Leserbriefe

Gefährliche Narrative

Leser führen Diskussion über Fortschritt und über Desinformation weiter.
Narrative sind wichtig: Zeitungsverkäufer in Uganda. Trygve Bolstad/Lineair Narrative sind wichtig: Zeitungsverkäufer in Uganda.

Allenfalls ein Drittel erreicht

Druckheft 2018/03-04. S. 2: Hans Dembowski: Überzeugender Fortschritt

Das westliche Entwicklungsparadima wird zu recht angegriffen. Es hat nicht gebracht, was es in vier oder mehr Jahrzehnten der Hegemonie hätte bringen müssen. Dies wird zu Unrecht in einer Links-rechts-Perspektive diskutiert. Die hochrelevanten Statistiken, auf die sich Ihr Kommentar bezieht, sollten schon längst kein drängendes Thema mehr sein. Da das westliche Entwicklungsparadigma nicht die richtigen Ergebnisse gebracht hat, muss es ersetzt, nicht verbessert werden. Haben „Vernunft, Wissenschaft und Humanismus“ (Humanismus?), wie es in Ihrem Text heißt, „immensen Fortschritt gebracht“. Erreicht wurde allenfalls ein Drittel von dem, was nötig wäre. Nein, „intelligente Politik auf der Basis sorgfältiger Analyse umfassender Daten“ ist nicht, was wir brauchen, um ungerechte Machtverhältnisse auf der ganzen Welt zu ändern. Empirische Daten sprechen nicht für sich selbst. Es ist nicht möglich, „unideologisch“ zu beurteilen, ob Fortschritt langsam oder schnell ist. Nötig sind nicht weitere Datenanalysen, sondern viel mehr Mitsprache der Armen.

Claudio Schuftan, Ho Chi Minh City

 


Schlimmer als ­Faktenfehler

Druckheft 2018/05-06, Schwerpunkt: Gefährliche Desinformation

Ich bin skeptisch, ob Sie mit Ihrem Zugriff die Pointe getroffen haben. Nun bin ich kein Spezialist zu Medien in Entwicklungsländern. Aber ich sehe die Debatte bei uns, in der EU und in den USA.

Nach meinem Urteil sind nicht faktische Falschaussagen das Problem – ich höre regelmäßig Nachrichten in den öffentlich-rechtlichen Sendern, und da ist jedes Mal mindestens ein Fehler drin. Das ist wohl kaum zu vermeiden – qualitätsgesicherte Nachrichten wären viel zu aufwändig. Auch kommt es vor, dass eine Nachrichtenagentur einen Fehler macht, das korrigiert – die Medien in ihrem Selbstlauf den Fehler aber nicht mehr auszuschleusen vermögen.

Wirklich gefährlich ist nach meinem Urteil vielmehr das Setzen von Narrativen. (In Ihrem Zugriff folgen Sie ja offenkundig einem Narrativ.) Mein Eindruck in Deutschland ist, dass die Medien sich einer Offenbarung, nicht zu reden von einer politischen Diskussion über ihre Kriterien bei der Wahl von Narrativen, die sie setzen, verweigern. Das ist das Manipulative – und da Medien Bewusstsein bilden, ist eine solche Steuerung gefährlich.

Wende ich diese Sicht auf Ihren Schwerpunkt an, so bestätigt sich diese Einschätzung.

Hans-Jochen Luhmann, Wuppertal



Antwort des Chefredakteurs

Hans-Jochen Luhmann weist zu Recht auf die Bedeutung von Narrativen hin. Unsere Redaktion achtet aber darauf, sich auf faktenbasierte und gründlich reflektierte Narrative zu stützen. Unsere Berichterstattung über populistische Politik ist beispielsweise von Jan-Werner Müller, dem Politikwissenschaftler an der Princeton University, inspiriert.

Müllers Kernargument ist, dass populistische Politiker nach Belieben selbst definieren, wer zu „dem Volk“ gehört, dann beanspruchen, dieses unmittelbar zu vertreten, und schließlich auf dieser Basis die Legitimität jeglicher anderer Akteure zu bestreiten. Demokraten gehen dagegen davon aus, dass es in einer Gesellschaft immer divergierende legitime Interessen gibt, sodass ernsthafte Debatten Stimmen von allen Seiten einschließen müssen. Ich habe diese Definition mehrfach in E+Z/D+C erläutert und sein Buch zum Thema ausführlich rezensiert.

Auf ähnliche Weise beruht unser Umgang mit anderen Themen auf wohlbegründeten Argumenten von Wissenschaftlern, Politikern und zivilgesellschaftlichen Akteuren einerseits und auf den universellen Menschenrechten andererseits. Wir legen großen Wert darauf, keine irrationalen Weltbilder zu bedienen.

Hans Dembowski

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