Klimaprozesse

Rechtsstreitigkeiten für Klimagerechtigkeit

Zunehmend verklagen Aktivist*innen – darunter auch Kinder und Jugendliche – Staaten, weil sie zu wenig gegen die Klimakrise tun. Teilweise haben sie Erfolg.
Sechs junge Kläger*innen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, wo sie von europäischen Staaten mehr Klimaschutz einfordern. picture-alliance/ASSOCIATED PRESS/Jean-Francois Badias Sechs junge Kläger*innen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, wo sie von europäischen Staaten mehr Klimaschutz einfordern.

Rechtsstreite gewinnen als Instrument für den Klimaschutz an Bedeutung. Nach Angaben des UN-Umweltprogramms (UN Environment Programme – UNEP) wurden bis Dezember 2022 insgesamt 2180 klimabezogene Klagen eingereicht. 2017 waren es 884 Klagen. Obwohl die meisten davon in den USA eingereicht wurden, nimmt die Zahl weltweit zu. Klagen im globalen Süden machen 5,2 Prozent der Gesamtzahl aus, internationale und regionale Fälle 5,8 Prozent (UNEP 2023).

Dieser Text befasst sich mit Klagen gegen Staaten in verschiedenen Ländern. Daneben werden aber auch Unternehmen wegen klimaschädigenden Verhaltens verklagt.

1. Junge Kläger*innen fordern europäische Regierungen heraus: Es war eine der prominentesten Gerichtsverhandlungen des vergangenen Jahres: Sechs portugiesische Kläger*innen im Alter von 11 bis 24 Jahren klagten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Untätigkeit 33 europäischer Regierungen in der Klimakrise. Den Kläger*innen zufolge fordern sie ihr Recht auf Leben und Familienleben ein, garantiert durch Artikel 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Der Fall ist noch anhängig. Er ist einer der weltweit größten, bei dem die Kläger*innen argumentieren, dass Extremwetter, steigende Temperaturen und gestörte Ökosysteme ihre Sicherheit und Existenz bedrohen. Unzureichende Klimamaßnahmen gefährdeten ihre Zukunft und ihr Recht auf Leben. Die ungewissen Aussichten, ausgelöst durch die Erderhitzung, verletzten auch ihr Recht auf ein stabiles und vorhersehbares Familienleben.

Der Fall hat eine öffentliche Debatte über Generationengerechtigkeit und die Dringlichkeit von Klimaschutz ausgelöst. Sollten die Kläger*innen Recht bekommen, müssten europäische Regierungen wohl strengere Maßnahmen zur Emissionsreduzierung ergreifen und in sauberere Infrastruktur investieren. Dies könnte sich weltweit auswirken, ähnliche Klagen anregen und die Verbindung zwischen Klimaschutz und Menschenrechten stärken.

2. Klage gegen die Bundesregierung: In Deutschland haben junge Klimaaktivist*innen erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Klimaschutzmaßnahmen der Regierung geklagt. Das Gericht sorgte im Jahr 2021 für Schlagzeilen, als es urteilte, dass Teile des deutschen Klimaschutzgesetzes unvereinbar mit Grundrechten seien. Die Richter*innen argumentierten, das Gesetz schütze künftige Generationen nicht vor den Folgen der Erderhitzung und teile das CO2-Budget nicht gerecht zwischen heutigen und künftigen Generationen auf. Die deutsche Regierung war dadurch gezwungen, das Bundes-Klimaschutzgesetz zu verschärfen.

Im Jahr 2022 zogen die Kläger*innen dann vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie argumentieren, die deutsche Klimapolitik sei weiterhin unzureichend.

3. Norwegisches Öl bleibt im Boden: Eine weitere erfolgreiche Klimaklage gab es in Norwegen, wo viel Erdöl gefördert wird. Im Januar erklärte das Bezirksgericht Oslo drei von der norwegischen Regierung erteilte Genehmigungen für neue Offshore-Öl- und Gasfelder für ungültig. Das Gericht beurteilte die Umweltverträglichkeitsprüfungen als unzureichend. Geklagt hatten Greenpeace und die NGO Natur og Ungdom. In den Lagerstätten befinden sich insgesamt 875 Millionen Barrel Rohöl-Äquivalente.

Das Gericht betonte die Notwendigkeit, künftige Emissionen während des Genehmigungsverfahrens zu berücksichtigen – im Sinne von demokratischer Teilhabe und Transparenz. Laut dem norwegischen Energieminister Terje Aasland ist die Regierung mit dem Urteil nicht einverstanden und erwägt, in Berufung zu gehen.

4. Gericht entscheidet zugunsten von Aktivist*innen in Montana: Im US-Bundesstaat Montana klagten 16 junge Aktivist*innen 2020 gegen selbigen, um ihr Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt einzufordern. Im August 2023 entschied ein State Court zugunsten der Kläger*innen: Die Kinder und Jugendlichen hätten gezeigt, dass sie unverhältnismäßig stark von der Verschmutzung durch fossile Brennstoffe und von Klimafolgen betroffen sind.

Der Fall bezog sich auf eine Klausel im Montana Environmental Policy Act, die es Behörden untersagt, neue Energieprojekte auch hinsichtlich ihrer Klimawirkung zu bewerten. Die Kläger wiesen auf die negativen Folgen der Gewinnung fossiler Energieträger hin – sowohl für Ökosysteme in Montana als auch für ihre eigene Zukunft.

Es war das erste Mal, dass ein US-Gericht die Regierung für einen Verfassungsverstoß im Hinblick auf den Klimawandel verurteilte. Das Urteil verpflichtet Montana, Klimafolgen zu berücksichtigen, bevor neue Projekte mit fossilen Energieträgern genehmigt werden. Der Bundesstaat ficht die Entscheidung vor dem Montana Supreme Court an. Der Supreme Court entschied im Januar zunächst, das Urteil des State Court nicht auszusetzen. Regierungsbeamte bezweifeln die Umsetzbarkeit des Urteils.

5. Kenianier*innen wollen Regierung zur Rechenschaft ziehen: Ein weiterer richtungsweisender Rechtsstreit, einer der ersten seiner Art in Afrika, wird in Kenia von 66 Einheimischen und der Interessensgruppe Kituo Cha Sheria geführt. Sie fordern – auch im Namen weiterer Betroffener – eine Entschädigung von der Regierung, die es versäumt habe, auf die Klimakrise angemessen zu reagieren. Der Environment and Lands Court in Kabarnet berät darüber, ob die Regierung verantwortlich gemacht werden kann für die klimabedingte Vertreibung von Bewohner*innen des Rift Valley und Schäden an deren Besitz.

Die Bewohner*innen wurden 2020 vertrieben, als der Rekordpegel des Baringo-Sees, eines der größten Süßwasserseen des Landes, zu Überflutungen führte. Sie argumentieren, dadurch habe sich für sie das Risiko erhöht, an durch Wasser übertragbaren Krankheiten wie Malaria, Cholera und Typhus zu erkranken sowie von Krokodilen und Flusspferden angegriffen zu werden.

Die Kläger*innen führen an, dass der Anstieg verursacht worden sei durch intensive Regenfälle und starke Zuflüsse aus Flüssen als Folge des Klimawandels. Diese Sicht wird gestützt durch die Ergebnisse einer Untersuchung einer Taskforce der Regierung. Auch diese sah den Grund für das Hochwasser im Klimawandel. Nach Ansicht der Kläger*innen hat die Regierung es entweder versäumt oder sich geweigert, wichtige Anpassungsstrategien umzusetzen, etwa Frühwarnsysteme für Überschwemmungen.

Mit dem Urteil des Gerichts wird über die Haftung der Regierung für klimabedingte Schäden entschieden. Noch wichtiger ist, dass es sich auch mit der Entschädigung von Personen befassen wird, die unter Umweltkatastrophen leiden. Der Prozess dürfte in Afrika einen rechtlichen Präzedenzfall schaffen in Bezug auf die sich überschneidenden Themen Klimawandel, staatliche Verantwortung und Entschädigungen.

Link
UNEP, 2023: Global climate litigation report.
https://www.unep.org/resources/report/global-climate-litigation-report-2023-status-review

Roli Mahajan ist freiberufliche Journalistin in Lucknow, Nordindien.
roli.mahajan@gmail.com

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