Editorial

Harte Strategie

Zu „Exporten aus Entwicklungsländern“ fallen vielen europäischen Verbrauchern billige Kleidungsstücke aus Bangladesch und anderen Niedriglohnländern ein. Das hat damit zu tun, dass staatliche und nichtstaatliche Akteure seit Jahren Aufmerksamkeit für das Schicksal ausgebeuteter Näherinnen wecken. Verbraucherentscheidungen sind auf diesem Gebiet in der Tat wichtig – aber auf andere Arten von Ausfuhren kommt es auch an.
Die Textilfabrik Beximco in Dhaka produziert Jeans für den Export für westliche Textildiscounter. Böthling/Photography Die Textilfabrik Beximco in Dhaka produziert Jeans für den Export für westliche Textildiscounter.

Die Wirtschaften vieler Entwicklungsländer sind allzu sehr auf den Export von Rohstoffen ausgerichtet, was meist nicht zu breitem Wohlstand führt. Das liegt unter anderem daran, dass verarbeitete Güter eingeführt werden, die grundsätzlich teurer sind, als die ausgeführten Rohstoffe. Um zu gedeihen, muss eine Volkswirtschaft nun mal Mehrwert schaffen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Regierungsführung von Ökonomien, die auf Landwirtschaft und Bodenschätzen beruhen, oft schlecht ist, weil kleine Eliten die entscheidenden Ressourcen auf ausbeuterische Weise für sich reklamieren.

Historisch hat Industrialisierung meist mit der Textilproduktion begonnen. Dieser Wirtschaftszweig erfordert weder viel Kapital noch anspruchsvolle Fähigkeiten. Das Szenario ist aber anfangs häufig düster. Bittere Armut und brutale soziale Stratifikation haben Charles Dickens oder Friedrich Engels schon im England des 19. Jahrhunderts beobachtet.

Näherinnen arbeiten hart für wenig Geld. Die Jobs sind ihnen aber wichtig, denn ohne diese ginge es ihnen noch schlechter. Das ist so, obwohl viele Unternehmen sich nicht an Recht und Gesetz halten, was Löhne und Arbeitsschutz angeht. Leider gibt es aber in Dörfern Millionen weiterer verzweifelter junger Frauen, die froh wären, überhaupt irgendeine Anstellung zu finden. Damit es in der Textilindustrie besser zugeht, muss sich das ganze Land entwickeln. Ob in Bangladesch oder anderswo ist deshalb der Erfolg der Textilindustrie kein Ziel an sich, sondern sollte die Grundlage für weitere Entwicklung bilden. Wenn zusätzliche Branchen heranwachsen und die Volkswirtschaft vielfältiger machen, entstehen neue Erwerbs- und Innovationsmöglichkeiten. Quellen von Wohlstand sind Quellen von Einfluss, und je mehr es davon gibt, desto schwieriger wird autoritäres Regierungsgehabe.

Diversifikation ist wichtig und theoretisch auch ohne Anschluss an den Weltmarkt denkbar. Empirisch passiert das aber nicht. Das liegt unter anderem daran, dass internationaler Austausch zu Technologietransfer führt, wobei ausländische Direktinvestitionen besonders nützlich sind. Selbst China, das bevölkerungsreichste Land, hat für die Industrialisierung und Diversifikation der Volkswirtschaft den Weltmarkt benötigt.

Die am wenigsten entwickelten Länder stehen heute vor noch größeren Herausforderungen. Ihre Märkte sind wegen geringer Bevölkerungszahlen und schwacher Kaufkraft meist sehr klein. Investitionen in Produktionskapazitäten sind aber nur dann attraktiv, wenn es auch Absatzchancen gibt. Deshalb ist regionale Integration wichtig. Je größer Märkte sind, desto mehr Chancen bieten sie – und kleine Volkswirtschaften werden von nationalen Grenzen besonders eingeengt.

Um der Armut zu entkommen, braucht ein Land eine kluge Wirtschaftspolitik, bei der die Regierung nicht nur die Interessen der jeweiligen Elite schützt. Nötig ist aber auch der Zugang zu ausländischen und kaufkräftigen Absatzgebieten. Diese Entwicklungsstrategie ist hart, hat sich aber oft bewährt.


Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@fs-medien.de

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