Editorial

Lokal verortete Politik

Kolonialregierungen hatten nie Interesse daran, die Bevölkerung an Entscheidungen zu beteiligen. Ihr Motto war „teile und herrsche“. Exekutive Macht wurde in der Hauptstadt monopolisiert, Gesetz nach Laune erlassen und von einer willfährigen Justiz unterstützt. Wenn eine Kolonialmacht Einheimische mitreden ließ, wollte sie die eigene Position durch Einbindung lokaler Eliten festigen.
Verkehrsstau in Manila. Mark Edwards/Lineair Verkehrsstau in Manila.

Zentralisierte Regierungsführung mit überstarker Exekutive ist ein destruktives Erbe der Kolonialzeit. Typischerweise übernahm nach der Unabhängigkeit eine neue Elite den Staatsapparat, ohne sich auf horizontale oder vertikale Gewaltenteilung einzulassen. Der postkoloniale Staat war also oft  nur der Kolonialstaat unter neuer Führung. Demokratie sieht anders aus.   

Europa und Nordamerika haben eine lange Historie örtlicher Selbstverwaltung. Kommunen werden nicht aus der Hauptstadt ferngesteuert; sie kümmern sich selbst um ihre Angelegenheiten.  Frankreich war mit seinem überbordenden Zentralismus lange eine Ausnahme – aber das hat sich geändert. Auch die Grande Nation hat mittlerweile unteren Ebenen Staatsaufgaben übertragen.  

Das ist aus mehreren Gründen sinnvoll. Unter anderem agieren Behörden umso verbindlicher, je näher sie an den Menschen dran sind. Soziale Probleme äußern sich immer zuerst auf der lokalen Ebene. Bewegungen und Proteste fangen an einem Ort an – und meistens ist das eine Stadt. Jedenfalls wird Gesellschaft in Städten und Gemeinden erfahrbar, wohingegen sich große Ministerialbürokratien von Abstraktionen leiten lassen können. Kommunalpolitik ist zudem tendenziell besonders inklusiv. Minderheiten, die im nationalen Maßstab winzig sind, können in Rathäusern wichtige Rolle spielen.  All das fasst die amerikanische Spruchweisheit „all politics is local“ zusammen.

Es ist nicht leicht, eine Ordnung zu entwerfen, die effizientes Regieren unterhalb der nationalstaatlichen Ebene ermöglicht. Zuständigkeiten müssen definiert und Haushaltsmittel verfügbar gemacht werden. Wenn Bürgermeister und Gemeinderat solide Stadtplanung betreiben sollen, müssen sie sich auf Fachleute stützen können.

Dezentralisierung muss also sorgfältig konzipiert werden. Die Überlappung von Zuständigkeiten, Streit um Geld und andere Schattenseiten lassen sich nicht völlig vermeiden. Wenn beispielsweise die Polizei sub-national organisiert ist, werden landesweite Polizeiaktionen schwieriger. Es ist aber unmöglich, für jede Eventualität die perfekte Lösung zu bieten. Worauf es wirklich ankommt, ist dass das System für die allermeisten Aufgaben befriedigend funktioniert. Und dieser Forderung wird ein starker Zentralstaat oft nicht gerecht. Nötig ist ein intelligentes Neben- und Miteinander verschiedener politischer Ebenen.  

Die Tragödie der postkolonialen Überzentralisierung ist, dass sie zwar nicht den Bürgern dient, wohl aber denjenigen, die die Macht haben und sich daran festklammern. Das führt nicht zu der Stabilität, die eine gute Verfassung und ordentliche Regierungsführung ermöglichen würden, sichert aber den Status Quo.  Wie in der Kolonialzeit werden diverse soziale Kräfte kooptiert, aber das öffentliche Leben läuft suboptimal.

Dezentralisierung ist keine triviale Aufgabe. Sie ist eine riesige Herausforderung. Sie stärkt Demokratie und politische Stabilität. Es hat keinen Sinn, die Kolonialmächte heute noch verantwortlich machen zu wollen. Suboptimale Ordnungen gehören reformiert.

 

 

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