Entwicklungsstrategie

„Armut ist vom Menschen geschaffen“

Der Wissenschaftler Jason Hickel macht sich in seinem aktuellen Buch Gedanken darüber, warum die Welt so ungleich entwickelt ist und wie dem entgegengesteuert werden kann. Armut sei „die unvermeidliche Folge von fortgesetztem Plündern“ einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Menschen in reichen Ländern auf Kosten der armen Länder. Entwicklungshilfe (ODA – official development assistance) sei dabei nicht die Lösung, sondern es brauche eine gerechte politische und wirtschaftliche Weltordnung.
Faire Löhne und fairer Handel sind entscheidend, um Armut wirkungsvoll zu bekämpfen: Tee-Produktion in Kenia. Ton Koene/Lineair Faire Löhne und fairer Handel sind entscheidend, um Armut wirkungsvoll zu bekämpfen: Tee-Produktion in Kenia.

Der Anthropologe Jason Hickel ist selbst in Swasiland geboren und hat mehrere Jahre als Entwicklungshelfer für verschiedene Nichtregierungsorganisationen gearbeitet. Bei seiner Arbeit kam er zu dem Schluss, dass die Kluft zwischen reichen und armen Ländern „weder naturgegeben noch unausweichlich“, sondern vom Menschen erschaffen ist.

Er erkannte, dass die Entwicklungsländer ihre Armut nicht selbst verursacht haben, sondern die Gründe dafür außerhalb zu suchen seien. Er beschreibt und belegt diese ausführlich. Westliche Regierungen hätten unter anderem deshalb kein Interesse an der Entwicklung der Volkswirtschaften in Entwicklungsländern, weil dies die Profite westlicher Konzerne schmälern und den Zugang zu billigen Arbeitskräften und Rohstoffen behindern würde.

Das globale Wirtschaftssystem, so der Autor, sei so strukturiert, dass es eine sinnvolle Entwicklung beinahe unmöglich mache. Der Aufschwung Afrikas wurde außerdem dadurch unterminiert, dass der Westen seine Macht als Kreditgeber ausnutzte. Er spielt dabei auf die Strukturanpassungsprogramme der 1980er und 1990er Jahre an (siehe Ndongo Samba Sylla in E+Z/D+C e-Paper 2018/08). Die geforderten Maßnahmen wie Marktliberalisierungen bewirkten genau das Gegenteil von Fortschritt, sagt Hickel: „Die Volkswirtschaften schrumpften, die Einkommen stürzten ab, Millionen von Menschen wurden enteignet, und die Armutsquoten schossen in die Höhe.“

Die ODA vom globalen Norden an den Süden (Anm. d. Red.: in Höhe von 145 Milliarden Dollar 2017) sei reine Augenwischerei. Denn, argumentiert Hickel, es fließen viel mehr Milliarden aus dem Süden wieder in den Norden zurück, entweder in Form von Schuldentilgung, Einkommen ausländischer Anleger in Investitionen in Entwicklungsländern wie Profite von Unternehmen oder Aktien und Anleihegewinne. Weiter fließe sehr viel Geld durch Kapitalflucht ab wie etwa durch Schwund in den Zahlungsbilanz-Ausgleichszahlungen zwischen Ländern oder durch falsche Rechnungsstellung. Dabei handelt es sich meist um illegale Praktiken.

Weitere hohe Verluste entstehen laut Hickel durch Ausbeutung beim Handel. „Von den Anfängen des Kolonialismus bis hin zur heutigen Globalisierung war das primäre Ziel des Nordens, die Kosten der im Süden eingekauften Arbeit und Waren zu drücken.“ Zwar sei der Welthandel heute formal frei, doch die reichen Ländern seien in einer wesentlich besseren Verhandlungsposition als die armen und könnten die Bedingungen diktieren.

Der Autor lehnt das derzeitige „Entwicklungsparadigma“ ab, dass die „unterentwickelten“ Länder nur die Entwicklungshilfe der reichen Länder benötigten und deren Ratschläge befolgen müssten, dann würden sie sich genauso entwickeln wie die reichen Länder. Dieses Entwicklungs­paradigma trage dazu bei, dass die Frage der globalen Ungleichheit entpolitisiert werde. Dieses „Wohltätigkeitsparadigma“ sei unnötig, die armen Länder benötigten Gerechtigkeit. Das heißt für Hickel: Die Regeln, die Armut überhaupt erst erzeugen, müssen verändert werden. Dafür, wie dies umgesetzt werden könnte, liefert er fünf Ideen:

  1. Entschuldung: Die Schuldenlast müsste den Entwicklungsländern gestrichen werden, das würde ihnen wieder die Kontrolle über die eigene nationale Wirtschaft geben und die Kontrolle, die die reichen Länder ausüben, zurückdrängen.
  2. Globale Demokratie: Die wichtigsten Institutionen der Global Governance, also Weltbank und Internationaler Währungsfond, müssten demokratisiert werden. Die Länder des globalen Südens müssten darin fair und gleichberechtigt repräsentiert sein. Momentan haben die reichen Länder rund 60 Prozent der Stimmen.
  3. Fairer Handel: Die WTO verlangt, dass alle Mitgliedstaaten anteilsmäßig die Zolltarife senken. Es würde mehr Sinn machen, armen Ländern bestimmte Handelsvorteile zu geben, als zu verlangen, dass reiche Länder ärmeren Staaten freien Zugang zu ihren Märkten gewähren.
  4. Faire Löhne: Hickel fordert ein globales System für Arbeitsstandards, wozu unter anderem die Einführung eines globalen Mindestlohns gehöre.
  5. Gemeingüter zurückerobern: Die Mechanismen der Ausbeutung wie Steuerhinterziehung, Landraub und Klimawandel müssen angegangen werden. Landraub könnte dadurch verhindert werden, dass Investoren nicht mehr mit Nahrungsmitteln spekulieren dürften und es Landreformen zur Stärkung der Kleinbauern gebe.

Zuletzt widmet sich der Autor noch dem Thema des „Wachstumsdilemmas“, wie er es nennt. Er plädiert dafür, weg vom Ziel des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu kommen, das heutzutage mit dem menschlichen Fortschritt gleichgesetzt wird. Dieses zerstöre aber die natürlichen Ressourcen der Erde. Viel sinnvoller sei es, über alternative „Fortschrittsmesswerte“ nachzudenken, wie eine Reduzierung der Arbeitszeit und weniger Konsumdruck.


Buch
Hickel, J., 2018: Die Tyrannei des Wachstums. München, dtv.

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