Sahelzone

„Versicherheitlichung schafft keine Sicherheit“

Zahlreiche Krisen haben die Länder der Sahelzone in existenzielle Probleme gestürzt. Die internationale Gemeinschaft nimmt sie vor allem als Sicherheitskrise wahr und reagiert mit militärischen Einsätzen. Die Zivilgesellschaft vor Ort will hingegen Defizite der Demokratie und Regierungsführung bekämpfen, in denen sie die Hauptursache der Konflikte sieht.
Die französische und die deutsche Verteidigungsministerin, Florence Parly und Ursula von der Leyen, mit ihrem nigrischen Amtskollegen Kalla Moutari beim Besuch der Baustelle des Hauptquartiers der G5-Sahel-Staaten 2017 in Niamey. Britta Pedersen/dpa Die französische und die deutsche Verteidigungsministerin, Florence Parly und Ursula von der Leyen, mit ihrem nigrischen Amtskollegen Kalla Moutari beim Besuch der Baustelle des Hauptquartiers der G5-Sahel-Staaten 2017 in Niamey.

Die Sahelregion, die sich vom Senegal am Atlantik bis nach Eritrea am Roten Meer erstreckt, ist seit Jahrzehnten von Krisen geschüttelt. Seit der Unabhängigkeit zu Beginn der 1960er Jahre gab es in fast allen Sahelländern schwere bewaffnete Konflikte. Hinzu kamen Militärputsche, Separatistenbewegungen, Revolten, islamistische und andere Aufstände. Das starke Bevölkerungswachstum und der Klimawandel verschärfen die Probleme in der Region. Weitere destabilisierende Faktoren sind Drogenhandel, Waffenhandel und Korruption. Besonders von Gewalt betroffen sind derzeit Mali und die Region um den Tschadsee (siehe ­Fabian Böckler in der Tribüne des E+Z/D+C e-Papers 2019/05).

Zahlreiche internationale Organisationen, Gruppen und Einzelstaaten engagieren sich in der Sahelzone (siehe auch Julia Maria Egleder in E+Z/D+C e-Paper 2018/02, Schwerpunkt). Dabei beklagen Vertreter lokaler zivilgesellschaftlicher Organisationen einen zu starken Fokus auf die Sicherheit. Die „Versicherheitlichung“ etwa der europäischen Politik gegenüber den Sahelstaaten sei keine adäquate Reaktion auf die Probleme, sie schaffe keine Sicherheit und entspreche auch nicht den Erwartungen der Menschen vor Ort, kritisiert Youssouf Coulibaly, Professor für Völkerrecht und Internationale Beziehungen an der Universität für Rechts- und Politikwissenschaften in Bamako. Die enormen Summen, die beispielsweise für die UN-Mission Minusma in Mali ausgegeben werden, könnten anders eingesetzt eine „immense Hilfe“ für die Bevölkerung darstellen, sagte Coulibaly auf der Tagung „Brennpunkt Sahel“, die das Netzwerk Fokus Sahel Ende März in Frankfurt veranstaltet hat.

Nicht nur die Konzentration auf das Thema Sicherheit stieß bei den zahlreichen Teilnehmern aus verschiedenen betroffenen Staaten auf Kritik, sondern auch, dass Sicherheit fast ausschließlich militärisch verstanden werde. Stattdessen müsse menschliche Sicherheit das Ziel sein. „Das bedeutet unter anderem, gut zu essen, gut zu schlafen und sich bewegen zu können, ohne bedroht zu werden“, erklärt Coulibaly. All das sei in Mali nicht gegeben. „Außerdem schürt die Präsenz der Soldaten zusätzlich Angst in der Bevölkerung“, sagt der Experte, der als Dozent der Alioune Blondin Beye Peacekeeping Training School in Bamako auch an der Ausbildung von Sicherheitskräften beteiligt ist.

Zahlreiche Redner betonten, dass die internationalen Akteure im Sahel eigene Interessen verfolgten – manchmal offensichtlich, manchmal verschleiert. Europa gehe es zum Beispiel um die eigene Sicherheit, indem es versuche, Migration aus Afrika zu verhindern (siehe auch Interview mit Ibrahim Manzo Diallo in E+Z/D+C e-Paper 2019/04, Schwerpunkt). Hinzu kämen strategische, politische und wirtschaftliche Interessen, Letztere etwa in Bezug auf Waffenlieferungen. „Milliarden werden in diese Kriege gesteckt“, sagt Coulibaly. „Man investiert in Kriegsgeräte statt in Sozialleistungen.“

Badié Hima vom National Democratic Institute in Bamako kritisiert zudem, dass mit dem Fokus auf die Sicherheitslage der Aufbau demokratischer Strukturen ins Hintertreffen geraten sei. „Die Demokratisierung ist das Waisenkind in der internationalen Zusammenarbeit geworden“, beklagt der Experte für Menschenrechte und Regierungsführung. Viele Errungenschaften seit den 1990er Jahren seien so wieder verlorengegangen.


Staatsversagen

Das Erstarken terroristischer und islamistischer Gruppen in den Sahelländern führt Hima vor allem auf die Fragilität der Staaten zurück. Die Regierenden schützten die Rechte ihrer Bürger nicht und stellten keine öffentlichen Dienstleistungen zur Verfügung. „Der Staat war nicht präsent, es entstand ein Vakuum, und dieses Vakuum füllten zum Teil bewaffnete Gruppen.“ Das gelte für mehrere Länder der Sahelzone. Aus dem Osten Nigers werde sogar berichtet, dass die Dschihadisten dort Steuern erhoben haben.

Zivilgesellschaftliche Vertreter verschiedener Sahelländer erklärten, die Menschen hätten keinerlei Vertrauen in ihren Staat und die Regierungen seien durch die Bank nicht legitim, selbst wenn sie durch Wahlen ins Amt gekommen seien. Die Krise ermögliche es ihnen, an der Macht und einem autoritären Regierungsstil festzuhalten oder diesen neu einzuführen, kritisiert Moussa Tchangari von der nigrischen NGO Alternative Espaces Citoyens.

Mit diesen Regierungen arbeiten die internationalen Akteure zusammen – und verschaffen ihnen damit eine Art „Lebensversicherung“. Zum Beispiel im Tschad: Präsident Idriss Déby, der das Land seit 1990 regiert, ist nach Ansicht von Kritikern nur dank der militärischen Präsenz der Franzosen, die in ihm eine Schlüsselfigur im Kampf gegen Islamisten sehen, noch im Amt. Frankreich wählte die tschadische Hauptstadt N'Djamena 2014 zum Hauptquartier der Operation Barkhane zur Terrorismusbekämpfung in der Sahelregion (siehe Interview mit Mohamed Gueye in E+Z/D+C e-Paper 2017/11, Schwerpunkt). „Der Militäreinsatz hat dem Staatschef Sicherheit gebracht – aber nicht der Bevölkerung“, fasst Baldal Oyamta von der Menschenrechtsorganisation Ligue Tchadienne des Droits de l'Homme zusammen. Auch Coulibaly vertritt die Ansicht, dass sich durch die Zusammenarbeit mit internationalen Akteuren ausgerechnet diejenigen an der Macht halten, die für die Krise verantwortlich seien.

Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich habe dank verschiedener Militäreinsätze in der strategisch wichtigen Region ihren Einfluss und ihre Präsenz verstärken können, sagt Tchangari. Auch andere Länder wie Deutschland und Italien hätten Interesse, vor Ort zu sein, um so beispielsweise auch besser mit Algerien und Libyen verhandeln zu können, beides Schlüsselländer für die Flüchtlingsfrage. Seit den 2000er Jahren seien zudem neue Akteure wie Russland und China hinzugekommen, die auch politische und wirtschaftliche Interessen in der Region hätten. Vielen dieser internationalen Akteuren sei daran gelegen, dass die Situation im Sahel so bleibt wie sie ist, warnt Tchangari. Er sieht die Gefahr, dass bewaffnete Gruppen instrumentalisiert werden, um die Krise weiter bestehen und neue demokratische Bewegungen scheitern zu lassen.

Um ihre Kontrollfunktion ausüben und für Recht und menschliche Sicherheit kämpfen zu können, wünscht sich die Zivilgesellschaft Unterstützung jenseits von Sicherheitspolitik. „Wir brauchen Hilfe vor Ort von den großen Demokratien“, sagt Hima. Im Tschad bräuchten die Menschen zu allererst rechtlichen Schutz, betont Oyamta: „Es gibt keine Gesetze, die die Menschen schützen.“ Auch physischer Schutz sei nötig. Die Ausbildung von Sicherheitskräften und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Tschadseebecken hält er für unerlässlich. „Die meisten Truppen vor Ort können noch nicht einmal ihren Namen schreiben – das ist ein großes Problem“, erklärt er.

Auch traditionelle Autoritäten dürfen laut Oyamta nicht außen vor gelassen werden. Konfliktlösung hat in Afrika seit jeher so funktioniert. Es stellt sich aber die Frage, ob traditionelle und religiöse Führer die Interessen aller Beteiligter vertreten. Frauen und junge Leute seien in den traditionellen Mechanismen beispielsweise eher unterrepräsentiert. Tchangari ist noch aus einem anderen Grund skeptisch: „Die traditionellen Strukturen gibt es nicht mehr“, sagt er. „Heute kann man keinen Frieden machen ohne internationale Hilfe von außen.“

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