Emissionen

Eine Frage der Gerechtigkeit

Bei den Klimaverhandlungen der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) im Juni in Bonn hat sich erneut gezeigt, wie schwierig es ist, gemeinsame Lösungen zu finden. InWEnt und Transparency International brachten kurz darauf nochmals Klimaexperten aus aller Welt in Berlin zusammen, um zu klären, ob eine gemeinsame und faire Governance-Architektur für Klimapolitik überhaupt möglich ist.

[ Von Eva-Maria Verfürth ]

Wenn es um Klima geht, geht es immer auch um Gerechtigkeit – schließlich sind die Länder, die den Großteil der Emissionen weltweit zu verantworten haben, nicht diejenigen, die von den Folgen am schlimmsten betroffen sind. Die USA allein haben einen fünfmal so großen ökologischen Fußabdruck wie das Schwellenland China, aber 90 Prozent der vom Klimawandel unmittelbar betroffenen Menschen leben in Entwicklungsländern. Wer ist also verantwortlich für die Reduzierung welcher Emissionen?

Auf dem Podium in Berlin prallten Nord- und Süd­perspektiven deutlich aufeinander. Dabei wurde vor allem deutlich: Die einzelnen Länder vertreten extrem unterschiedliche Positionen.

„Ihr seid vielleicht nicht schuld an dem, was eure Großeltern getan haben. Aber ihr seid reich, weil sie es getan haben.“ José Miguez, Wissenschaftsminister und Vertreter Brasiliens auf dem Klimagipfel in Kopenhagen, ließ keinen Zweifel daran, dass er die Emissionsreduktion als Aufgabe der Industrienationen betrachtet. Die ärmeren Länder müssten sich zunächst um ihre Entwick­lung kümmern und etwa Straßen und Krankenhäuser errichten. Für diesen elementaren Aufbau müssten sie ihren Emissionsausstoß eher steigern, so Miguez. Maßnahmen zur Klimaanpassung würden ihre Entwicklung bremsen.

Die Debatte um Klimagerechtigkeit ist zäh. Das Kyoto-Protokoll legt als Beginn für die Berechnung der Emissions-Schuld jedes Staates das Jahr 1990 fest. Die Entwicklungsländer jedoch fordern selbstbewusst eine wesentlich umfassendere Wiedergutmachung von den reichen Staaten. Sie sehen diese als Hauptverursacher der Klimaproblematik – und das seit Beginn der Industrialisierung.

Wachstum ohne Emissionen

Dabei könnte der Emissionshandel selbst bei einer Berechnung ab 1990 garantieren, dass beträchtliche Gelder aus Ländern mit hohen Emissionen in Länder mit niedrigen Emissionen fließen – also meist aus Industrieländern in ärmere Länder.

Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), stellte den Budget-Approach des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltfragen (WBGU) vor. Dieser errechnet anhand einer Pro-Kopf-Emissionsrate, wie viele Emissionsrechte den einzelnen Ländern in den kommenden Jahren noch zuständen. Die Finanztransfers würden sich, bei einem Preis von zehn bis 30 Dollar pro Tonne CO2, auf insgesamt 35 bis 100 Milliarden Dollar im Jahr be­laufen.

Niedrig-Emissionsländer – wie die meisten Entwicklungsländer es sind – hätten auf diesem Zertifikatemarkt demnach einen deutlichen Wettbewerbsvorteil.

„Die Entwicklungsländer werden feststellen, dass Klimamaßnahmen ihnen Vorteile bringen“, erklärte Jacob Werksman vom World Resources Institute (WRI) in Washington. Sie werden ihre Institutionen stärken, um sich auf den Emissionshandel vorzubereiten.

Auch Estherine Lisinge-Fotabong von NEPAD (New Partnership for Africa’s Development) in Südafrika ist sicher, dass Entwicklungsländer sich auf die veränderte Klimasituation einstellen und effiziente Technologien einsetzen möchten. Durch Technologietransfer und Capacity Building könnten Industrieländer auch eine Art Kompensation oder Gerechtigkeitsausgleich betreiben, so Lisinge-­Fotabong.

Ein funktionierendes Emissionssystem aufzubauen ist aber gar nicht so einfach. Große Strukturen bergen die Gefahr von Intransparenz, Korruption und Betrug.

Fairness im Verhandlungsprozess

Die Privatwirtschaft brauche zudem verlässliche und langfristige Perspektiven, um sich anzupassen, betonte Carolin Zerger vom deutschen Umweltministerium (BMU). Doch solange selbst um grundlegende Prämissen des Kyoto-Protokolls noch gestritten wird, liegt das in weiter Ferne. „Wenn wir uns von den Klimaabkommen wegbewegen, riskieren wir, dass Unternehmen dies als Entschuldigung nehmen, ihre Emissionen nicht zu reduzieren“, bekräftigte Laura Altinger von der United Nations Economic Commission for Europe in der Schweiz (UNECE).

Bei der Debatte um Klimagerechtigkeit geht es jedoch um mehr als historische Gerechtigkeit und finanzielle Verpflichtungen. Es geht auch um Fairness im Verhandlungsprozess – ohne diese wird es keine gemeinsame Lösung geben. Fairness bedeutet Transparenz, gleiche Information und gerechte Chancen.

Ungleiche Information kann internationale Verhandlungen zum Erliegen bringen. „Kopenhagen ist auch aufgrund der Informationspolitik der dänischen Regierung fast in einem Kollaps geendet“, sagte Sven Harmeling von Germanwatch. Viele Länder konnten nicht an den Verhandlungen teilnehmen und waren auf die Berichte angewiesen. Diese Länder hörten ­Oba­ma allerdings schon ein Ergebnis verkünden, ehe sie den Entwurf überhaupt zu Gesicht bekommen hatten. „Kein Wunder, dass sie den Vertrag nicht einfach unterschrieben haben.“

Endlich handeln – aber wie?

Bisher findet vor allem ein Austausch zwischen Wissenschaft und Politik statt, so Harald Heinrichs von der Leuphana Universität Lüneburg. Dabei sei es wichtig, auch die Zivilgesellschaft zu informieren. Denn nur durch Druck aus der Gesellschaft würden Politiker wirklich aktiv. „Wir müssen die Leute dazu bringen, dafür zu sorgen, dass ihre Regierung ihre Pläne auch umsetzt“, bestätigte auch Jacob Werksman vom WRI.

Die Differenzen bei der Frage nach der Verantwortung und der Bewertung der ­Kyoto-Ergebnisse waren erheblich; einige Teilnehmer sahen sie als Scheitern, andere als zumindest kleinen Erfolg. Einig waren sich aber alle darin, dass die Politik derzeit zu langsam handelt.

Der Klimawandel geht schneller vonstatten als die mühseligen internationalen Verhandlungen. „Statt diese Prinzipien­diskussionen zu Gerechtigkeit immer weiter zu führen, müssen wir endlich handeln“, kommentierte eine Stimme aus dem Publikum in Berlin.

Roda Verheyen vom Climate Justice Program machte einen Vorschlag, wie das diplomatische Problem überbrückt werden könnte: Sie plädiert für die Einrichtung einer Klimagerichtsbarkeit, selbst wenn die politischen Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind. „Vielleicht könnte das die politische Verstrickung lösen“, meinte sie.

Im Völkerrecht gebe es einen einfachen Grundsatz, der auch auf Klimafragen anwendbar sei: Niemand darf anderen Schaden zufügen. Wäre der Schutz vor vermeidbaren Klimaschäden einklagbar, so könne diese Instanz auf rein juristischer Grundlage entscheiden, worüber sich die Politiker nicht einig werden: wer für welche Schäden zahlen muss. Eine Gemeinde etwa, der eine Überschwemmung droht, könnte dann ihren Bürgermeister verklagen, sollte dieser sich weigern, einen Staudamm zu bauen.

Auch Dirk Messner sieht eine politische Entscheidung und die konsequente Umsetzung des Emissionshandels noch in weiter Ferne. Endlich zu handeln – dafür sieht er die industrialisierten Länder in der Verantwortung. Europa müsse als gutes Beispiel vorangehen. „Macht aus Europa ein führendes Beispiel für eine CO2-arme Volkswirtschaft, die zugleich eine global führende Wirtschaftsregion ist“, forderte er.

Außerdem solle Europa mit anderen engagierten Regionen zusammenarbeiten, sogenannten Klimapionierstaaten. Damit es im Dezember 2010 anhand sichtbarer Erfolge in den Cancún-Verhandlungen zeigen kann, dass es zu seinen Verpflichtungen steht.

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