehender Mitgliedsstaaten erfolgt. Das führe dazu, dass Staaten mit ähnlicher geopolitischer Orientierung eher der gleichen Organisation beitreten. Jene Orientierung misst Davis in ihren statistischen Analysen etwa anhand bestehender (bilateraler oder sicherheitspolitischer) Bündnisse und anhand des Abstimmungsverhaltens in den UN.

Die Zustimmung der bestehenden Mitglieder spiele die größte Rolle bei der Auswahl neuer Mitglieder und werde völlig willkürlich gehandhabt. Diese Kombination aus selektiver Auswahl und vagen Bedingungen macht internationale Organisationen für Davis zu „diskriminierenden Clubs“.

Der Beitritt zu einer Organisation werde so zu einem Instrument der Soft-Power-Diplomatie. Flexible Kriterien machen Mitgliedschaft zu Zuckerbrot und Peitsche, um Ziele zu erreichen, die über den Beschäftigungsbereich der Organisation hinausgehen, schreibt sie.

Andererseits sei der Ausschluss eines Staates eine Sanktionsmöglichkeit. Nur wenige Organisationen hätten dafür klare Regeln, stellt Davis fest und blickt nach Südafrika: Das Land wurde während der Apartheid nahezu aus allen internationalen Kontexten ausgeschlossen, unabhängig davon, ob es Vorschriften eigentlich einhielt oder Beiträge pünktlich leistete. Solch ein Ausschluss ist selten, aber sehr wirkungsvoll.

„Rich Country Clubs“

Manche Organisationen erinnern Davis an Golfclubs: Bestehende Mitglieder legen längst nicht nur Wert auf die Golfkenntnisse neuer Anwärter, sondern auch auf deren Status. Sie nennt die OECD als Paradebeispiel des „Rich Country Club“. Hier Mitglied zu sein sei mit Prestige verbunden – gegenüber der eigenen Bevölkerung, aber nicht zuletzt gegenüber Investoren. Gruppenmitgliedschaften signalisierten den Status eines Staates, schreibt sie.

Selbst regionale Organisationen seien versteckte „discriminatory clubs“. Statistische Analysen von 197 regionalen Organisationen legen nahe, dass sicherheitspolitische Bindungen ebenso wichtig für eine Mitgliedschaft sind wie geographische Nähe.

Das Gleiche gelte für Organisationen, die sich ausdrücklich dem Prinzip der offenen Mitgliedschaft verschrieben haben. Auch hier gebe es Grenzen, denn es hänge vielfach von der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen ab, ob die Souveränität eines Staates anerkannt werde. Somit blieben Länder wie Palästina oder Taiwan ausgeschlossen. Außerdem gebe es laut Davis auch innerhalb der Organisationen Ungleichheit, wie die Macht der permanenten Mitglieder im UN-Sicherheitsrat verdeutliche.

Grundsätzlich beklagt Davis, den Mitgliedschaftsbestimmungen internationaler Organisationen fehlten klare Definitionen. Regionale Organisationen erwähnten „Region“, ohne geographische Grenzen derselben zu nennen. Universale Organisationen proklamierten derweil „offene Mitgliedschaft für alle Staaten“, ohne Staatlichkeit zu definieren.

So würden internationale Organisationen zu „Gatekeepern“ staatlicher Souveränität, die nur Mitgliedsstaaten zuerkannt werde. Davis zeigt somit ein Paradoxon auf: Staatliche Souveränität sei eine Voraussetzung für die Aufnahme in internationalen Organisationen, allerdings sei Mitgliedschaft ein Ausgangspunkt zur Herstellung staatlicher Souveränität.

Sie bringt hier Taiwan als Land mit leistungsstarker Regierung ins Spiel, das aufgrund seines Souveränitätskonflikts mit China und nicht aus Zweifel an künftiger Regelkonformität etwa aus der UN ausgeschlossen wird. Beispiele wie Palästina oder Taiwan zeigen, dass es bei Mitgliedschaft in den „Clubs“ um viel mehr als internationale Kooperation in bestimmten Bereichen geht. Ein Beitritt dieser beiden Länder etwa in die WHO wäre laut Davis von großem Vorteil für den globalen Gesundheitssektor. Er hätte jedoch noch weiter reichende geopolitische Konsequenzen.

Davis führt eine Fülle an Fällen an, die ihr Argument stützen: Würde die OECD eine demokratische Regierungsführung vorschreiben oder eine strenge Leistungskontrolle bezüglich der Einhaltung all ihrer Konventionen durchführen, hätten Staaten wie die Türkei und Mexiko mehr Schwierigkeiten gehabt, Mitglied zu werden. Wäre die WTO wirklich universell, hätten außenpolitische Gründe, die nichts mit Handel zu tun haben, den Beitritt Irans nicht aufgehalten und den Beitritt Chinas nicht verzögert.

Anarchistische Gesellschaft

Davis konzentriert sich auf die Welt nach 1945, versäumt es aber nicht zu erwähnen, dass Staaten ihre Differenzen im Laufe der Zeit auf verschiedene Art zu verringern versuchten. Im frühneuzeitlichen Europa seien dynastische Netzwerke, in Ostasien Konfuzianismus und tributäre Beziehungen strukturierende Elemente gewesen. Der Imperialismus habe viele Regionen zur Anpassung an europäische „Zivilisationsstandards“ gezwungen, die größtenteils mit Waffengewalt durchgesetzt wurden. Erst nach 1945, so Davis, traten geopolitische Ausrichtungen an die Stelle imperialer, kultureller oder dynastischer Verbindungen, und „universelle Werte“ ersetzten die Zivilisationsrhetorik.

Interessant ist ihr zaghafter Blick in die Zukunft: Sicherheitspolitische Interessen als gemeinsamer Marker in den internationalen Organisationen könnten anderen weichen. Sie ist nicht die Einzige, die dabei an Clubs der Klimaschützer denkt.

Diese Strukturen spielen eine wichtige Rolle, denn Davis stellt fest, dass die internationale Gemeinschaft ohne höhere Autorität eigentlich anarchistisch sei. Ordnung sei nur möglich, wenn die Institutionen dieser Gemeinschaft einem Gemeinwohl dienten.

Davis bleibt hier die Anmerkung schuldig, dass sich jene universellen Werte, die das Gemeinwohl konstituieren, auf liberale Ethik und europäische Aufklärung gründen und in vielen Weltgegenden eigenen kulturellen Werten durchaus zuwiderlaufen können.

Doch das Anliegen ihres Buches ist es grundsätzlich nicht, zu kritisieren, sondern zu analysieren. Davis macht deutlich, dass sie die Auswirkungen der diskriminierenden Mitgliedschaftsregelungen nicht untersuchen will. Sie kommt allerdings nicht umhin festzustellen, dass vage Regeln den Beitritt von Staaten begünstigen, die eigentlich nicht genügend Leistung erbringen, um dazuzugehören, und fehlende Ausschlusskriterien Regelverletzer in den Organisationen halten. Diese Dynamik führe tendenziell zu einer Überexpansion, und die Konsequenzen daraus seien Verwässerung der Statusvorteile und Verschlechterung der Leistung im Aufgabengebiet der Organisation. So entstünden Anreize zur Bildung immer neuer Organisationen.

Davis wird noch deutlicher: Wenn Staaten aufgrund sicherheitspolitischer Bindungen wenig qualifizierte Partner etwa in eine vorwiegend wirtschaftliche Organisation aufnehmen, wird die Mitgliedschaft dieser die durchschnittliche Leistungsfähigkeit senken. Doch hier macht ihr der Golfclub-Vergleich Hoffnung: Jemand, der keine Begabung für den Golfsport hat, aber zu den elitären Kreisen gehören möchte, könne schließlich auch Golfspielen lernen.

Katharina Wilhelm Otieno ist Redakteurin bei E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu

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