EU-Kommissar für Entwicklung

„Wirksamkeit der Hilfe erhöhen“

Internationale Zusammenarbeit ist ein Herzstück der EU-Außenpolitik. 2013 gaben die EU und ihre Mitglieder 71 Milliarden Dollar der 134 Milliarden Dollar der offiziellen Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) aus, die die traditionellen Geberstaaten der OECD (Organisation for Economic Development and Cooperation) aufwenden. Der neue EU-Kommissar für internationale Zusammenarbeit und Entwicklung, Neven Mimica, erläuterte uns seine Politik im Interview.
Ein von der EU geförderter Recyclinghof für Plas­tik in Sonfonia, Guinea. European Commission Ein von der EU geförderter Recyclinghof für Plas­tik in Sonfonia, Guinea.

Welche Rolle spielt die EU im Bereich der globalen Entwicklung?
Die Europäische Union kann auf eine außerordentliche Erfolgsbilanz in der Entwicklungspolitik verweisen. Als weltweit größter Geber leistet sie über die Hälfte der gesamten offiziellen Entwicklungshilfe Die EU ist außerdem der wichtigste Handelspartner für die Entwicklungsländer und ein wichtiger Partner, der Impulse in den Bereichen Technologie, Innovationen, Investitionen und Unternehmertum setzt. Alle EU-Bürger können stolz auf unsere internationale Entwicklungspolitik sein. Ihnen können wir Beeindruckendes darüber  erzählen, wie ihre Unterstützung in der ganzen Welt für positive Veränderungen sorgt. Die Zahlen sprechen für sich – so konnten seit 2004 mit unserer Hilfe 18,3 Millionen Kinder gegen Masern geimpft werden, 13,7 Millionen mehr Kinder wurden eingeschult, und 7,5 Millionen Geburten wurden durch geschultes Gesundheitspersonal begleitet.

Die Entwicklungspolitik steht im Mittelpunkt des auswärtigen Handelns der EU. Ihr Hauptziel ist die Verringerung und langfristig die Beseitigung der Armut. Sie ist eine Politik für die Menschen, die auf der Solidarität als einem der europäischen Grundwerte aufbaut. Solidarität mit Menschen, die von weniger als einem Euro pro Tag leben. Solidarität mit Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, mit Angehörigen verfolgter Minderheiten und mit Kindersoldaten. Solidarität mit den Menschen, die hungrig ins Bett gehen oder keinen Zugang zu Bildung haben, um nur einige zu nennen. Sie beruht aber auch auf gemeinsamen Interessen. Denn wir stehen alle vor denselben Herausforderungen wie Ernährungssicherheit, Migration, Klimawandel, Gewalt und Extremismus. Viele dieser Probleme lassen sich am besten lösen, indem mittels internationaler Hilfe und Unterstützung vor Ort die Grundursachen bekämpft werden.

Welche Prioritäten verfolgt die EU im Bereich der globalen Entwicklung?
Im Jahr 2015 steht das Thema der internationalen Entwicklung mehr denn je im Rampenlicht. Die derzeitigen Millenniumsentwicklungsziele (MDGs), haben ermutigende Fortschritte bei der Verringerung der Armut bewirkt. Sie haben dazu beigetragen, dass die internationale Gemeinschaft gezielte Maßnahmen ergriffen hat und die weltweite Armut in den vergangenen zehn Jahren um die Hälfte zurückgegangen ist. Kurz vor Ablauf der Frist für die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele zählt für mich der Fortgang der Diskussionen über die Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 zu den dringendsten Prioritäten. Insgesamt wurden bei vielen dieser Ziele weltweit zwar gute Fortschritte erzielt. Doch es bleibt noch viel zu tun, und die neuen Ziele müssen vom Ansatz her universell sein und über die derzeitigen Millenniumsentwicklungsziele hinausgehen. Zu genau diesem Thema hat die Kommission soeben eine Mitteilung vorgelegt, in der sie unsere Vision für eine neue globale Partnerschaft umreißt, eine Reihe entsprechender Grundsätze darlegt und Maßnahmen vorschlägt, die alle Länder entsprechend ihren jeweiligen Kapazitäten umsetzen sollten.

Eine weitere Priorität besteht in der Aufnahme von Verhandlungen über eine Nachfolgeregelung zum Cotonou-Abkommen und in der Stärkung der strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Afrika. Das derzeitige Abkommen von Cotonou ist das umfassendste Nord-Süd-Abkommen der Welt. Auf seinem Erfolg müssen wir aufbauen. Die Gruppe der Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean (AKP) stellt bereits Überlegungen über das weitere Vorgehen an. Europa muss das auch tun. Wir brauchen einen verbesserten Ansatz, der sich auf eine starke Partnerschaft mit den AKP-Staaten und auf übergeordnete Grundsätze wie Achtung von Grundwerten stützt und den besonderen Gegebenheiten in den verschiedenen Ländern und Regionen Rechnung trägt. Außerdem bin ich entschlossen, echte Fortschritte in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter zu erzielen, denn die Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen ist von entscheidender Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung. In diesem Jahr wird die Kommission einen neuen Aktionsplan für die Geschlechtergleichstellung vorlegen, um dafür zu sorgen, dass die Bedürfnisse und Rechte der Frauen in unseren Entwicklungsprogrammen besondere Berücksichtigung finden. Ich möchte insbesondere darauf hinweisen, dass 2015 zum Europäischen Jahr für Entwicklung erklärt worden ist. Damit stehen erstmals unsere Außenbeziehungen im Mittelpunkt eines Euro­päischen Jahres. Durch die Förderung von Debatten und Meinungsaustausch zwischen den Bürgern und den politisch Verantwortlichen zum Thema Entwicklungspolitik wollen wir das Bewusstsein für unsere Arbeit und für ihren positiven Beitrag in einigen der ärmsten Länder der Welt schärfen. Verstärkte Sensibilisierung führt zu mehr Unterstützung für die Entwicklungspolitik. Und das ist es, was wir brauchen. Die öffentliche Entwicklungshilfe macht nur einen sehr kleinen Teil dessen aus, was zur Beseitigung der Armut notwendig ist. Wir brauchen mehr Unterstützung durch mehr Partner (öffentliche wie private). Außerdem müssen wir verstärkt über innovative Formen der Finanzierung nachdenken.

In welchem Zusammenhang steht Entwicklung zu Frieden und Sicherheit in Osteuropa, im Nahen Osten und in Nordafrika?
Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht es in vielerlei Hinsicht auch um Konfliktverhütung und Friedenskonsolidierung, denn in einem Land, das durch interne Unsicherheit, Krisen und Konflikte bedroht wird, ist keine nachhaltige Entwicklung möglich. Entwicklung trägt zur Überwindung vieler der Faktoren bei, die zur Verschärfung von politischer Instabilität und Unruhe beitragen können. Aus diesem Grund konzentrieren wir uns auf fragile und von Konflikten betroffene Länder und Regionen, denn wir wissen, dass wir dadurch in Bezug sowohl auf den Migrationsdruck als auch auf die Sicherheitslage in den Entwicklungsländern eine große Wirkung erzielen können. So bekamen zum Beispiel im Jahr 2012 fragile und Krisenländer 53 Prozent der EU-Entwicklungshilfe. In den kommenden Jahren wird sich die Europäische Kommis­sion weiterhin auf diesen Schwerpunktbereich konzentrieren und verstärkt konfliktsensible Programme fördern, vor allem in den Bereichen Sicherheit und Justiz. Die Entwicklungszusammenarbeit kann auch eine entscheidende Rolle bei der Prävention von Radikalisierung und gewaltbereitem Extremismus spielen. So arbeiten wir etwa mit einer Reihe von NGOs an wichtigen Programmen zur Bekämpfung der Radikalisierung in Ländern wie Pakistan, Indonesien und Somalia zusammen.
 

Wie wollen Sie das Handeln der EU-Mitgliedstaaten stärker harmonisieren?
Die EU ist bereits der größte Geber in der Welt, und wir wollen künftig auch der effizienteste sein. Wir arbeiten hart daran, durch Zusammenarbeit mit unseren Partnern vor Ort die Wirkung und Wirksamkeit unserer Hilfe zu erhöhen. Zu diesem Zweck machen die Mitgliedstaaten der EU zunehmend gemeinsame Programme. Dies bedeutet, dass wir zusammen die Herausforderungen in einem bestimmten Entwicklungsland bewerten und einen gemeinsamen Rahmen für unsere Arbeit dort vorbereiten. Inzwischen stimmen mehr als 20 Länder weltweit ihre Programme miteinander ab.

Zivilgesellschaftliche Organisationen beklagen, dass die EU-Politik in den Bereichen Handel und Migration die EU-Entwicklungsprogramme untergräbt. Haben sie recht – und was können Sie dagegen tun?
Die Europäische Kommission setzt sich uneingeschränkt dafür ein, ihre Politik mit den zentralen Entwicklungszielen kohärent zu gestalten. Die EU tritt für einen offenen und fairen Weltmarkt ein und geht dabei als der für Entwicklungsländer offenste Markt mit gutem Beispiel voran. Sie hat ihre ursprünglichen Regeln vereinfacht und informiert die bedürftigsten Länder umfassender über den Zugang zu ihrem Markt. Die Handelspolitik hat zwar erhebliches Potenzial, ist aber kein Zaubermittel. Daneben sind wirksame Begleitmaßnahmen und eine sorgfältige Abschätzung der Auswirkungen des Übergangs vom geschützten zum offenen Handel auf die fragilsten Volkswirtschaften erforderlich. Die Handelspolitik der EU leistet einen positiven Beitrag zur Entwicklung und wir halten an unserer Zusage fest, unsere Entwicklungspartner zu unterstützen, damit sie daraus den vollen Nutzen ziehen können.

Ein offenes Handelssystem hat viele Länder, vor allem die aufstrebenden Volkswirtschaften, in die Lage versetzt, ihre Exporte zu steigern und damit dauerhafte BIP-Wachstumsraten zu erzielen. Dies hat zwar dazu beigetragen, Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut herauszuführen, doch nicht alle Entwicklungsländer haben von diesen Vorteilen profitiert. Vor allem die am wenigsten entwickelten Länder sehen sich weiterhin im weltweiten Handel marginalisiert. Wir wollen dafür sorgen, dass Wachstum und Entwicklung zunehmend inklusiv und nachhaltig werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind mit einem Drittel des weltweiten Gesamtbetrags die weltweit größten Geber von Handelshilfe. Diese Hilfe umfasst unter anderem den Aufbau der Kapazitäten, die notwendig sind, um EU-Standards zu erfüllen und den vollen Nutzen aus den Handelsabkommen und den einseitigen Handelspräferenzen der EU zu ziehen.

Zwischen Entwicklung und Migration besteht ein komplexes Beziehungsgeflecht. Eine schlecht gesteuerte Migration kann sich zwar sowohl auf die betroffenen Länder als auch auf die Migranten selbst negativ auswirken, doch die EU erkennt an, dass die Migration an sich auch ein wichtiger Entwicklungsmotor sein kann. So belaufen sich zum Beispiel Rücküberweisungen von Migranten auf mehr als das Dreifache der öffentlichen Entwicklungshilfe für die Partnerländer, und Migranten leisten einen entscheidenden Beitrag zu den Volkswirtschaften der Zielländer im Norden wie im Süden. Daher stellen die Maximierung der positiven Auswirkungen der Migration auf die Entwicklung und die Verringerung ihrer möglichen negativen Folgen wichtige politische Prioritäten der EU dar. Dies spiegelt sich im soliden Politikrahmen in diesem Bereich wider. Migration und Entwicklung bilden zusammen einen der vier Schwerpunkte des Gesamtansatzes für Migration und Mobilität, der als übergeordneter Rahmen für die auswärtige Migrationspolitik der EU dient.

Mit diesem Ansatz wird sichergestellt, dass im Politikdialog über Migrationsfragen mit Drittstaaten auch entwicklungspolitische Aspekte systematisch thematisiert werden. Im Rahmen des Gesamtansatzes werden eine ganze Reihe von Maßnahmen durchgeführt. Dazu zählen Aktivitäten zur Unterstützung des Entwicklungsbeitrags der in Europa lebenden Diasporen, Initiativen zur Verringerung der mit Rücküberweisungen verbundenen Kosten sowie zahlreiche Projekte zur Unterstützung von Drittländern bei der Verbesserung der Migrationssteuerung in allen ihren Aspekten. Die Migration zählt auch zu den fünf Schwerpunktbereichen des Konzepts der EU zur Verbesserung der Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung, das sich auf den Vertrag von Lissabon stützt. Dabei bemüht sich die EU um eine größere Kohärenz zwischen ihrer Migrations- und ihrer Entwicklungspolitik, unter anderem durch Monitoring der Auswirkungen neuer Instrumente wie der Blue Card auf die Migration aus Entwicklungsländern.

Gibt es durch den großen Einfluss der Mitgliedstaaten in der OECD, der Weltbank und dem IWF so etwas wie eine versteckte Führungsrolle der EU und, wenn ja, macht Europa in vollem Umfang davon Gebrauch?
Es gibt keine „versteckte“ Führungsrolle der EU in internationalen Organisationen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind zusammen genommen der weltweit größte Geber und damit auch ein wichtiger entwicklungspolitischer Akteur auf der internationalen Bühne. Die Standpunkte der EU werden von ihren Partnern stets begrüßt und gewürdigt, unabhängig vom unterschiedlichen Status der EU in den verschiedenen internationalen Organisationen.

Die Fragen stellten Hans Dembowski und Sabine Balk.

Neven Mimica ist seit November 2014 europäischer Kommissar für internationale Zusammen­arbeit und Entwicklung.


Links:
http://ec.europa.eu/commission/2014-2019/mimica_en
http://ej2015.engagement-global.de/

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