Unser Standpunkt

Offensichtliche Probleme

Vor kurzem habe ich mir mit meiner Familie ein frisch präpariertes Walskelett angesehen. Der junge Pottwal gehörte zu einer Gruppe von rund 30 Bullen, die sich vor drei Jahren in die Nordsee verirrt und nicht mehr herausgefunden hatten. Die Universität Gießen hatte sich einen Kadaver gesichert und präsentierte das Skelett nun der Öffentlichkeit.
Goldminen tragen zur Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes bei. Raimundo Valentim/picture-alliance/(EPA) EFE Goldminen tragen zur Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes bei.

Warum die Wale sich auf ihrem Weg vom Polarmeer Richtung Süden verschwommen haben, ist nicht klar. Eine Theorie besagt, dass sie ihrer Nahrung folgten, Schwärmen von Tintenfischen, denen es normalerweise in der Nordsee zu kalt ist. Dass die Kalmare 2016 offenbar in großer Zahl in das ungewohnte Gewässer kamen, könnte an gestiegener Wassertemperatur liegen oder an heftigen Stürmen, die zu der Zeit über dem Nordostatlantik tobten und die Strömungen veränderten. Eine andere Theorie geht von Unterwasserlärm durch Schiffe und Bohrinseln aus, der die Orientierung der Wale störte. Ob die Wale überhaupt menschgemachten Veränderungen ihrer Umwelt zum Opfer fielen, ist allerdings nicht sicher. Auch Sonneneruptionen, die das Magnetfeld der Erde beeinflussten, sind eine mögliche Ursache.

In jedem Fall verdeutlicht ein gestrandeter Wal anschaulich die Fragilität von Ökosystemen. Und er löst Emotionen aus. Als großes Säugetier ist der Wal uns ähnlich. Seine Brustflossen sehen aus wie menschliche Hände – zumindest als Skelett. Das hat meine Kinder stark beeindruckt. Die Symbolhaftigkeit und die Fähigkeit, Menschen auf der Gefühlsebene anzusprechen, verbindet den Wal mit anderen Tieren wie dem Eisbär oder dem Orang-Utan, die Umweltschutzgruppen gerne für Kampagnen gegen die Erderwärmung beziehungsweise die Abholzung von Urwäldern nutzen. Das ist legitim. Aber es geht nicht um das Überleben einzelner Spezies. Für das Erdsystem ist es vermutlich irrelevant, ob der Pottwal, der Eisbär oder der Orang-Utan ausstirbt. Relevant ist das Ausmaß des Artensterbens insgesamt, das noch nie so schnell verlief wie derzeit. Wirklich gefährlich ist das Risiko, dass ganze Ökosysteme zusammenbrechen, dass „Kipppunkte“ erreicht werden, die die Umwelt unumkehrbar verändern.

Der Mensch ist zweifellos der Treiber der großen Umweltveränderungen, die wir derzeit erleben. Durch Übernutzung von Ressourcen, durch den Müll und die Emissionen, die wir – vor allem in den Industrieländern – produzieren, durch unsere gesamte Wirtschaftsweise beschleunigen wir die Dynamiken rasant. Das zu ändern ist eine globale Aufgabe, weshalb sich die UN richtigerweise seit vielen Jahren darum kümmern. Bereits beim Weltgipfel in Rio de Janeiro 1992 einigte sich die internationale Gemeinschaft darauf, weltweit nachhaltige Entwicklung anzustreben. Sie verabschiedete wichtige Dokumente wie die Klimaschutz-Konvention, die Biodiversitätskonvention, die Walddeklaration und die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Viele weitere Abkommen sind seitdem hinzugekommen, in jüngerer Zeit vor allem die Agenda 2030 mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) und der Klimavertrag von Paris. Woran es noch hapert, ist die Realisierung.

Doch Resignation ist fehl am Platz. Die UN veranstalten im September in New York nach vier Jahren wieder einen Nachhaltigkeitsgipfel. Von ihm muss ein starker Impuls für die Umsetzung der bedeutenden internationalen Vereinbarungen ausgehen.

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.