Nutztiere

Meerschweinchen für Afrika

In Lateinamerika sind Meerschweinchen seit je wichtige Fleischlieferanten. In Afrika hingegen steht die Zucht noch ganz am Anfang. Dabei haben Meerschweinchen auch im Vergleich zu anderen Nutztieren viele Vorteile. Süd-Süd-Kooperation hilft, sie zu nutzen.
Auf einem Markt in Ecuador werden Meerschweinchen für den Verzehr verkauft. picture-alliance/WILDLIFE Auf einem Markt in Ecuador werden Meerschweinchen für den Verzehr verkauft.

Meerschweinchen gehören zu den Nagetieren; ihre nächsten Verwandten sind Kaninchen. In Südamerika leben sie im flachen Grasland ebenso wie in den Gebirgsregionen der Anden. Nur im Regenwald des Amazonas sucht man sie vergeblich. Das Fleisch von Meerschweinchen ist reich an Proteinen und enthält viele mehrfach­ ungesättigte Fettsäuren, die gut für das Herz-Kreislauf-System sind.

Vor allem in Ecuador und Peru sind Meerschweinchen ein fester Bestandteil der Nahrungspalette. Selbst auf die Speisekarten edler Restaurants in Quito und Lima haben es die Nager geschafft. Mancherorts werden ihnen sogar heilende Wirkungen nachgesagt, etwa gegen Krebs, was medizinisch allerdings nicht bewiesen ist.

Meerschweinchen sind einfach zu halten: Meist reicht ein kleiner Verschlag oder Käfig, oder man lässt sie frei in der Küche oder einem anderen Raum herumlaufen, denn sie beanspruchen nur wenig Platz. Außerdem sind sie scheue Tiere, nutzen also nicht jede Gelegenheit wegzulaufen. Das ist ein wichtiger Umstand, wenn ein Tier in einem nicht heimischen Umfeld eingeführt werden soll.

In Afrika gibt es gewisse Vorbehalte gegenüber Meerschweinchen, weil invasive Arten große Schäden anrichten können. So sorgt etwa der Heerwurm, der aus Südamerika eingeschleppt wurde, auf den Mais- und Sorghumfeldern Afrikas für dramatische Ernteausfälle (siehe Humphrey Nkonde in E+Z/D+C e-Paper 2017/04, Monitor). Die Frage ist jedoch, ob Meerschweinchen in Afrika eine invasive Art sind. Die Agrarwissenschaftlerin Brigitte Maass, die jahrzehntelange Erfahrung in der internationalen Agrarforschung insbesondere in Südamerika und im östlichen Afrika hat, verneint das: Es gebe Meerschweinchen in Afrika bereits seit langer Zeit.

Wer sie auf dem Kontinent eingeführt hat, ist bis heute nicht geklärt. Wahrscheinlich ist, dass europäische Missionare sie mitgebracht haben. „Es ist jetzt genau zehn Jahre her, dass wir Meerschweinchen zuerst im östlichen Kongo entdeckt haben“, erinnert sich Maass. „Es war natürlich nur für uns Europäer eine Entdeckung: Die Afrikaner wussten längst, dass sie Meerschweinchen produzieren, essen und auch verkaufen können.“


Einfach zu ernähren

Der vielleicht größte Vorteil der kleinen Nager besteht darin, dass sie nicht in Nahrungskonkurrenz zum Menschen treten. Das ist zum Beispiel bei der Hühnerhaltung anders, denn dafür benötigt man Körner als Futter, die auch zum menschlichen Verzehr geeignet sind. Meerschweinchen sind nicht wählerisch und können sich von Gräsern und Kräutern ernähren oder auch von Küchenabfällen. Ein weiterer Vorteil: Die Ausscheidungen von Meerschweinchen eignen sich hervorragend als Dünger, denn sie sind besonders reich an Stickstoff und zudem ungewöhnlich trocken. Dadurch wiegen sie weniger als die Exkremente anderer Tiere und können von den Kleinbauern leichter transportiert und ausgebracht werden.

In Afrika kommt als weiterer Vorteil hinzu, dass sich das Fleisch der Meerschweinchen als Alternative für Wildtiere anbietet. Deren Verzehr ist auf dem ganzen Kontinent weit verbreitet und richtet erhebliche Schäden an der Artenvielfalt an.

Die geringe Körpergröße von Meerschweinchen und ihre einfache Haltung sind auch in Konfliktregionen von Vorteil. „Man kann eben leicht zwei Meerschweinchen packen und in die Tasche stecken, wenn man weglaufen muss“, erklärt Maass, „mit Kühen, Ziegen oder Schweinen geht das nicht.“ Letztere locken auch immer wieder Diebe an und sind bei Plünderungen bevorzugte Ziele, denn die Haltung von Nutztieren gilt in vielen ländlichen Regionen Afrikas als Zeichen für Wohlstand. Meerschweinchen sind jedoch in den Häusern meist nicht offen sichtbar oder lassen sich zur Not einfach verstecken.

Auch ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten macht sie vor allem in Krisenzeiten wertvoll, wenn keine Medikamente oder adäquate Nahrung zur Verfügung stehen. Ihre einfache Aufzucht und Haltung gewähren zudem einen schnellen Marktzugang nach Konfliktzeiten; so kann schnell und vergleichsweise unkompliziert wieder ein Einkommen generiert werden. Manche Hilfsorganisationen sind sogar dazu übergegangen, Meerschweinchen an Menschen in Kriegsgebieten und an Geflüchtete zu verteilen – als ersten Schritt auf der sogenannten Nutztier-Leiter heraus aus der Armut.

In der Region Süd-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo beispielsweise züchten und verkaufen vor allem Frauen und Jugendliche die Tiere. Oft werden mit dem Geld die Schulgebühren bezahlt oder Anschaffungen getätigt, die der ganzen Familie zugutekommen. In der tansanischen Iringa-Region, rund 500 Kilometer westlich der Hafenstadt Daressalam, gaben die Einwohner bei einer Befragung Meerschweinchen als zweitbeliebtestes fleischliches Nahrungsmittel an, hinter Rindfleisch und gleichauf mit Schweine- und Hühnerfleisch.

Doch obwohl Meerschweinchen vom Senegal in Westafrika bis nach Tansania im Osten weit verbreitet sind, erfassen die meisten Länder sie nicht in ihren offiziellen Nutztierstatistiken. Das mag daran liegen, dass bei den Zählungen oftmals europäische Wissenschaftler federführend sind und Meerschweinchen für Europäer keine Nutztiere sind. Die Größe der Meerschweinchenpopulationen in ganz Afrika sei sehr schwer zu schätzen, da sie sich kontinuierlich ändere, sagt Maass. „Wenn wir davon ausgehen, dass im Kongo mindestens 2 Millionen Tiere vorhanden sind und in Tansania und Kamerun jeweils mehr als eine halbe Million, dann kommen wir vermutlich für Sub-Sahara-Afrika insgesamt auf um die 5 Millionen.“ Zum Vergleich: Allein in Peru sollen es 22 Millionen und in Ecuador 15 Millionen Exemplare sein. Dort ist man dazu übergegangen, nur noch die Anzahl der Mütter zu schätzen, weil die Bestände im Laufe eines Jahres zu stark variieren, um sinnvolle Aussagen zu treffen.


Von südamerikanischen Züchtern lernen

In den kommerziellen Farmen Perus werden jeweils mehr als 20 000 Meerschweinchen gehalten, der größte Produzent Ecuadors hat 80 000 dieser Tiere – während die größten Züchter in Afrika auf rund 400 Exemplare kommen. Dass afrikanische Kleinbauern von den Erfahrungen in Lateinamerika viel lernen können, ist die Idee hinter den Süd-Süd-Workshops, die Maass seit 2016 in Afrika durchführt und in denen die südamerikanischen Züchter ihr Wissen mit afrikanischen Kollegen teilen.

Bedarfsgerechte Fütterung, verbesserte Hygiene, Trennung nach Altersgruppen und die Auswahl besonders schnell wachsender Tiere mit höheren Endgewichten gehören zu den Faktoren, die eine erfolgreiche professionelle Zucht ausmachen. Außerdem ist es wichtig, durch kontrollierte Paarung das Problem der Inzucht unter den Meerschweinchen in den Griff zu bekommen. So erreichen die Tiere nach rund drei Monaten Schlachtreife, bei einem Gewicht von rund 1 000 Gramm. Bisher kommen die Tiere afrikanischer Bauern nur auf rund 400 Gramm.

Bei den Workshops in Afrika wird zudem das Modell der sogenannten Innovationsplattformen propagiert, das laut Maass auch die südamerikanischen Züchter beeindruckt. Diese Plattformen haben das Ziel, möglichst viele verschiedene Teilnehmer entlang der Wertschöpfungskette zusammenzubringen, also Produzenten, Händler, Restaurantbesitzer, Kreditinstitute, Medien, Wissenschaftler und viele mehr. „Wir haben mit den Workshops einen regen Austausch zwischen afrikanischen und südamerikanischen Züchtern eingeleitet“, sagt die Wissenschaftlerin.

Frank Odenthal ist freier Journalist.
frank.odenthal@posteo.de

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.