Content-Moderation
Menschliche Abgründe sichten – für keine zwei Dollar pro Stunde

Die meisten Facebook-User*innen dürften beim Scrollen nicht auf Obszönitäten stoßen – weil es Menschen gibt, die ihr Geld damit verdienen, solche Inhalte zu sichten und zu löschen. Sie riskieren dafür ihre psychische Gesundheit. Unter Zeitdruck und für wenig Geld entfernen Content-Moderator*innen die schlimmsten Videos von Gewalt, Missbrauch, Hassrede und weiteren Inhalten, die gegen Metas Community-Standards verstoßen.
Im Februar 2022 veröffentlichte das Time Magazine die Geschichte von Daniel Moutang. Der ehemalige Sama-Angestellte war entlassen worden, weil er eine Gewerkschaft gründen und streiken wollte, um gegen die Ausbeutung der Mitarbeiter*innen und niedrige Löhne anzugehen. Laut Artikel verdienten Sama-Beschäftigte in Kenia bei einer 45-Stunden-Woche netto etwa 1,46 Dollar pro Stunde.
Nachdem Moutang „Facebooks afrikanischen Ausbeuterbetrieb“ – so die Schlagzeile des Time Magazine – öffentlich gemacht hatte, berichteten immer mehr Content-Moderator*innen, sie seien im Job zusammengebrochen, etwa wenn sie sehen mussten, wie ein Mann in einem Video zerstückelt wurde. Raum gab es dafür keinen: Ungeachtet ihres psychischen Ausnahmezustands beorderten ihre Vorgesetzten sie wohl direkt wieder an die Bildschirme zurück.
Ian Kanyanya, Leiter der psychiatrischen Abteilung des Kenyatta National Hospital, diagnostizierte bei 144 Mitarbeitenden eine posttraumatische Belastungsstörung. Er dokumentierte, dass die von ihm untersuchten Content-Moderator*innen regelmäßig extreme Inhalte sehen mussten, darunter Videos von (Selbst-)Morden, Selbstverletzungen, Sex und Kindesmissbrauch.
Meta bestreitet Vorwürfe
Seit einer Grundsatzentscheidung des kenianischen Berufungsgerichts im September 2024 dürfen die Betroffenen vor den Arbeitsgerichten des Landes gegen Menschenrechtsverletzungen durch Meta klagen. Die kenianische Anwältin Mercy Mutemi vertritt einige ehemalige Content-Moderator*innen von Meta. Sie schrieb Anfang April in Al Jazeera, dass die Betroffenen von Sama eingestellt worden seien und von 2019 bis 2023 ausschließlich als Content-Moderator*innen für Facebook, Instagram, WhatsApp und Messenger gearbeitet hätten. Meta streitet dies ab und sagt, sie seien ausschließlich bei Sama (mit Hauptsitz in San Francisco) angestellt gewesen.
Dank Outsourcing bleiben große Technologieunternehmen oft rechtlich unbelangt. Die kenianische Polit-Analystin und Bürgerrechtsaktivistin Nerima Wako-Ojiwa forderte auf CBS News, die Arbeitsgesetze zu reformieren und digitale Arbeit anzuerkennen – nicht nur in Kenia. „Wenn wir anfangen, uns für Arbeitnehmerschutz einzusetzen, machen viele dieser Unternehmen … dicht und ziehen in ein Nachbarland um“, sagte sie dem US-Nachrichtensender.
Alba Nakuwa ist freie Journalistin aus dem Südsudan und lebt in Nairobi.
albanakwa@gmail.com