Zivilgesellschaft

Eine globale Plattform

Die Zahl der internationalen Nichtregierungsorganisationen ist seit den 1990ern rasant angestiegen. Angesichts komplexer, globaler Herausforderungen wie Klimawandel und der Debatte um ein Post-2015-Entwicklungszusammenarbeitskonzept ringen einige damit, ihre Organisationen den rasanten Veränderungen anzupassen. Das International Civil Society Centre in Berlin bietet eine Plattform für gemeinsames Lernen und Handeln.
Globale Reichweite: Amnesty-International-Aktivisten demonstrierten in Seoul im September gegen die Gewalt der ägyptischen Sicherheitskräfte . Lee Jin-man/AP-Photo/picture-alliance Globale Reichweite: Amnesty-International-Aktivisten demonstrierten in Seoul im September gegen die Gewalt der ägyptischen Sicherheitskräfte .

Die Welt ändert sich rasant. Internationale zivilgesellschaftliche Organisationen (ICSOs) müssen daher strategisch handeln – sie müssen Veränderungen erkennen, sich an wachsende Anforderungen anpassen und neue Chancen erkennen. Das International Civil Society Centre in Berlin will dabei Unterstützung bieten.

Häufig werden die Begriffe „Nichtregierungsorganisation" und „Non-Profit Organisation" verwendet. Sie sind jedoch unzureichend, weil sie nur beschreiben, was diese Organisationen nicht sind, und damit deren gegenwärtiger und zukünftiger Rolle nicht gerecht werden. Deshalb sprechen wir von „zivilgesellschaftlichen Organisationen" (International Civil Society Organisations, ICSOs). Heute mischen einige ICSOs in der Weltpolitik mit. Sie werden zunehmend einflussreicher, und dieser Trend wird sich wohl auch fortsetzen.

Am stärksten sind ICSOs, wenn sie zusammenarbeiten. Das International Civil Society Centre, das 2007 in Berlin gegründet wurde, will große Organisationen wie Amnesty International, Greenpeace oder Oxfam vernetzen, damit sie gemeinsam mehr erreichen. In einer Reihe jährlicher Veranstaltungen bringt das Centre die Führungskräfte weltweit wichtiger Organisationen zusammen und ist damit zum Treffpunkt und zur Plattform für gemeinsames Handeln geworden. Es kooperiert mit internationalen Entscheidungsträgern und Vordenkern wie Ángel Gurría von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Muhammad Yunus von der Grameen Bank oder Mary Robinson, der früheren Präsidentin Irlands und Hohen UN-Kommissarin für Menschenrechte.

Gegründet von Peter Eigen, dem Gründer von Transparency International, und Burkhard Gnärig, dem heutigen Geschäftsführer, gehört das Centre heute zehn der bedeutendsten ICSOs:

  • Amnesty International,
  • CBM International,
  • ChildFund Alliance,
  • Oxfam International,
  • Plan International,
  • Sightsavers International,
  • SOS Kinderdörfer International,
  • Transparency International,
  • World Vision International und
  • WWF International.

Andere führende ICSOs können den Kreis der Eigner erweitern. Anstatt die Agenda vorzugeben, befragt das Centre die ICSO-Führungskräfte und baut sein Programm rund um deren Bedürfnisse auf. So bekommt es Einblick in neue Trends, aktuelle Herausforderungen und sich daraus ergebende Möglichkeiten. Von Anfang an war das Centre von diesem Dienstleistungsgedanken geleitet.

Ein zentrales Thema ist die Organisationsführung. Die meisten ICSOs sind internationale Zusammenschlüsse, die sich auf nationale Zweigverbände stützen. Wer den größten Teil zum Budget beiträgt, hat meist große Entscheidungsmacht. Entsprechend spiegeln die meisten ICSO-Gremien auch die weltweite Machtverteilung wider. Und wie bei den UN basieren globale Entscheidungen oft auf Kompromissen zwischen unterschiedlichen nationalen Interessen. Das führt aber nicht unbedingt zu den besten Lösungen für globale Herausforderungen.

Eine Bestrebung des Centres ist daher, Anregungen zu geben, wie Strukturen und Entscheidungsprozesse der ICSOs wahrhaft global gestaltet werden können. ICSOs sollen ermutigt werden, ihren üblichen ­europäischen/nordamerikanischen Fokus zu überwinden, etwa indem sie schauen, wie CSOs in Asien und anderen nicht-westlichen Regionen funktionieren. Das Centre diskutiert mögliche Kooperationen mit asiatischen Partnern hin zu einer globalen CSO-Plattform.

 

Transparenz erhöhen

ICSOs stehen zudem unter wachsendem Druck, transparent öffentlich Rechenschaft abzulegen. Mit zunehmenden Einnahmen und Einfluss werden sie nicht nur von den Spendern und Hilfeempfängern stärker hinterfragt. Auch das Interesse von Medien und Öffentlichkeit wächst. Um das Vertrauen aufrechtzuerhalten, müssen ICSOs mehr tun, als gute Vorsätze zu äußern. Sie müssen Ergebnisse zeigen und ihre Effizienz und Effektivität belegen. Allen legitimen Ansprüchen zu genügen ist nicht leicht – und manchmal unmöglich. Viele Regierungen schränken den Raum für zivilgesellschaftliche Aktivitäten ein. Sie betrachten Menschenrechtsaktivisten, Umweltorganisationen und Wohltätigkeitsorganisationen, die sich in der Armutsbekämpfung engagieren, als Ärgernis oder sogar als Gefahr. Über Aktivitäten in diesen Ländern zu informieren kann die ICSO-Mitarbeiter und ihre Partner in den betroffenen Ländern gefährden.

Außerdem sind Transparenz und Rechenschaft teuer. Recherche, Berichte und Informationen zu verbreiten kostet Geld. ICSOs haben aber den Anspruch, so viel wie möglich von ihrem Geld für ihre Mission aufzuwenden – zum Beispiel die Unterstützung von Kindern. Dennoch hat die Öffentlichkeit das Recht, Transparenz und Verantwortlichkeit einzufordern. Deshalb haben einige ICSOs gemeinsam die INGO Accountability Charter entwickelt. Seit 2010 beherbergt das Centre das Sekretariat der Charta und unterstützt so ICSOs in der Verbesserung ihrer Rechenschaftslegung.

 

Einschneidende ­Veränderungen

Im Privatsektor hat es in den letzten Jahrzehnten einschneidende Veränderungen gegeben. Technische Innovationen haben etwa die Musikindustrie, Zeitungen und Fotografie fundamental verändert. Viele etablierte Unternehmen sind in Konkurs gegangen.

ICSOs diskutieren, wann und wie solche äußeren Veränderungen auch in ihrem Bereich auftreten können. Mögliche Ursachen könnten sein:

  • die zunehmende Beliebtheit webbasierter CSOs, die Spender online direkt mit den Empfängern vernetzen – zu deutlich geringeren Kosten;
  • neue Arten von Spendern, oft mit privatwirtschaftlichem Hintergrund, die eine greifbarere Wirkung erzielen wollen, als CSOs bisher geliefert haben;
  • der Aufstieg von sozialem Unternehmertum, das den Wettbewerb um Spenden verschärft, da es in attraktiven Angeboten Effizienz und Nachhaltigkeit verbindet.

ICSOs müssen sich darauf vorbereiten, auf die Gefahren solcher disruptiver Veränderungen zu reagieren und die Chancen zu nutzen. Dieses Thema stand im Mittelpunkt des diesjährigen „Driving Change"-Projekts des Centres. Die Ergebnisse werden im November 2013 präsentiert.

ICSO-Leiter müssen viel leisten in Zeiten der Globalisierung, steigender Vernetzung und technologischer Entwicklung. Viele Führungskräfte fühlen sich nicht ausreichend darauf vorbereitet, Organisationen in dieser komplexer werdenden Welt zu leiten. Sie müssen effektivere Entscheidungstechniken entwickeln, das Risiko-Management verbessern und ihre Organisationsstrukturen überarbeiten. Das Centre bietet daher jährlich die „Senior Leaders Week" an, bei der gehobene Führungskräfte aus ihrem geschäftigen Alltag heraustreten und voneinander lernen können.

In den letzten sechs Jahren hat das Centre sich darauf konzentriert, ein Netzwerk zivilgesellschaftlicher Führungskräfte aufzubauen. Es hat daran gearbeitet, Vertrauen und Offenheit zu schaffen, und so die Grundlage für Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Lernen gelegt. Der nächste Schritt wird sein, bessere Kooperation zwischen den ICSOs zu schaffen – mit dem übergeordneten Ziel, größere Wirkungen zu erzielen (siehe Kasten).

 

Helene Wolf ist stellvertretende Geschäftsführerin des International Civil Society Centre.
hwolf@icscentre.org

 

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